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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Glück und Glas

sehe, ja wie ihm schon ein schwimmender Pfeil, ein auf den Wogen dahin-
getragner Zweig als Bürgschaften galten, daß sein Ziel erreicht sei, so jauchzen
wohlmeinende Kritiker, wenn sie ans irgend etwas stoßen, das nicht eitel wüstes
Wasser ist. Wir wissen nicht, ob es Kolumbus sür ein Zeichen vom nahen
Land gehalten haben würde, wenn er mitten im Meer Schlammvulkane und
Schlcnnmsprudcl angetroffen Hütte; dem Kritiker, der sehnsuchtsvoll nach neuem
Land und grünenden Küsten ausspäht, wird die Hoffnung zugemutet, daß sich
aus besagten Schlammsprudeln stolze Bergzüge und Gipfel erheben werden.
Einstweilen sind wir froh, wenn wir diese Frage nicht zu untersuchen brauchen,
sondern einen lebendigen Zweig von frischem Wuchs vor uns sehen.

Als einen solchen lebendigen Zweig erachten wir einen Roman wie
Glück und Glas von Eduard Bertz (Leipzig, Viktor Ottmann) der,
vor etwa einen, Jahre erschienen, sich rascher Verbreitung und hie und da
enthusiastischer Anerkennung erfreut hat. Der Roman scheint schwäbischen
Ursprungs und giebt sich als ein Bild aus der deutschen Gegenwart. Er
wandelt nach älterer Weise die Namen der Ortschaften um, wo er spielt, und
nennt Stuttgart Noßthal und Tübingen Eberstein, läßt aber im übrigen so
deutlich erkennen, wo die Begebenheiten vor sich gehn, daß es wirklich kaum
der Mühe lohnt, das Hotel Marquart in Hotel Makart umznschreiben. Auch
werden Berlin und eine Villa am Wansee, nach denen ein paar Szenen des
Romans hinüberspringen, und die den Hintergrund für die Entwicklung des
Helden abgeben, schlicht beim Namen genannt. Übrigens kommt wenig hier¬
auf an; der Realismus, der Wien und Berlin und Gastein und Wildbad
mit großem Geräusch als Dekoration ausrollt, kann von einer Stadt- und
Landschaftsschilderung, die erdichtete nennen nennt, an Treue, Wärme und
farbiger Anschaulichkeit leicht überboten werden. Das lokale Element in dem
Roman "Glück und Glas" hat tiefere Bedeutung, dn es auf die Mensche"
des Buches zurückwirkt, die gesunden und unverbildete" Naturen gehören Süd¬
deutschland, die problematischen, der Held Felix Lubrecht und sein Onkel
I)r. Groch -cknrs Catull und Punsch, Norddeutschland an. Ob es wirklich
die Meinung des Verfassers ist, daß Erscheinungen wie Martin Gugelhopf,
Pfarrer Krauß und seine Tochter Lotte typisch für Schwaben n"d die Lub-
rechts und Grochs typisch für Preußen seien, kaun dahingestellt bleiben, wir
nehmen die Dinge, wie sie der Dichter erfindet, und merken freilich von vorn¬
herein, wie viel mehr Anwartschaft auf Glück die gesunde Einfachheit Martins
als die reizbare Feinheit Lubrechts hat. "Daß sie beide ganz verschiedne
Typen der Menschheit vertreten, war freilich ersichtlich. Ihr Alter mochte so
ziemlich das nämliche sein; der Schwabe war vielleicht einige Monate jünger;
doch auch der norddeutsche hatte die Zwanzig kaum überschritten. Und sie
trugen beide das gleiche Kleid, deu blauen Rock der württembergischen In¬
fanterie mit der doppelten Knopfreihe. Aber welcher Unterschied in ihrem


Grenzboten IV 1392 "1
Glück und Glas

sehe, ja wie ihm schon ein schwimmender Pfeil, ein auf den Wogen dahin-
getragner Zweig als Bürgschaften galten, daß sein Ziel erreicht sei, so jauchzen
wohlmeinende Kritiker, wenn sie ans irgend etwas stoßen, das nicht eitel wüstes
Wasser ist. Wir wissen nicht, ob es Kolumbus sür ein Zeichen vom nahen
Land gehalten haben würde, wenn er mitten im Meer Schlammvulkane und
Schlcnnmsprudcl angetroffen Hütte; dem Kritiker, der sehnsuchtsvoll nach neuem
Land und grünenden Küsten ausspäht, wird die Hoffnung zugemutet, daß sich
aus besagten Schlammsprudeln stolze Bergzüge und Gipfel erheben werden.
Einstweilen sind wir froh, wenn wir diese Frage nicht zu untersuchen brauchen,
sondern einen lebendigen Zweig von frischem Wuchs vor uns sehen.

