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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Glück und Glas

ganzen Wesen! Martin eine gedrungne Gestalt, gut gebaut, aber schlicht in
seiner ganzen Erscheinung, Das dunkle Haar umgab eine feste mathematische
Stirn. Das Kinn war energisch geformt; aber ruhig und treuherzig blickten
die braunen Augen. Man konnte bald erkennen, daß dieser einfache Mensch
klar und sicher an seinem Platze stand. Ganz anders der norddeutsche, an
dem der langsame Schritt seine erziehende Aufgabe den Sinn ganz auf das
Äußere zu lenken und gleichsam jeden Muskel zu einem hirnbegabten Werk¬
zeug zu bilden, gründlich verfehlt hatte. Dieser schlank gebaute Bursche mit
der nachlässigen Haltung war sicher ein ""militärischer Mensch. Weder die
dunkelblauen, bald träumerisch verschleierten, bald lebhast aufleuchtenden Augen,
noch die nervöse Beweglichkeit seiner feinen, edel aber weich geformten Ge¬
sichtszüge bekundeten jene Disziplin des Charakters, jene stille ihrer selbst un¬
bewußte Kraft, die aus Martins Mienen sprach. Und doch lag etwas An¬
ziehendes, ein idealistischer Hauch in seinem ganzen Wesen, das auch auf
Martin seinen gewinnenden Eindruck nicht verfehlte."

Es verfehlt diesen gewinnenden Eindruck auch ans Lotte Krauß nicht,
das schwäbische Pfarrtöchterlein des Romans, die der Versasser von vorn¬
herein zu Martins Frau bestimmt hat, die aber um die "Irrung" nicht
herumkommt, ihr Herz zunächst an einen Traum, an die ideal gestimmte Per¬
sönlichkeit von Felix Lubrecht zu verlieren. Dieser, der von der seelischen
Tiefe des Mädchens (die er mit seinen durchaus ästhetischen Fühlfäden erst
aus dein Gesang heraus erkennt) und von ihrer selbstvergessener Liebe er¬
griffen und erfüllt wird, hegt freilich die besten Absichten für Lotte. Aber
da er zu eiuer verhängnisvollen Verfeinerung und Überfeiuerung, zu einer
geistigen Reizbarkeit erzogen ist, die überall mit dem Leben in Konflikt gerät,
und da eine thörichte späte Heirat und der jähe Tod seines reichen Onkels ihm
die Mittel entziehen, ans die bei seiner Erziehung, bei seinem Studiengang
und seinem künstlerischen Epilüreismus unbedingt gerechnet war, so findet
Felix in sich nicht den Halt und die Kraft, sich selbst und einem geliebten
Weibe den Boden zu bereiten, auf dem ein gesundes Leben gedeihen könnte.
Die berechtigte wie die falsche Vornehmheit seiner Natur, der Maugel um der
derben alltäglichen Hausbackenheit, der sich schon in seinem Freiwilligenjahr
geltend gemacht hat, die Verwöhnung so vieler Jahre bringen ihn in jedem
Verhältnis in harte Konflikte. Er scheitert als Schriftsteller beim ersten Aus¬
lauf, er wird von den Lehren und dem idealistischen Parteischwunge der Sv-
zialdemokrntie überwältigt und dient der Partei eine Zeit lang als Redakteur
einer Zeitung, "Die Brandrakete," für die er zündende Leitartikel verfaßt
("er schrieb einen glänzenden Stil, wo es galt, die Sprache der Leidenschaft
zu handhaben, und seine vielseitige Lektüre, die ihn mit einem Schatze von
schillernden Phrasen ausgerüstet hatte, kam ihm dabei trefflich zu statten.
Tiefe Gedanken und solide Bildung wären hier schlecht am Platze gewesen,


Glück und Glas

ganzen Wesen! Martin eine gedrungne Gestalt, gut gebaut, aber schlicht in
seiner ganzen Erscheinung, Das dunkle Haar umgab eine feste mathematische
Stirn. Das Kinn war energisch geformt; aber ruhig und treuherzig blickten
die braunen Augen. Man konnte bald erkennen, daß dieser einfache Mensch
klar und sicher an seinem Platze stand. Ganz anders der norddeutsche, an
dem der langsame Schritt seine erziehende Aufgabe den Sinn ganz auf das
Äußere zu lenken und gleichsam jeden Muskel zu einem hirnbegabten Werk¬
zeug zu bilden, gründlich verfehlt hatte. Dieser schlank gebaute Bursche mit
der nachlässigen Haltung war sicher ein »«militärischer Mensch. Weder die
dunkelblauen, bald träumerisch verschleierten, bald lebhast aufleuchtenden Augen,
noch die nervöse Beweglichkeit seiner feinen, edel aber weich geformten Ge¬
sichtszüge bekundeten jene Disziplin des Charakters, jene stille ihrer selbst un¬
bewußte Kraft, die aus Martins Mienen sprach. Und doch lag etwas An¬
ziehendes, ein idealistischer Hauch in seinem ganzen Wesen, das auch auf
Martin seinen gewinnenden Eindruck nicht verfehlte."

