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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Iveder Kommunismus noch Kapitalismus

Nach Ablauf der sieben Jahre wurde der Lehrling an die Luft gesetzt und
fiel aus der Klasse der Ig-dourinA in die der icllv ?vor herunter, da ja dank
den Lehrliugsgesetzeu kein Meister mehr bezahlte Gesellen brauchte. Dieser Zu¬
stand bildete sich allerdings erst später aus, nach Brentano in der letzten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Armengesetze, die mit dem vou 1601
ihren Abschluß fanden und bis 18.';5 galten, bestimmten, daß die Grafschafts¬
räte in ihren Vierteljahrsfitzungen den dem Lebensmittelpreife angemessenen
Lohn für die verschiednen Arbeiterklassen festsetzen sollten, der nicht über¬
schritten werdeu dürfe; aus dem Ertrage einer den Steuerzahlern auferlegten
Armentare sollten einerseits die arbeitsunfähigen Armen erhalten, andrerseits
die Tngelöhne solcher Arbeiter, die aus irgend einem Gründe deu gesetzlichen
Lohnsatz nicht erreichten, ergänzt werden.

Als der Verfasser dieses Aufsatzes das Armengesetz der Elisabeth zum
erstenmale kennen lernte, war er entzückt von der Humanität und Weisheit,
die ihm daraus zu sprechen schien. Bei näherer Betrachtung aber kühlte
sich diese Begeisterung bedeutend ab. Rogers hebt die Heuchelei hervor, mit
der alle einschlagenden Gesetze jeuer Zeit in der Einleitung das Elend der
Armen beklagen und dann Bestimmungen treffen, die dieses Elend unheilbar
machen. Das Armengesetz der Elisabeth giebt die Lohnfestsetzung den Friedens¬
richtern, also den Grundbesitzern und Großpächteru in die Hand, d. h. den¬
selben Personen, in deren Interesse es lag, den Arbeitslohn niederzuhalten.
Wenn sie ihn dem Lebensmittelpreise angemessen zu bestimmen hatten, so war
damit gemeint, daß er zum notdürftigen Lebensunterhalt gerade hinreichen
sollte. Damit war also ein wirkliches eisernes Lohngesetz gegeben; es war
fortan unmöglich, daß irgendwo in England der Lohn das Existenzmiuimum
überschritt, da ja der einzige Umstand, der eine Erhöhung darüber hinaus
hätte erzwingen können, der Mangel an Arbeitern, durch die oben angegebnen
Maßregeln beseitigt war. Die Kenntnis dieser Unmöglichkeit, sich aus der
Bettelarmut herauszuarbeiten, zusammen mit der Gewißheit, daß ihnen durch
^taatszwang das Existenzminimum gewährleistet sei, vernichtete in den eng¬
l
ischen Arbeitern alle wirtschaftlichen Tugenden. Sparsamkeit, Mäßigkeit, Für¬
sorge für die Zukunft, für die Kinder hatten unter diesem Umständen keinen
Sinn mehr. Und zu diesen beiden Übeln kam ein drittes. Wäre das Armen-
gesetz dem Buchstaben nach beobachtet worden, so würde die zwor rate, wie
man die Armeusteuer nennt, nach Rogers Ansicht das ganze Volkseinkommen
verschlungen haben, weil eben bei der im sechzehnten Jahrhundert zur Herr¬
schaft gelangten Wirtschaft das Land gar nicht imstande war, der gesamten
Bevölkerung den ausreichenden Unterhalt zu gewähren. Immerhin wirkte es
auch bei seiner uuvollstüudigeu Durchführung noch unheilvoll genug auf die
Mittelklassen. Die xoor rath betrug im Jahre 1785 über zwei Millionen
Pfund, 1802 mehr als das doppelte und 181Z sogar 8640842 Pfund, also


Grenzbowi IV 1892 7!)
Iveder Kommunismus noch Kapitalismus

Nach Ablauf der sieben Jahre wurde der Lehrling an die Luft gesetzt und
fiel aus der Klasse der Ig-dourinA in die der icllv ?vor herunter, da ja dank
den Lehrliugsgesetzeu kein Meister mehr bezahlte Gesellen brauchte. Dieser Zu¬
stand bildete sich allerdings erst später aus, nach Brentano in der letzten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Armengesetze, die mit dem vou 1601
ihren Abschluß fanden und bis 18.';5 galten, bestimmten, daß die Grafschafts¬
räte in ihren Vierteljahrsfitzungen den dem Lebensmittelpreife angemessenen
Lohn für die verschiednen Arbeiterklassen festsetzen sollten, der nicht über¬
schritten werdeu dürfe; aus dem Ertrage einer den Steuerzahlern auferlegten
Armentare sollten einerseits die arbeitsunfähigen Armen erhalten, andrerseits
die Tngelöhne solcher Arbeiter, die aus irgend einem Gründe deu gesetzlichen
Lohnsatz nicht erreichten, ergänzt werden.

