Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weder Kommunismus noch Kapitalismus

die ungeheuersten zusammengeraubten Summen verschwanden spurlos, mau be¬
griff nicht, wohin sie kamen. Die Gold- und Silberschätze der Kathedralen und
Kloster, der Schrein des Heiligen Thomas Vecket, das Delphi der Engländer,
waren nur Tropfen auf einen heißen Stein. Da griff er, um sich zu helfen,
zu einer Müuzverschlechterung, die das englische Geld entwertete und die
Warenpreise in die Höhe trieb. Dies allein, erklärt Rogers, und nicht der
Silber- und Goldstrom der neuen Welt, der damals England noch gar nicht
erreicht hatte, sei die Ursache der allgemeinen Preissteigerung im sechzehnten
Jahrhundert gewesen, wenigstens für England. Die Kloster hatten, so ver¬
achtet und zum Teil verhaßt die Mönche auch waren, in sozialer Beziehung
ihre Obliegenheiten bis zu Ende erfüllt: sie hatten durch reichliches Almosen
die Armenpflege besorgt, so weit eine solche nötig war -- Massenelend gab
es ja bis dahin nicht, sondern nur individuelles Unglück und augenblickliche
Notlagen, z. B. auf der Wanderschaft --, und sie hatten auf ihren Gütern, die ein
Drittel des angebauten Landes umfaßten, zahlreiche" Bauernfamilien eine sichre
und auskömmliche Existenz gewährt. Heinrich machte die Klvsteraufhebung,
die er übrigeus auch ohne den Vrnch mit Rom durchgeführt haben würde,
dein Volke dadurch schmackhaft, daß er versprach, von dem Ertrage der Kloster¬
güter die gesamten Kosten des Kriegswesens zu bestreiten. Ebenso wurde
später, als mau die Grundstücke der Gilden einzog (uuter dem talvinischeu
Vorwande, ihr Ertrag werde zu abergläubischen Zwecken verwandt), die Be¬
völkerung mit dem Versprechen beschwichtigt, den Raub zur Dotation der
Schulen zu verwenden. Das Gildenvermögen hatte allerdings stiftungsgemäß
auch allerlei kirchliche Zwecke zu erfüllen, hauptsächlich aber diente es dazu,
den Gildenmeistern und ihren Familien über augenblickliche Nvtlngeu hinweg¬
zuhelfen. Nur in London, wo der Versuch der Konfiskation einen Volks-
aufstand erregt haben würde, blieb das Gildenvermögen verschont, ist aber bei
der spätern kapitalistischen Entwicklung der Nation seinein ursprünglichen Zwecke
gänzlich entfremdet worden. Die jetzigen Gildenmitglieder sind reiche Herrn,
deren keiner das Handwerk betreibt, von dem die Gilde den Namen hat, und
die Zinsen des Gildenkapitals verprassen sie in schwelgerischen Vruderinahleu,
bei denen die kostbarsten Weine in Strömen fließen; ein Teil der Einkünfte
fcheint allerdings zu gemeinnützigen Zwecken verwendet zu werden. Von jenen
Versprechungen nun wurde keine einzige gehalten. Das bewegliche Stifts¬
vermögen floß in den Privatschatz des Königs, der Grund und Boden aber
wurde nicht Krongut, sondern ein Raub der Seymours und Somersets, der
DndlehS und Ceeils und der übrigen Lauddiebe (Ausdruck von Rogers), die
den Knaben Eduard den Sechsten leiteten und das Land vom papistischen
Aberglauben reinigten. Über die Klosterpüchter brach nämlich das Verhängnis
nicht sofort herein, sondern erst unter Eduard dem Sechsten, weil die Pacht¬
verträge respektirt wurden und die, Mönche, die Auflösung vorhersehend, auf


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

die ungeheuersten zusammengeraubten Summen verschwanden spurlos, mau be¬