Es verfehlt diesen gewinnenden Eindruck auch ans Lotte Krauß nicht,
das schwäbische Pfarrtöchterlein des Romans, die der Versasser von vorn¬
herein zu Martins Frau bestimmt hat, die aber um die „Irrung" nicht
herumkommt, ihr Herz zunächst an einen Traum, an die ideal gestimmte Per¬
sönlichkeit von Felix Lubrecht zu verlieren. Dieser, der von der seelischen
Tiefe des Mädchens (die er mit seinen durchaus ästhetischen Fühlfäden erst
aus dein Gesang heraus erkennt) und von ihrer selbstvergessener Liebe er¬
griffen und erfüllt wird, hegt freilich die besten Absichten für Lotte. Aber
da er zu eiuer verhängnisvollen Verfeinerung und Überfeiuerung, zu einer
geistigen Reizbarkeit erzogen ist, die überall mit dem Leben in Konflikt gerät,
und da eine thörichte späte Heirat und der jähe Tod seines reichen Onkels ihm
die Mittel entziehen, ans die bei seiner Erziehung, bei seinem Studiengang
und seinem künstlerischen Epilüreismus unbedingt gerechnet war, so findet
Felix in sich nicht den Halt und die Kraft, sich selbst und einem geliebten
Weibe den Boden zu bereiten, auf dem ein gesundes Leben gedeihen könnte.
Die berechtigte wie die falsche Vornehmheit seiner Natur, der Maugel um der
derben alltäglichen Hausbackenheit, der sich schon in seinem Freiwilligenjahr
geltend gemacht hat, die Verwöhnung so vieler Jahre bringen ihn in jedem
Verhältnis in harte Konflikte. Er scheitert als Schriftsteller beim ersten Aus¬
lauf, er wird von den Lehren und dem idealistischen Parteischwunge der Sv-
zialdemokrntie überwältigt und dient der Partei eine Zeit lang als Redakteur
einer Zeitung, „Die Brandrakete," für die er zündende Leitartikel verfaßt
(„er schrieb einen glänzenden Stil, wo es galt, die Sprache der Leidenschaft
zu handhaben, und seine vielseitige Lektüre, die ihn mit einem Schatze von
schillernden Phrasen ausgerüstet hatte, kam ihm dabei trefflich zu statten.
Tiefe Gedanken und solide Bildung wären hier schlecht am Platze gewesen,


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[0650] Glück und Glas ganzen Wesen! Martin eine gedrungne Gestalt, gut gebaut, aber schlicht in seiner ganzen Erscheinung, Das dunkle Haar umgab eine feste mathematische Stirn. Das Kinn war energisch geformt; aber ruhig und treuherzig blickten die braunen Augen. Man konnte bald erkennen, daß dieser einfache Mensch klar und sicher an seinem Platze stand. Ganz anders der norddeutsche, an dem der langsame Schritt seine erziehende Aufgabe den Sinn ganz auf das Äußere zu lenken und gleichsam jeden Muskel zu einem hirnbegabten Werk¬ zeug zu bilden, gründlich verfehlt hatte. Dieser schlank gebaute Bursche mit der nachlässigen Haltung war sicher ein »«militärischer Mensch. Weder die dunkelblauen, bald träumerisch verschleierten, bald lebhast aufleuchtenden Augen, noch die nervöse Beweglichkeit seiner feinen, edel aber weich geformten Ge¬ sichtszüge bekundeten jene Disziplin des Charakters, jene stille ihrer selbst un¬ bewußte Kraft, die aus Martins Mienen sprach. Und doch lag etwas An¬ ziehendes, ein idealistischer Hauch in seinem ganzen Wesen, das auch auf Martin seinen gewinnenden Eindruck nicht verfehlte." Es verfehlt diesen gewinnenden Eindruck auch ans Lotte Krauß nicht, das schwäbische Pfarrtöchterlein des Romans, die der Versasser von vorn¬ herein zu Martins Frau bestimmt hat, die aber um die „Irrung" nicht herumkommt, ihr Herz zunächst an einen Traum, an die ideal gestimmte Per¬ sönlichkeit von Felix Lubrecht zu verlieren. Dieser, der von der seelischen Tiefe des Mädchens (die er mit seinen durchaus ästhetischen Fühlfäden erst aus dein Gesang heraus erkennt) und von ihrer selbstvergessener Liebe er¬ griffen und erfüllt wird, hegt freilich die besten Absichten für Lotte. Aber da er zu eiuer verhängnisvollen Verfeinerung und Überfeiuerung, zu einer geistigen Reizbarkeit erzogen ist, die überall mit dem Leben in Konflikt gerät, und da eine thörichte späte Heirat und der jähe Tod seines reichen Onkels ihm die Mittel entziehen, ans die bei seiner Erziehung, bei seinem Studiengang und seinem künstlerischen Epilüreismus unbedingt gerechnet war, so findet Felix in sich nicht den Halt und die Kraft, sich selbst und einem geliebten Weibe den Boden zu bereiten, auf dem ein gesundes Leben gedeihen könnte. Die berechtigte wie die falsche Vornehmheit seiner Natur, der Maugel um der derben alltäglichen Hausbackenheit, der sich schon in seinem Freiwilligenjahr geltend gemacht hat, die Verwöhnung so vieler Jahre bringen ihn in jedem Verhältnis in harte Konflikte. Er scheitert als Schriftsteller beim ersten Aus¬ lauf, er wird von den Lehren und dem idealistischen Parteischwunge der Sv- zialdemokrntie überwältigt und dient der Partei eine Zeit lang als Redakteur einer Zeitung, „Die Brandrakete," für die er zündende Leitartikel verfaßt („er schrieb einen glänzenden Stil, wo es galt, die Sprache der Leidenschaft zu handhaben, und seine vielseitige Lektüre, die ihn mit einem Schatze von schillernden Phrasen ausgerüstet hatte, kam ihm dabei trefflich zu statten. Tiefe Gedanken und solide Bildung wären hier schlecht am Platze gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/650>, abgerufen am 25.08.2024.