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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Aapitalismus

andern Zweck, als um dem liederlichen hohen Adel die Mittel zu seinen un¬
erhörten Ausschweifungen zu liefern. Den Lohn ihrer Dummheit (es ist
wiederum Rogers, der spricht) erntet die Pächterschaft jetzt durch ihren all¬
gemeinen Bankrott. Diese Politik, zusammen mit Mißwachs und den Kosten
der napoleonischen Kriege, erzeugte das unerhörte Elend der Jahre 1780
bis 1820.

Das siebzehnte Jahrhundert war die dramatische Zeit der großen Dichter
und Denker, der großen Freiheitskämpfe, der großen originellen Charaktere;
im achtzehnten wurde die Macht der Krone endgiltig gebrochen und das
Disfentertum von der Tyrannei der Staatskirche befreit. Aber ach! nur um
die Freiheit der besitzenden Minderheit hat es sich in diesen Freiheitskämpfern
gehandelt. Und nur die Personen des politischen Dramas erscheinen auf der
Schaubühne der Geschichte: die Kriegshelden, die Unternehmer der "glorreichen"
Revolution, die großen Staatsmänner und Redner. Von dem arbeitenden und
leidenden Volke, das diesen Helden das Leben und die Durchführung ihrer
Rolle möglich machte, ist nichts zu sehen, es verschwindet vollständig. Es
bildet kein Element der Politik mehr, so wenig wie das Lastvieh; nur durch
das Studium der Lohnlisten kann sich der Forscher einen Begriff von ihn:
verschaffen.

Dies also war, um es zusammenzufassen, der Gang der Dinge gewesen.
Durch eine Münzverschlcchterung wurden die Lebensmittel verteuert. Die
Arbeitslöhne konnten nicht mit den Warenpreisen steigen, weil durch die Weide¬
wirtschaft der Bedarf an Arbeitern vermindert und gleichzeitig durch den großen
Landraub bei der Klosteraufhebung und die Vertreibung der Klostcrpächter das
Angebot von Arbeit plötzlich enorm vermehrt wurde. Eine neue, in der Welt
bis dahin unbekannte Art von Geschöpfen entstand: lautlose Landarbeiter, die
doch keine Sklaven waren, deren Unterhalt also keinem bestimmten Herrn als
Pflicht oblag. Durch das Armengesetz sodann wurde den Arbeitern jede Mög¬
lichkeit abgeschnitten, jemals ihr Einkommen über das Existenzminimum hinaus
zu vermehren, und durch die grausame und schimpfliche Behandlung der Ar¬
beitslosen, sowie durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz dem Un¬
glück auch noch das Brandmal der Schande aufgedrückt, der ganze Arbeiter¬
stand aufs tiefste entwürdigt und völlig entsittlicht. Gegen das Jahr 1700
empfahl der schottische Patriot Fletcher von Saltoun, ein glühender Republi¬
kaner, die förmliche gesetzliche Wiedereinführung der Sklaverei als einziges
Heilmittel der allgemeinen Verwilderung, und da "das Volk" ja so wie so
zu keinem andern Zweck da sei, als für die Herren zu arbeiten. Dieser Fletcher
ist offenbar weit humaner gewesen als die Humanitütsschwätzer, die im acht¬
zehnten Jahrhundert nach ihm kamen. Die Einführung der Privatsklaverei
an Stelle der thatsächlich herrschenden Staatssklaverei würde die Lage des
Volks wirklich ganz wesentlich gebessert haben. Denn erstens gestaltet sich das


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andern Zweck, als um dem liederlichen hohen Adel die Mittel zu seinen un¬
erhörten Ausschweifungen zu liefern. Den Lohn ihrer Dummheit (es ist
wiederum Rogers, der spricht) erntet die Pächterschaft jetzt durch ihren all¬
gemeinen Bankrott. Diese Politik, zusammen mit Mißwachs und den Kosten
der napoleonischen Kriege, erzeugte das unerhörte Elend der Jahre 1780
bis 1820.

Das siebzehnte Jahrhundert war die dramatische Zeit der großen Dichter
und Denker, der großen Freiheitskämpfe, der großen originellen Charaktere;
im achtzehnten wurde die Macht der Krone endgiltig gebrochen und das
Disfentertum von der Tyrannei der Staatskirche befreit. Aber ach! nur um
die Freiheit der besitzenden Minderheit hat es sich in diesen Freiheitskämpfern
gehandelt. Und nur die Personen des politischen Dramas erscheinen auf der
Schaubühne der Geschichte: die Kriegshelden, die Unternehmer der „glorreichen"
Revolution, die großen Staatsmänner und Redner. Von dem arbeitenden und
leidenden Volke, das diesen Helden das Leben und die Durchführung ihrer
Rolle möglich machte, ist nichts zu sehen, es verschwindet vollständig. Es
bildet kein Element der Politik mehr, so wenig wie das Lastvieh; nur durch
das Studium der Lohnlisten kann sich der Forscher einen Begriff von ihn:
verschaffen.

