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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Kcisernenstudien

er findet hier die Gelegenheit, die sich ihm sonst vielleicht nirgends so bietet,
mit dem Mann aus dem Volk in unmittelbare Berührung zu kommen. Den
Wert dieser Schule, die der junge Mann aus den obern Ständen dem Mi¬
litärdienst verdankt, hat man seit 1870 und 1871 auch in Süddeutschland
schätzen gelernt. Es beginnt hier allmählich ein jüngeres Geschlecht in an¬
gesehene soziale Stellungen hineinzuwachsen, das seine wissenschaftlichen Studien
durch praktische in der Kaserne ergänzt hat, und dem das Recht, in militä¬
rischen Fragen mitzusprechen, um so weniger verkümmert werden darf, als
seine nationale Gesinnung n"d Opferwilligkeit nicht dem geringsten Zweifel
unterliegt. Dieses Geschlecht nun -- gleichviel ob es dem Beamtenstand oder
dem Kaufmannsstand, einem gelehrten oder einem praktischen Beruf angehört --
ist in seiner überwiegenden Mehrzahl von der Notwendigkeit der zweijährigen
Dienstzeit durchdrungen. Es naße sich keine Entscheidung in militärisch¬
technischer Hinsicht an; um so schärfer weiß es die Frage von dem höhern
allgemeinen Standpunkt zu fassen, eine Betrachtungsweise, die den militärischen
Fachleuten ganz fern liegt, die jedoch unter der Voraussetzung der allgemeinen
Militärpflicht ihre Verechtigung hat.

Unsre modernen Heere sind keine Berufsheere mehr, es sind Volksheere.
Als solche bilden sie einen Bestandteil des Staats, zu dem sie in keinerlei
Gegensatz gebracht werden dürfen, dem sie nicht über-, nicht gleichgeordnet,
vielmehr untergeordnet sind, als solche nehmen sie an allen Wechselfällen teil,
die den Staat betreffen. Das Heer und seine Einrichtungen können nicht mehr
ausschließlich unter dem technischen, sie müssen auch unter dem moralischen
Gesichtspunkte betrachtet werden, es dürfen nicht bloß militärische, es müssen
auch soziale und bürgerliche Rücksichten walten. Der Soldat hört uach einer
bestimmten Frist auf, Berufssoldat zu sein, und wird wieder Bürger, um erst
bei besondrer Gelegenheit von neuem den Waffenrock anzuziehen. Er tritt
durchschnittlich in einem Alter ins Heer ein, wo er noch bildungsfähig ist,
die aktive Dienstzeit fällt meist mit der Zeit der letzten und endgiltigen Charakter¬
entwicklung zusammen. Die Eindrücke, die er beim Militär empfängt, nimmt er
mit hinaus ins bürgerliche Leben. Es handelt sich also um Volkserziehung, uicht
nur um militärische. Welche Wirkungen in dieser Richtung die gegenwärtige
dreijährige Dienstzeit mit ihrer praktischen Erleichterung durch Disposttiousbeur-
lcmbungeu thut, möge ans Grund von Erfahrungen, die sich jeder täglich und
allenthalben in der Kaserne sammeln kann, in Kürze geschildert werden.

Jeder, der am öffentlichen Leben Anteil nimmt, weiß, daß der Soldat
zu dreijähriger Dienstzeit im stehenden Heere verpflichtet ist, daß jedoch, weil
sich sonst ein Überschuß über die gesetzlich geregelte Heeresstärke ergeben würde,
alle Jahre reichlich die Hälfte des betreffenden Jahrgangs nach zweijähriger
Dienstzeit als sogenannte Dispositions- oder Königsurlauber entlassen werden.
Diese stehen fortgesetzt unter militärischer Kontrolle und können jederzeit wieder


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er findet hier die Gelegenheit, die sich ihm sonst vielleicht nirgends so bietet,
mit dem Mann aus dem Volk in unmittelbare Berührung zu kommen. Den
Wert dieser Schule, die der junge Mann aus den obern Ständen dem Mi¬
litärdienst verdankt, hat man seit 1870 und 1871 auch in Süddeutschland
schätzen gelernt. Es beginnt hier allmählich ein jüngeres Geschlecht in an¬
gesehene soziale Stellungen hineinzuwachsen, das seine wissenschaftlichen Studien
durch praktische in der Kaserne ergänzt hat, und dem das Recht, in militä¬
rischen Fragen mitzusprechen, um so weniger verkümmert werden darf, als
seine nationale Gesinnung n»d Opferwilligkeit nicht dem geringsten Zweifel
unterliegt. Dieses Geschlecht nun — gleichviel ob es dem Beamtenstand oder
dem Kaufmannsstand, einem gelehrten oder einem praktischen Beruf angehört —
ist in seiner überwiegenden Mehrzahl von der Notwendigkeit der zweijährigen
Dienstzeit durchdrungen. Es naße sich keine Entscheidung in militärisch¬
technischer Hinsicht an; um so schärfer weiß es die Frage von dem höhern
allgemeinen Standpunkt zu fassen, eine Betrachtungsweise, die den militärischen
Fachleuten ganz fern liegt, die jedoch unter der Voraussetzung der allgemeinen
Militärpflicht ihre Verechtigung hat.

