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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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durch die Zeitungen. In Koburg ist der Erbförster von Otto Ludwig aufgeführt worden-
Über diese Aufführung hat das Koburger Tageblatt eine Rezension gebracht, deren Verfasser
keine blasse Ahnung von Otto Ludwig hat. Er hält den Dichter für einen lebenden jungen An¬
fänger, es ist ihm "momentan (!) nicht erinnerlich" (!), ob der Dichter "schou früher mit dra¬
matischen Versuchen hervorgetreten sei," er ergeht sich in den einfältigsten Bemerkungen über
dieses Meisterwerk der dramatischen Kunst, ermuntert den Dichter durch gute Ratschläge zu
einer Umarbeitung des Stücks und zu weiterin Schaffen u, s. w-

Natürlich wird das Koburger Tageblatt, nachdem es seiner Blamage inno geworden ist,
den Kritiker zum Teufel jagen. Aber sollte uicht die gute Stadt Koburg das ganze Koburger
Tageblatt zum Teufel jagen? Die unsterbliche Blamage trifft doch die ganze Redaktion!
Bon solchen Leuten also laßt ihr euch täglich über dramatische und theatralische Kunst "be¬
lehren"! Solchen Leuten tragt ihr dafür jedes Vierteljahr euer gutes Geld hin!

Das Komische bei der Sache ist, daß die schmachvolle Geschichte nnn mit erhabner
Schadenfreude in einer Menge von Tagesblättern nacherzählt wird, die selber nur durch eine
unverdiente Kette glücklicher Zufälle davor behütet werden, sich jeden Tag in ähnlicher Weise
zu blamiren.




Lieber Heinrich Bolingbroke! El seht doch den Duckmäuser! Läßt seinen Sohn aus der
Kneipe holen, um ihm die Kappe zu waschen und eine höchst moralische Pauke zu halten,
und schreibt dann selbst ans dem Hinterstübchen der Frnn Hurtig Briefe! Wegen des bischen
Zahlenverwechslung keine Feindschaft! Ihr Heinriche laust so schockweise in der Weltgeschichte
herum, daß man schon einen starkem Kopf haben muß als ich, um sich von jedem die Nummer
merken zu können; auch sind ja IV und VI ein Ding; wills von links gelesen nicht Passen,
so liest mans von rechts. Was eure werten Personen anlangt, so kenn ich euch schon aus¬
einander, und ist keine Gefahr, daß ich dich alten Mucker oder deinen schneidigen Heinz mit
euerm Sohn und Enkel, dein frömmsten und dümmsten aller englischen Könige, verwechseln sollte.


Mit Gruß nu den Stammtisch im Schweinskopf
Der Grenzbote, der England unsicher macht


Der Ahlwardtsche Prozeß

1
Vornehm, edel und stolz war sonst der .König der Tiere,
So hat Lessing ihn, hat ihn uns Goethe gezeigt.
Das Jahrhundert verfällt: jetzt handelt er gar mit Gewehren,
Und vor dem gallischen Hahn neigt er geschäftig das Haupt! Z
Frau Justitin bildet man sonst mit der Binde uns Auge,
Ihrem Diener jedoch legt um die Lippen das Band!'") 3
Wohl mit Hechten und .Karpfen vergleicht man die Glieder des Reichstags,
Aber fo glatt wie ein Aal ward mir noch keiner gesehn.
Durch die Maschen des Netzes entschlüpft er den grimmigen Fischern,
Und im lieblichen Schlamm dreht er sich spritzend aufs nen!




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
> Variante aus dem <I!o<I. luxs. lZ.: leget die Binde ums Maul!

durch die Zeitungen. In Koburg ist der Erbförster von Otto Ludwig aufgeführt worden-
Über diese Aufführung hat das Koburger Tageblatt eine Rezension gebracht, deren Verfasser
keine blasse Ahnung von Otto Ludwig hat. Er hält den Dichter für einen lebenden jungen An¬
fänger, es ist ihm „momentan (!) nicht erinnerlich" (!), ob der Dichter „schou früher mit dra¬
matischen Versuchen hervorgetreten sei," er ergeht sich in den einfältigsten Bemerkungen über
dieses Meisterwerk der dramatischen Kunst, ermuntert den Dichter durch gute Ratschläge zu
einer Umarbeitung des Stücks und zu weiterin Schaffen u, s. w-

Natürlich wird das Koburger Tageblatt, nachdem es seiner Blamage inno geworden ist,
den Kritiker zum Teufel jagen. Aber sollte uicht die gute Stadt Koburg das ganze Koburger
Tageblatt zum Teufel jagen? Die unsterbliche Blamage trifft doch die ganze Redaktion!
Bon solchen Leuten also laßt ihr euch täglich über dramatische und theatralische Kunst „be¬
lehren"! Solchen Leuten tragt ihr dafür jedes Vierteljahr euer gutes Geld hin!

Das Komische bei der Sache ist, daß die schmachvolle Geschichte nnn mit erhabner
Schadenfreude in einer Menge von Tagesblättern nacherzählt wird, die selber nur durch eine
unverdiente Kette glücklicher Zufälle davor behütet werden, sich jeden Tag in ähnlicher Weise
zu blamiren.