Dies also war, um es zusammenzufassen, der Gang der Dinge gewesen.
Durch eine Münzverschlcchterung wurden die Lebensmittel verteuert. Die
Arbeitslöhne konnten nicht mit den Warenpreisen steigen, weil durch die Weide¬
wirtschaft der Bedarf an Arbeitern vermindert und gleichzeitig durch den großen
Landraub bei der Klosteraufhebung und die Vertreibung der Klostcrpächter das
Angebot von Arbeit plötzlich enorm vermehrt wurde. Eine neue, in der Welt
bis dahin unbekannte Art von Geschöpfen entstand: lautlose Landarbeiter, die
doch keine Sklaven waren, deren Unterhalt also keinem bestimmten Herrn als
Pflicht oblag. Durch das Armengesetz sodann wurde den Arbeitern jede Mög¬
lichkeit abgeschnitten, jemals ihr Einkommen über das Existenzminimum hinaus
zu vermehren, und durch die grausame und schimpfliche Behandlung der Ar¬
beitslosen, sowie durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz dem Un¬
glück auch noch das Brandmal der Schande aufgedrückt, der ganze Arbeiter¬
stand aufs tiefste entwürdigt und völlig entsittlicht. Gegen das Jahr 1700
empfahl der schottische Patriot Fletcher von Saltoun, ein glühender Republi¬
kaner, die förmliche gesetzliche Wiedereinführung der Sklaverei als einziges
Heilmittel der allgemeinen Verwilderung, und da „das Volk" ja so wie so
zu keinem andern Zweck da sei, als für die Herren zu arbeiten. Dieser Fletcher
ist offenbar weit humaner gewesen als die Humanitütsschwätzer, die im acht¬
zehnten Jahrhundert nach ihm kamen. Die Einführung der Privatsklaverei
an Stelle der thatsächlich herrschenden Staatssklaverei würde die Lage des
Volks wirklich ganz wesentlich gebessert haben. Denn erstens gestaltet sich das


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[0638] Weder Kommunismus noch Aapitalismus andern Zweck, als um dem liederlichen hohen Adel die Mittel zu seinen un¬ erhörten Ausschweifungen zu liefern. Den Lohn ihrer Dummheit (es ist wiederum Rogers, der spricht) erntet die Pächterschaft jetzt durch ihren all¬ gemeinen Bankrott. Diese Politik, zusammen mit Mißwachs und den Kosten der napoleonischen Kriege, erzeugte das unerhörte Elend der Jahre 1780 bis 1820. Das siebzehnte Jahrhundert war die dramatische Zeit der großen Dichter und Denker, der großen Freiheitskämpfe, der großen originellen Charaktere; im achtzehnten wurde die Macht der Krone endgiltig gebrochen und das Disfentertum von der Tyrannei der Staatskirche befreit. Aber ach! nur um die Freiheit der besitzenden Minderheit hat es sich in diesen Freiheitskämpfern gehandelt. Und nur die Personen des politischen Dramas erscheinen auf der Schaubühne der Geschichte: die Kriegshelden, die Unternehmer der „glorreichen" Revolution, die großen Staatsmänner und Redner. Von dem arbeitenden und leidenden Volke, das diesen Helden das Leben und die Durchführung ihrer Rolle möglich machte, ist nichts zu sehen, es verschwindet vollständig. Es bildet kein Element der Politik mehr, so wenig wie das Lastvieh; nur durch das Studium der Lohnlisten kann sich der Forscher einen Begriff von ihn: verschaffen. Dies also war, um es zusammenzufassen, der Gang der Dinge gewesen. Durch eine Münzverschlcchterung wurden die Lebensmittel verteuert. Die Arbeitslöhne konnten nicht mit den Warenpreisen steigen, weil durch die Weide¬ wirtschaft der Bedarf an Arbeitern vermindert und gleichzeitig durch den großen Landraub bei der Klosteraufhebung und die Vertreibung der Klostcrpächter das Angebot von Arbeit plötzlich enorm vermehrt wurde. Eine neue, in der Welt bis dahin unbekannte Art von Geschöpfen entstand: lautlose Landarbeiter, die doch keine Sklaven waren, deren Unterhalt also keinem bestimmten Herrn als Pflicht oblag. Durch das Armengesetz sodann wurde den Arbeitern jede Mög¬ lichkeit abgeschnitten, jemals ihr Einkommen über das Existenzminimum hinaus zu vermehren, und durch die grausame und schimpfliche Behandlung der Ar¬ beitslosen, sowie durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz dem Un¬ glück auch noch das Brandmal der Schande aufgedrückt, der ganze Arbeiter¬ stand aufs tiefste entwürdigt und völlig entsittlicht. Gegen das Jahr 1700 empfahl der schottische Patriot Fletcher von Saltoun, ein glühender Republi¬ kaner, die förmliche gesetzliche Wiedereinführung der Sklaverei als einziges Heilmittel der allgemeinen Verwilderung, und da „das Volk" ja so wie so zu keinem andern Zweck da sei, als für die Herren zu arbeiten. Dieser Fletcher ist offenbar weit humaner gewesen als die Humanitütsschwätzer, die im acht¬ zehnten Jahrhundert nach ihm kamen. Die Einführung der Privatsklaverei an Stelle der thatsächlich herrschenden Staatssklaverei würde die Lage des Volks wirklich ganz wesentlich gebessert haben. Denn erstens gestaltet sich das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/638>, abgerufen am 23.12.2024.