griff nicht, wohin sie kamen. Die Gold- und Silberschätze der Kathedralen und
Kloster, der Schrein des Heiligen Thomas Vecket, das Delphi der Engländer,
waren nur Tropfen auf einen heißen Stein. Da griff er, um sich zu helfen,
zu einer Müuzverschlechterung, die das englische Geld entwertete und die
Warenpreise in die Höhe trieb. Dies allein, erklärt Rogers, und nicht der
Silber- und Goldstrom der neuen Welt, der damals England noch gar nicht
erreicht hatte, sei die Ursache der allgemeinen Preissteigerung im sechzehnten
Jahrhundert gewesen, wenigstens für England. Die Kloster hatten, so ver¬
achtet und zum Teil verhaßt die Mönche auch waren, in sozialer Beziehung
ihre Obliegenheiten bis zu Ende erfüllt: sie hatten durch reichliches Almosen
die Armenpflege besorgt, so weit eine solche nötig war — Massenelend gab
es ja bis dahin nicht, sondern nur individuelles Unglück und augenblickliche
Notlagen, z. B. auf der Wanderschaft —, und sie hatten auf ihren Gütern, die ein
Drittel des angebauten Landes umfaßten, zahlreiche» Bauernfamilien eine sichre
und auskömmliche Existenz gewährt. Heinrich machte die Klvsteraufhebung,
die er übrigeus auch ohne den Vrnch mit Rom durchgeführt haben würde,
dein Volke dadurch schmackhaft, daß er versprach, von dem Ertrage der Kloster¬
güter die gesamten Kosten des Kriegswesens zu bestreiten. Ebenso wurde
später, als mau die Grundstücke der Gilden einzog (uuter dem talvinischeu
Vorwande, ihr Ertrag werde zu abergläubischen Zwecken verwandt), die Be¬
völkerung mit dem Versprechen beschwichtigt, den Raub zur Dotation der
Schulen zu verwenden. Das Gildenvermögen hatte allerdings stiftungsgemäß
auch allerlei kirchliche Zwecke zu erfüllen, hauptsächlich aber diente es dazu,
den Gildenmeistern und ihren Familien über augenblickliche Nvtlngeu hinweg¬
zuhelfen. Nur in London, wo der Versuch der Konfiskation einen Volks-
aufstand erregt haben würde, blieb das Gildenvermögen verschont, ist aber bei
der spätern kapitalistischen Entwicklung der Nation seinein ursprünglichen Zwecke
gänzlich entfremdet worden. Die jetzigen Gildenmitglieder sind reiche Herrn,
deren keiner das Handwerk betreibt, von dem die Gilde den Namen hat, und
die Zinsen des Gildenkapitals verprassen sie in schwelgerischen Vruderinahleu,
bei denen die kostbarsten Weine in Strömen fließen; ein Teil der Einkünfte
fcheint allerdings zu gemeinnützigen Zwecken verwendet zu werden. Von jenen
Versprechungen nun wurde keine einzige gehalten. Das bewegliche Stifts¬
vermögen floß in den Privatschatz des Königs, der Grund und Boden aber
wurde nicht Krongut, sondern ein Raub der Seymours und Somersets, der
DndlehS und Ceeils und der übrigen Lauddiebe (Ausdruck von Rogers), die
den Knaben Eduard den Sechsten leiteten und das Land vom papistischen
Aberglauben reinigten. Über die Klosterpüchter brach nämlich das Verhängnis
nicht sofort herein, sondern erst unter Eduard dem Sechsten, weil die Pacht¬
verträge respektirt wurden und die, Mönche, die Auflösung vorhersehend, auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213744"/>
          <fw type="header" place="top"> Weder Kommunismus noch Kapitalismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2009" prev="#ID_2008" next="#ID_2010"> die ungeheuersten zusammengeraubten Summen verschwanden spurlos, mau be¬<lb/>