Lieber Heinrich Bolingbroke! El seht doch den Duckmäuser! Läßt seinen Sohn aus der
Kneipe holen, um ihm die Kappe zu waschen und eine höchst moralische Pauke zu halten,
und schreibt dann selbst ans dem Hinterstübchen der Frnn Hurtig Briefe! Wegen des bischen
Zahlenverwechslung keine Feindschaft! Ihr Heinriche laust so schockweise in der Weltgeschichte
herum, daß man schon einen starkem Kopf haben muß als ich, um sich von jedem die Nummer
merken zu können; auch sind ja IV und VI ein Ding; wills von links gelesen nicht Passen,
so liest mans von rechts. Was eure werten Personen anlangt, so kenn ich euch schon aus¬
einander, und ist keine Gefahr, daß ich dich alten Mucker oder deinen schneidigen Heinz mit
euerm Sohn und Enkel, dein frömmsten und dümmsten aller englischen Könige, verwechseln sollte.


Mit Gruß nu den Stammtisch im Schweinskopf
Der Grenzbote, der England unsicher macht


Der Ahlwardtsche Prozeß

1
Vornehm, edel und stolz war sonst der .König der Tiere,
So hat Lessing ihn, hat ihn uns Goethe gezeigt.
Das Jahrhundert verfällt: jetzt handelt er gar mit Gewehren,
Und vor dem gallischen Hahn neigt er geschäftig das Haupt! Z
Frau Justitin bildet man sonst mit der Binde uns Auge,
Ihrem Diener jedoch legt um die Lippen das Band!'") 3
Wohl mit Hechten und .Karpfen vergleicht man die Glieder des Reichstags,
Aber fo glatt wie ein Aal ward mir noch keiner gesehn.
Durch die Maschen des Netzes entschlüpft er den grimmigen Fischern,
Und im lieblichen Schlamm dreht er sich spritzend aufs nen!




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
> Variante aus dem <I!o<I. luxs. lZ.: leget die Binde ums Maul!
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[0668] durch die Zeitungen. In Koburg ist der Erbförster von Otto Ludwig aufgeführt worden- Über diese Aufführung hat das Koburger Tageblatt eine Rezension gebracht, deren Verfasser keine blasse Ahnung von Otto Ludwig hat. Er hält den Dichter für einen lebenden jungen An¬ fänger, es ist ihm „momentan (!) nicht erinnerlich" (!), ob der Dichter „schou früher mit dra¬ matischen Versuchen hervorgetreten sei," er ergeht sich in den einfältigsten Bemerkungen über dieses Meisterwerk der dramatischen Kunst, ermuntert den Dichter durch gute Ratschläge zu einer Umarbeitung des Stücks und zu weiterin Schaffen u, s. w- Natürlich wird das Koburger Tageblatt, nachdem es seiner Blamage inno geworden ist, den Kritiker zum Teufel jagen. Aber sollte uicht die gute Stadt Koburg das ganze Koburger Tageblatt zum Teufel jagen? Die unsterbliche Blamage trifft doch die ganze Redaktion! Bon solchen Leuten also laßt ihr euch täglich über dramatische und theatralische Kunst „be¬ lehren"! Solchen Leuten tragt ihr dafür jedes Vierteljahr euer gutes Geld hin! Das Komische bei der Sache ist, daß die schmachvolle Geschichte nnn mit erhabner Schadenfreude in einer Menge von Tagesblättern nacherzählt wird, die selber nur durch eine unverdiente Kette glücklicher Zufälle davor behütet werden, sich jeden Tag in ähnlicher Weise zu blamiren. Lieber Heinrich Bolingbroke! El seht doch den Duckmäuser! Läßt seinen Sohn aus der Kneipe holen, um ihm die Kappe zu waschen und eine höchst moralische Pauke zu halten, und schreibt dann selbst ans dem Hinterstübchen der Frnn Hurtig Briefe! Wegen des bischen Zahlenverwechslung keine Feindschaft! Ihr Heinriche laust so schockweise in der Weltgeschichte herum, daß man schon einen starkem Kopf haben muß als ich, um sich von jedem die Nummer merken zu können; auch sind ja IV und VI ein Ding; wills von links gelesen nicht Passen, so liest mans von rechts. Was eure werten Personen anlangt, so kenn ich euch schon aus¬ einander, und ist keine Gefahr, daß ich dich alten Mucker oder deinen schneidigen Heinz mit euerm Sohn und Enkel, dein frömmsten und dümmsten aller englischen Könige, verwechseln sollte. Mit Gruß nu den Stammtisch im Schweinskopf Der Grenzbote, der England unsicher macht Der Ahlwardtsche Prozeß 1 Vornehm, edel und stolz war sonst der .König der Tiere, So hat Lessing ihn, hat ihn uns Goethe gezeigt. Das Jahrhundert verfällt: jetzt handelt er gar mit Gewehren, Und vor dem gallischen Hahn neigt er geschäftig das Haupt! Z Frau Justitin bildet man sonst mit der Binde uns Auge, Ihrem Diener jedoch legt um die Lippen das Band!'") 3 Wohl mit Hechten und .Karpfen vergleicht man die Glieder des Reichstags, Aber fo glatt wie ein Aal ward mir noch keiner gesehn. Durch die Maschen des Netzes entschlüpft er den grimmigen Fischern, Und im lieblichen Schlamm dreht er sich spritzend aufs nen! Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig > Variante aus dem <I!o<I. luxs. lZ.: leget die Binde ums Maul!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/668>, abgerufen am 22.12.2024.