Als einen solchen lebendigen Zweig erachten wir einen Roman wie
Glück und Glas von Eduard Bertz (Leipzig, Viktor Ottmann) der,
vor etwa einen, Jahre erschienen, sich rascher Verbreitung und hie und da
enthusiastischer Anerkennung erfreut hat. Der Roman scheint schwäbischen
Ursprungs und giebt sich als ein Bild aus der deutschen Gegenwart. Er
wandelt nach älterer Weise die Namen der Ortschaften um, wo er spielt, und
nennt Stuttgart Noßthal und Tübingen Eberstein, läßt aber im übrigen so
deutlich erkennen, wo die Begebenheiten vor sich gehn, daß es wirklich kaum
der Mühe lohnt, das Hotel Marquart in Hotel Makart umznschreiben. Auch
werden Berlin und eine Villa am Wansee, nach denen ein paar Szenen des
Romans hinüberspringen, und die den Hintergrund für die Entwicklung des
Helden abgeben, schlicht beim Namen genannt. Übrigens kommt wenig hier¬
auf an; der Realismus, der Wien und Berlin und Gastein und Wildbad
mit großem Geräusch als Dekoration ausrollt, kann von einer Stadt- und
Landschaftsschilderung, die erdichtete nennen nennt, an Treue, Wärme und
farbiger Anschaulichkeit leicht überboten werden. Das lokale Element in dem
Roman „Glück und Glas" hat tiefere Bedeutung, dn es auf die Mensche»
des Buches zurückwirkt, die gesunden und unverbildete» Naturen gehören Süd¬
deutschland, die problematischen, der Held Felix Lubrecht und sein Onkel
I)r. Groch -cknrs Catull und Punsch, Norddeutschland an. Ob es wirklich
die Meinung des Verfassers ist, daß Erscheinungen wie Martin Gugelhopf,
Pfarrer Krauß und seine Tochter Lotte typisch für Schwaben n»d die Lub-
rechts und Grochs typisch für Preußen seien, kaun dahingestellt bleiben, wir
nehmen die Dinge, wie sie der Dichter erfindet, und merken freilich von vorn¬
herein, wie viel mehr Anwartschaft auf Glück die gesunde Einfachheit Martins
als die reizbare Feinheit Lubrechts hat. „Daß sie beide ganz verschiedne
Typen der Menschheit vertreten, war freilich ersichtlich. Ihr Alter mochte so
ziemlich das nämliche sein; der Schwabe war vielleicht einige Monate jünger;
doch auch der norddeutsche hatte die Zwanzig kaum überschritten. Und sie
trugen beide das gleiche Kleid, deu blauen Rock der württembergischen In¬
fanterie mit der doppelten Knopfreihe. Aber welcher Unterschied in ihrem


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[0649] Glück und Glas sehe, ja wie ihm schon ein schwimmender Pfeil, ein auf den Wogen dahin- getragner Zweig als Bürgschaften galten, daß sein Ziel erreicht sei, so jauchzen wohlmeinende Kritiker, wenn sie ans irgend etwas stoßen, das nicht eitel wüstes Wasser ist. Wir wissen nicht, ob es Kolumbus sür ein Zeichen vom nahen Land gehalten haben würde, wenn er mitten im Meer Schlammvulkane und Schlcnnmsprudcl angetroffen Hütte; dem Kritiker, der sehnsuchtsvoll nach neuem Land und grünenden Küsten ausspäht, wird die Hoffnung zugemutet, daß sich aus besagten Schlammsprudeln stolze Bergzüge und Gipfel erheben werden. Einstweilen sind wir froh, wenn wir diese Frage nicht zu untersuchen brauchen, sondern einen lebendigen Zweig von frischem Wuchs vor uns sehen. Als einen solchen lebendigen Zweig erachten wir einen Roman wie Glück und Glas von Eduard Bertz (Leipzig, Viktor Ottmann) der, vor etwa einen, Jahre erschienen, sich rascher Verbreitung und hie und da enthusiastischer Anerkennung erfreut hat. Der Roman scheint schwäbischen Ursprungs und giebt sich als ein Bild aus der deutschen Gegenwart. Er wandelt nach älterer Weise die Namen der Ortschaften um, wo er spielt, und nennt Stuttgart Noßthal und Tübingen Eberstein, läßt aber im übrigen so deutlich erkennen, wo die Begebenheiten vor sich gehn, daß es wirklich kaum der Mühe lohnt, das Hotel Marquart in Hotel Makart umznschreiben. Auch werden Berlin und eine Villa am Wansee, nach denen ein paar Szenen des Romans hinüberspringen, und die den Hintergrund für die Entwicklung des Helden abgeben, schlicht beim Namen genannt. Übrigens kommt wenig hier¬ auf an; der Realismus, der Wien und Berlin und Gastein und Wildbad mit großem Geräusch als Dekoration ausrollt, kann von einer Stadt- und Landschaftsschilderung, die erdichtete nennen nennt, an Treue, Wärme und farbiger Anschaulichkeit leicht überboten werden. Das lokale Element in dem Roman „Glück und Glas" hat tiefere Bedeutung, dn es auf die Mensche» des Buches zurückwirkt, die gesunden und unverbildete» Naturen gehören Süd¬ deutschland, die problematischen, der Held Felix Lubrecht und sein Onkel I)r. Groch -cknrs Catull und Punsch, Norddeutschland an. Ob es wirklich die Meinung des Verfassers ist, daß Erscheinungen wie Martin Gugelhopf, Pfarrer Krauß und seine Tochter Lotte typisch für Schwaben n»d die Lub- rechts und Grochs typisch für Preußen seien, kaun dahingestellt bleiben, wir nehmen die Dinge, wie sie der Dichter erfindet, und merken freilich von vorn¬ herein, wie viel mehr Anwartschaft auf Glück die gesunde Einfachheit Martins als die reizbare Feinheit Lubrechts hat. „Daß sie beide ganz verschiedne Typen der Menschheit vertreten, war freilich ersichtlich. Ihr Alter mochte so ziemlich das nämliche sein; der Schwabe war vielleicht einige Monate jünger; doch auch der norddeutsche hatte die Zwanzig kaum überschritten. Und sie trugen beide das gleiche Kleid, deu blauen Rock der württembergischen In¬ fanterie mit der doppelten Knopfreihe. Aber welcher Unterschied in ihrem Grenzboten IV 1392 »1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/649>, abgerufen am 23.07.2024.