griff nicht, wohin sie kamen. Die Gold- und Silberschätze der Kathedralen und<lb/>
Kloster, der Schrein des Heiligen Thomas Vecket, das Delphi der Engländer,<lb/>
waren nur Tropfen auf einen heißen Stein. Da griff er, um sich zu helfen,<lb/>
zu einer Müuzverschlechterung, die das englische Geld entwertete und die<lb/>
Warenpreise in die Höhe trieb. Dies allein, erklärt Rogers, und nicht der<lb/>
Silber- und Goldstrom der neuen Welt, der damals England noch gar nicht<lb/>
erreicht hatte, sei die Ursache der allgemeinen Preissteigerung im sechzehnten<lb/>
Jahrhundert gewesen, wenigstens für England. Die Kloster hatten, so ver¬<lb/>
achtet und zum Teil verhaßt die Mönche auch waren, in sozialer Beziehung<lb/>
ihre Obliegenheiten bis zu Ende erfüllt: sie hatten durch reichliches Almosen<lb/>
die Armenpflege besorgt, so weit eine solche nötig war &#x2014; Massenelend gab<lb/>
es ja bis dahin nicht, sondern nur individuelles Unglück und augenblickliche<lb/>
Notlagen, z. B. auf der Wanderschaft &#x2014;, und sie hatten auf ihren Gütern, die ein<lb/>
Drittel des angebauten Landes umfaßten, zahlreiche» Bauernfamilien eine sichre<lb/>
und auskömmliche Existenz gewährt. Heinrich machte die Klvsteraufhebung,<lb/>
die er übrigeus auch ohne den Vrnch mit Rom durchgeführt haben würde,<lb/>
dein Volke dadurch schmackhaft, daß er versprach, von dem Ertrage der Kloster¬<lb/>
güter die gesamten Kosten des Kriegswesens zu bestreiten. Ebenso wurde<lb/>
später, als mau die Grundstücke der Gilden einzog (uuter dem talvinischeu<lb/>
Vorwande, ihr Ertrag werde zu abergläubischen Zwecken verwandt), die Be¬<lb/>
völkerung mit dem Versprechen beschwichtigt, den Raub zur Dotation der<lb/>
Schulen zu verwenden. Das Gildenvermögen hatte allerdings stiftungsgemäß<lb/>
auch allerlei kirchliche Zwecke zu erfüllen, hauptsächlich aber diente es dazu,<lb/>
den Gildenmeistern und ihren Familien über augenblickliche Nvtlngeu hinweg¬<lb/>
zuhelfen. Nur in London, wo der Versuch der Konfiskation einen Volks-<lb/>
aufstand erregt haben würde, blieb das Gildenvermögen verschont, ist aber bei<lb/>
der spätern kapitalistischen Entwicklung der Nation seinein ursprünglichen Zwecke<lb/>
gänzlich entfremdet worden. Die jetzigen Gildenmitglieder sind reiche Herrn,<lb/>
deren keiner das Handwerk betreibt, von dem die Gilde den Namen hat, und<lb/>
die Zinsen des Gildenkapitals verprassen sie in schwelgerischen Vruderinahleu,<lb/>
bei denen die kostbarsten Weine in Strömen fließen; ein Teil der Einkünfte<lb/>
fcheint allerdings zu gemeinnützigen Zwecken verwendet zu werden. Von jenen<lb/>
Versprechungen nun wurde keine einzige gehalten. Das bewegliche Stifts¬<lb/>
vermögen floß in den Privatschatz des Königs, der Grund und Boden aber<lb/>
wurde nicht Krongut, sondern ein Raub der Seymours und Somersets, der<lb/>
DndlehS und Ceeils und der übrigen Lauddiebe (Ausdruck von Rogers), die<lb/>
den Knaben Eduard den Sechsten leiteten und das Land vom papistischen<lb/>
Aberglauben reinigten. Über die Klosterpüchter brach nämlich das Verhängnis<lb/>
nicht sofort herein, sondern erst unter Eduard dem Sechsten, weil die Pacht¬<lb/>
