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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Prozeß gegen Ahlivardt

Wie sie gedruckt ist, in die Welt gegangen, und es hat sich darnach das Urteil
über die Justiz gebildet.

Vorausschicken müssen wir noch folgendes. Von Anfang an lastete auf
dem Angeklagten der Verdacht, daß er die Sache verschleppen wolle. Einige
Tage vor der am 29. November begonnenen Verhandlung hatte sich ein jüdischer
Journalist unter falschen Angaben in das Gefängnis eingeführt und Ahlwardt
die Mitteilung entlockt, daß er die Sache bis zu seiner (am T Dezember in
Ailssicht stehenden) Wahl sür deu Reichstag hinzuziehn versuche" wolle, um als-
dnun von seiner Immunität als Abgeordneter Gebrauch zu machen. Alsbald
hatte der Journalist diesen Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht, und schon
bei der ersten Verhandlung bezog sich der Staatsanwalt darauf. Nach der Straf-
Prvzeßorduung kaun das Gericht Anträge, die bei der mündlichen Verhand¬
lung gestellt werdeu, wenn es sie nicht für begründet erachtet, zurückweisen.
Ob es dabei der Annahme, daß der Antrag nur zur Verschleppung gestellt
sei, einen Einfluß einräumen Null, fällt seinem Ermessen anheim. Andre
Mittel, Verschleppungen zu begegnen, kennt die Prozeßordnung nicht.

Am ersten Verhlmdlungswge stellt der Verteidiger einen Vertagungsantrag,
weil der Angeklagte einen für die Sache präjudizirlichen Strafcmtrag gegen einen
Beteiligten gestellt habe. Der Antrag wird vom Staatsanwalt als verschleppend
bestritten. Es kommt zur Sprache, daß der Strnfantrng erst heute eingereicht worden
sei. Vors.- Erst heute? Warnmist das nicht schon vor drei Wochen geschehn? --
Angell. (führt Gründe dafür an). -- Vors.: Es läßt sich nicht leugnen, daß die
ganze Sache sehr nach Verschleppung riecht. -- Der Verteidiger verwahrt den
Angeklagten gegen diesen Vorwurf; er mache nur von einem ihm zustehenden
Rechte Gebrauch.

Wozu dieser Borwnrf, deu der Vorsitzende noch überdies in eine gehässige
Sprachfvrm einkleidete?

Am zweiten Tage führt der Angeklagte an, daß er vor Veröffentlichung seiner
Broschüre mehrfach versucht habe, sich an den Kriegsminister zu wenden, diesen
aber nie getroffen habe. An andre Offiziere habe er sich nicht wenden "vollen,
weil er wisse, daß ein hoher Offizier im Kriegsministerium auch ein Jude sei. --
Vors.: Das ist gewiß wieder nicht wahr. -- Angell.: Daß der betreffende ein
Jude ist, kann ich beweisen. Es ist ein getaufter Jude. -- Vors.: Ans wie weit
wollen Sie in dieser Beziehung zurückgehn? -- Angell.: Auf immer. Zwischen
Germanen und Juden giebt es leine Vereinigung. -- Verleid.: Der Angeklagte
l^de ans dem Standpunkt, daß anch die getauften Juden noch als Juden zu er¬
kennen und zu bezeichnen seien. -- Vors.: Das ist nicht als richtig anzuerkennen.
Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ geworden,
dann ist er eben Christ. -- Verteid.: Für den Angeklagten giebt es Juden, evan¬
gelische Juden und katholische Juden.

Es ist bekannt, daß viele Antisemiten den Gegensatz der Juden zu der
übrigen Bevölkerung Deutschlands nicht in dem Gegensatze der Religion, sondern
der Rasse finden. Welchen Beruf hatte der Vorsitzende, diese Frage durch


Der Prozeß gegen Ahlivardt

Wie sie gedruckt ist, in die Welt gegangen, und es hat sich darnach das Urteil
über die Justiz gebildet.