Unsre modernen Heere sind keine Berufsheere mehr, es sind Volksheere.
Als solche bilden sie einen Bestandteil des Staats, zu dem sie in keinerlei
Gegensatz gebracht werden dürfen, dem sie nicht über-, nicht gleichgeordnet,
vielmehr untergeordnet sind, als solche nehmen sie an allen Wechselfällen teil,
die den Staat betreffen. Das Heer und seine Einrichtungen können nicht mehr
ausschließlich unter dem technischen, sie müssen auch unter dem moralischen
Gesichtspunkte betrachtet werden, es dürfen nicht bloß militärische, es müssen
auch soziale und bürgerliche Rücksichten walten. Der Soldat hört uach einer
bestimmten Frist auf, Berufssoldat zu sein, und wird wieder Bürger, um erst
bei besondrer Gelegenheit von neuem den Waffenrock anzuziehen. Er tritt
durchschnittlich in einem Alter ins Heer ein, wo er noch bildungsfähig ist,
die aktive Dienstzeit fällt meist mit der Zeit der letzten und endgiltigen Charakter¬
entwicklung zusammen. Die Eindrücke, die er beim Militär empfängt, nimmt er
mit hinaus ins bürgerliche Leben. Es handelt sich also um Volkserziehung, uicht
nur um militärische. Welche Wirkungen in dieser Richtung die gegenwärtige
dreijährige Dienstzeit mit ihrer praktischen Erleichterung durch Disposttiousbeur-
lcmbungeu thut, möge ans Grund von Erfahrungen, die sich jeder täglich und
allenthalben in der Kaserne sammeln kann, in Kürze geschildert werden.

Jeder, der am öffentlichen Leben Anteil nimmt, weiß, daß der Soldat
zu dreijähriger Dienstzeit im stehenden Heere verpflichtet ist, daß jedoch, weil
sich sonst ein Überschuß über die gesetzlich geregelte Heeresstärke ergeben würde,
alle Jahre reichlich die Hälfte des betreffenden Jahrgangs nach zweijähriger
Dienstzeit als sogenannte Dispositions- oder Königsurlauber entlassen werden.
Diese stehen fortgesetzt unter militärischer Kontrolle und können jederzeit wieder


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[0069] Kcisernenstudien er findet hier die Gelegenheit, die sich ihm sonst vielleicht nirgends so bietet, mit dem Mann aus dem Volk in unmittelbare Berührung zu kommen. Den Wert dieser Schule, die der junge Mann aus den obern Ständen dem Mi¬ litärdienst verdankt, hat man seit 1870 und 1871 auch in Süddeutschland schätzen gelernt. Es beginnt hier allmählich ein jüngeres Geschlecht in an¬ gesehene soziale Stellungen hineinzuwachsen, das seine wissenschaftlichen Studien durch praktische in der Kaserne ergänzt hat, und dem das Recht, in militä¬ rischen Fragen mitzusprechen, um so weniger verkümmert werden darf, als seine nationale Gesinnung n»d Opferwilligkeit nicht dem geringsten Zweifel unterliegt. Dieses Geschlecht nun — gleichviel ob es dem Beamtenstand oder dem Kaufmannsstand, einem gelehrten oder einem praktischen Beruf angehört — ist in seiner überwiegenden Mehrzahl von der Notwendigkeit der zweijährigen Dienstzeit durchdrungen. Es naße sich keine Entscheidung in militärisch¬ technischer Hinsicht an; um so schärfer weiß es die Frage von dem höhern allgemeinen Standpunkt zu fassen, eine Betrachtungsweise, die den militärischen Fachleuten ganz fern liegt, die jedoch unter der Voraussetzung der allgemeinen Militärpflicht ihre Verechtigung hat. Unsre modernen Heere sind keine Berufsheere mehr, es sind Volksheere. Als solche bilden sie einen Bestandteil des Staats, zu dem sie in keinerlei Gegensatz gebracht werden dürfen, dem sie nicht über-, nicht gleichgeordnet, vielmehr untergeordnet sind, als solche nehmen sie an allen Wechselfällen teil, die den Staat betreffen. Das Heer und seine Einrichtungen können nicht mehr ausschließlich unter dem technischen, sie müssen auch unter dem moralischen Gesichtspunkte betrachtet werden, es dürfen nicht bloß militärische, es müssen auch soziale und bürgerliche Rücksichten walten. Der Soldat hört uach einer bestimmten Frist auf, Berufssoldat zu sein, und wird wieder Bürger, um erst bei besondrer Gelegenheit von neuem den Waffenrock anzuziehen. Er tritt durchschnittlich in einem Alter ins Heer ein, wo er noch bildungsfähig ist, die aktive Dienstzeit fällt meist mit der Zeit der letzten und endgiltigen Charakter¬ entwicklung zusammen. Die Eindrücke, die er beim Militär empfängt, nimmt er mit hinaus ins bürgerliche Leben. Es handelt sich also um Volkserziehung, uicht nur um militärische. Welche Wirkungen in dieser Richtung die gegenwärtige dreijährige Dienstzeit mit ihrer praktischen Erleichterung durch Disposttiousbeur- lcmbungeu thut, möge ans Grund von Erfahrungen, die sich jeder täglich und allenthalben in der Kaserne sammeln kann, in Kürze geschildert werden. Jeder, der am öffentlichen Leben Anteil nimmt, weiß, daß der Soldat zu dreijähriger Dienstzeit im stehenden Heere verpflichtet ist, daß jedoch, weil sich sonst ein Überschuß über die gesetzlich geregelte Heeresstärke ergeben würde, alle Jahre reichlich die Hälfte des betreffenden Jahrgangs nach zweijähriger Dienstzeit als sogenannte Dispositions- oder Königsurlauber entlassen werden. Diese stehen fortgesetzt unter militärischer Kontrolle und können jederzeit wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/69>, abgerufen am 25.08.2024.