verträge respektirt wurden und die, Mönche, die Auflösung vorhersehend, auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0630] Weder Kommunismus noch Kapitalismus die ungeheuersten zusammengeraubten Summen verschwanden spurlos, mau be¬ griff nicht, wohin sie kamen. Die Gold- und Silberschätze der Kathedralen und Kloster, der Schrein des Heiligen Thomas Vecket, das Delphi der Engländer, waren nur Tropfen auf einen heißen Stein. Da griff er, um sich zu helfen, zu einer Müuzverschlechterung, die das englische Geld entwertete und die Warenpreise in die Höhe trieb. Dies allein, erklärt Rogers, und nicht der Silber- und Goldstrom der neuen Welt, der damals England noch gar nicht erreicht hatte, sei die Ursache der allgemeinen Preissteigerung im sechzehnten Jahrhundert gewesen, wenigstens für England. Die Kloster hatten, so ver¬ achtet und zum Teil verhaßt die Mönche auch waren, in sozialer Beziehung ihre Obliegenheiten bis zu Ende erfüllt: sie hatten durch reichliches Almosen die Armenpflege besorgt, so weit eine solche nötig war — Massenelend gab es ja bis dahin nicht, sondern nur individuelles Unglück und augenblickliche Notlagen, z. B. auf der Wanderschaft —, und sie hatten auf ihren Gütern, die ein Drittel des angebauten Landes umfaßten, zahlreiche» Bauernfamilien eine sichre und auskömmliche Existenz gewährt. Heinrich machte die Klvsteraufhebung, die er übrigeus auch ohne den Vrnch mit Rom durchgeführt haben würde, dein Volke dadurch schmackhaft, daß er versprach, von dem Ertrage der Kloster¬ güter die gesamten Kosten des Kriegswesens zu bestreiten. Ebenso wurde später, als mau die Grundstücke der Gilden einzog (uuter dem talvinischeu Vorwande, ihr Ertrag werde zu abergläubischen Zwecken verwandt), die Be¬ völkerung mit dem Versprechen beschwichtigt, den Raub zur Dotation der Schulen zu verwenden. Das Gildenvermögen hatte allerdings stiftungsgemäß auch allerlei kirchliche Zwecke zu erfüllen, hauptsächlich aber diente es dazu, den Gildenmeistern und ihren Familien über augenblickliche Nvtlngeu hinweg¬ zuhelfen. Nur in London, wo der Versuch der Konfiskation einen Volks- aufstand erregt haben würde, blieb das Gildenvermögen verschont, ist aber bei der spätern kapitalistischen Entwicklung der Nation seinein ursprünglichen Zwecke gänzlich entfremdet worden. Die jetzigen Gildenmitglieder sind reiche Herrn, deren keiner das Handwerk betreibt, von dem die Gilde den Namen hat, und die Zinsen des Gildenkapitals verprassen sie in schwelgerischen Vruderinahleu, bei denen die kostbarsten Weine in Strömen fließen; ein Teil der Einkünfte fcheint allerdings zu gemeinnützigen Zwecken verwendet zu werden. Von jenen Versprechungen nun wurde keine einzige gehalten. Das bewegliche Stifts¬ vermögen floß in den Privatschatz des Königs, der Grund und Boden aber wurde nicht Krongut, sondern ein Raub der Seymours und Somersets, der DndlehS und Ceeils und der übrigen Lauddiebe (Ausdruck von Rogers), die den Knaben Eduard den Sechsten leiteten und das Land vom papistischen Aberglauben reinigten. Über die Klosterpüchter brach nämlich das Verhängnis nicht sofort herein, sondern erst unter Eduard dem Sechsten, weil die Pacht¬ verträge respektirt wurden und die, Mönche, die Auflösung vorhersehend, auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/630
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/630>, abgerufen am 23.07.2024.