Als der Verfasser dieses Aufsatzes das Armengesetz der Elisabeth zum
erstenmale kennen lernte, war er entzückt von der Humanität und Weisheit,
die ihm daraus zu sprechen schien. Bei näherer Betrachtung aber kühlte
sich diese Begeisterung bedeutend ab. Rogers hebt die Heuchelei hervor, mit
der alle einschlagenden Gesetze jeuer Zeit in der Einleitung das Elend der
Armen beklagen und dann Bestimmungen treffen, die dieses Elend unheilbar
machen. Das Armengesetz der Elisabeth giebt die Lohnfestsetzung den Friedens¬
richtern, also den Grundbesitzern und Großpächteru in die Hand, d. h. den¬
selben Personen, in deren Interesse es lag, den Arbeitslohn niederzuhalten.
Wenn sie ihn dem Lebensmittelpreise angemessen zu bestimmen hatten, so war
damit gemeint, daß er zum notdürftigen Lebensunterhalt gerade hinreichen
sollte. Damit war also ein wirkliches eisernes Lohngesetz gegeben; es war
fortan unmöglich, daß irgendwo in England der Lohn das Existenzmiuimum
überschritt, da ja der einzige Umstand, der eine Erhöhung darüber hinaus
hätte erzwingen können, der Mangel an Arbeitern, durch die oben angegebnen
Maßregeln beseitigt war. Die Kenntnis dieser Unmöglichkeit, sich aus der
Bettelarmut herauszuarbeiten, zusammen mit der Gewißheit, daß ihnen durch
^taatszwang das Existenzminimum gewährleistet sei, vernichtete in den eng¬
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ischen Arbeitern alle wirtschaftlichen Tugenden. Sparsamkeit, Mäßigkeit, Für¬
sorge für die Zukunft, für die Kinder hatten unter diesem Umständen keinen
Sinn mehr. Und zu diesen beiden Übeln kam ein drittes. Wäre das Armen-
gesetz dem Buchstaben nach beobachtet worden, so würde die zwor rate, wie
man die Armeusteuer nennt, nach Rogers Ansicht das ganze Volkseinkommen
verschlungen haben, weil eben bei der im sechzehnten Jahrhundert zur Herr¬
schaft gelangten Wirtschaft das Land gar nicht imstande war, der gesamten
Bevölkerung den ausreichenden Unterhalt zu gewähren. Immerhin wirkte es
auch bei seiner uuvollstüudigeu Durchführung noch unheilvoll genug auf die
Mittelklassen. Die xoor rath betrug im Jahre 1785 über zwei Millionen
Pfund, 1802 mehr als das doppelte und 181Z sogar 8640842 Pfund, also


Grenzbowi IV 1892 7!)
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[0633] Iveder Kommunismus noch Kapitalismus Nach Ablauf der sieben Jahre wurde der Lehrling an die Luft gesetzt und fiel aus der Klasse der Ig-dourinA in die der icllv ?vor herunter, da ja dank den Lehrliugsgesetzeu kein Meister mehr bezahlte Gesellen brauchte. Dieser Zu¬ stand bildete sich allerdings erst später aus, nach Brentano in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Armengesetze, die mit dem vou 1601 ihren Abschluß fanden und bis 18.';5 galten, bestimmten, daß die Grafschafts¬ räte in ihren Vierteljahrsfitzungen den dem Lebensmittelpreife angemessenen Lohn für die verschiednen Arbeiterklassen festsetzen sollten, der nicht über¬ schritten werdeu dürfe; aus dem Ertrage einer den Steuerzahlern auferlegten Armentare sollten einerseits die arbeitsunfähigen Armen erhalten, andrerseits die Tngelöhne solcher Arbeiter, die aus irgend einem Gründe deu gesetzlichen Lohnsatz nicht erreichten, ergänzt werden. Als der Verfasser dieses Aufsatzes das Armengesetz der Elisabeth zum erstenmale kennen lernte, war er entzückt von der Humanität und Weisheit, die ihm daraus zu sprechen schien. Bei näherer Betrachtung aber kühlte sich diese Begeisterung bedeutend ab. Rogers hebt die Heuchelei hervor, mit der alle einschlagenden Gesetze jeuer Zeit in der Einleitung das Elend der Armen beklagen und dann Bestimmungen treffen, die dieses Elend unheilbar machen. Das Armengesetz der Elisabeth giebt die Lohnfestsetzung den Friedens¬ richtern, also den Grundbesitzern und Großpächteru in die Hand, d. h. den¬ selben Personen, in deren Interesse es lag, den Arbeitslohn niederzuhalten. Wenn sie ihn dem Lebensmittelpreise angemessen zu bestimmen hatten, so war damit gemeint, daß er zum notdürftigen Lebensunterhalt gerade hinreichen sollte. Damit war also ein wirkliches eisernes Lohngesetz gegeben; es war fortan unmöglich, daß irgendwo in England der Lohn das Existenzmiuimum überschritt, da ja der einzige Umstand, der eine Erhöhung darüber hinaus hätte erzwingen können, der Mangel an Arbeitern, durch die oben angegebnen Maßregeln beseitigt war. Die Kenntnis dieser Unmöglichkeit, sich aus der Bettelarmut herauszuarbeiten, zusammen mit der Gewißheit, daß ihnen durch ^taatszwang das Existenzminimum gewährleistet sei, vernichtete in den eng¬ l ischen Arbeitern alle wirtschaftlichen Tugenden. Sparsamkeit, Mäßigkeit, Für¬ sorge für die Zukunft, für die Kinder hatten unter diesem Umständen keinen Sinn mehr. Und zu diesen beiden Übeln kam ein drittes. Wäre das Armen- gesetz dem Buchstaben nach beobachtet worden, so würde die zwor rate, wie man die Armeusteuer nennt, nach Rogers Ansicht das ganze Volkseinkommen verschlungen haben, weil eben bei der im sechzehnten Jahrhundert zur Herr¬ schaft gelangten Wirtschaft das Land gar nicht imstande war, der gesamten Bevölkerung den ausreichenden Unterhalt zu gewähren. Immerhin wirkte es auch bei seiner uuvollstüudigeu Durchführung noch unheilvoll genug auf die Mittelklassen. Die xoor rath betrug im Jahre 1785 über zwei Millionen Pfund, 1802 mehr als das doppelte und 181Z sogar 8640842 Pfund, also Grenzbowi IV 1892 7!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/633>, abgerufen am 23.07.2024.