Vorausschicken müssen wir noch folgendes. Von Anfang an lastete auf
dem Angeklagten der Verdacht, daß er die Sache verschleppen wolle. Einige
Tage vor der am 29. November begonnenen Verhandlung hatte sich ein jüdischer
Journalist unter falschen Angaben in das Gefängnis eingeführt und Ahlwardt
die Mitteilung entlockt, daß er die Sache bis zu seiner (am T Dezember in
Ailssicht stehenden) Wahl sür deu Reichstag hinzuziehn versuche» wolle, um als-
dnun von seiner Immunität als Abgeordneter Gebrauch zu machen. Alsbald
hatte der Journalist diesen Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht, und schon
bei der ersten Verhandlung bezog sich der Staatsanwalt darauf. Nach der Straf-
Prvzeßorduung kaun das Gericht Anträge, die bei der mündlichen Verhand¬
lung gestellt werdeu, wenn es sie nicht für begründet erachtet, zurückweisen.
Ob es dabei der Annahme, daß der Antrag nur zur Verschleppung gestellt
sei, einen Einfluß einräumen Null, fällt seinem Ermessen anheim. Andre
Mittel, Verschleppungen zu begegnen, kennt die Prozeßordnung nicht.

Am ersten Verhlmdlungswge stellt der Verteidiger einen Vertagungsantrag,
weil der Angeklagte einen für die Sache präjudizirlichen Strafcmtrag gegen einen
Beteiligten gestellt habe. Der Antrag wird vom Staatsanwalt als verschleppend
bestritten. Es kommt zur Sprache, daß der Strnfantrng erst heute eingereicht worden
sei. Vors.- Erst heute? Warnmist das nicht schon vor drei Wochen geschehn? —
Angell. (führt Gründe dafür an). — Vors.: Es läßt sich nicht leugnen, daß die
ganze Sache sehr nach Verschleppung riecht. — Der Verteidiger verwahrt den
Angeklagten gegen diesen Vorwurf; er mache nur von einem ihm zustehenden
Rechte Gebrauch.

Wozu dieser Borwnrf, deu der Vorsitzende noch überdies in eine gehässige
Sprachfvrm einkleidete?

Am zweiten Tage führt der Angeklagte an, daß er vor Veröffentlichung seiner
Broschüre mehrfach versucht habe, sich an den Kriegsminister zu wenden, diesen
aber nie getroffen habe. An andre Offiziere habe er sich nicht wenden »vollen,
weil er wisse, daß ein hoher Offizier im Kriegsministerium auch ein Jude sei. —
Vors.: Das ist gewiß wieder nicht wahr. — Angell.: Daß der betreffende ein
Jude ist, kann ich beweisen. Es ist ein getaufter Jude. — Vors.: Ans wie weit
wollen Sie in dieser Beziehung zurückgehn? — Angell.: Auf immer. Zwischen
Germanen und Juden giebt es leine Vereinigung. — Verleid.: Der Angeklagte
l^de ans dem Standpunkt, daß anch die getauften Juden noch als Juden zu er¬
kennen und zu bezeichnen seien. — Vors.: Das ist nicht als richtig anzuerkennen.
Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ geworden,
dann ist er eben Christ. — Verteid.: Für den Angeklagten giebt es Juden, evan¬
gelische Juden und katholische Juden.

Es ist bekannt, daß viele Antisemiten den Gegensatz der Juden zu der
übrigen Bevölkerung Deutschlands nicht in dem Gegensatze der Religion, sondern
der Rasse finden. Welchen Beruf hatte der Vorsitzende, diese Frage durch


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[0619] Der Prozeß gegen Ahlivardt Wie sie gedruckt ist, in die Welt gegangen, und es hat sich darnach das Urteil über die Justiz gebildet. Vorausschicken müssen wir noch folgendes. Von Anfang an lastete auf dem Angeklagten der Verdacht, daß er die Sache verschleppen wolle. Einige Tage vor der am 29. November begonnenen Verhandlung hatte sich ein jüdischer Journalist unter falschen Angaben in das Gefängnis eingeführt und Ahlwardt die Mitteilung entlockt, daß er die Sache bis zu seiner (am T Dezember in Ailssicht stehenden) Wahl sür deu Reichstag hinzuziehn versuche» wolle, um als- dnun von seiner Immunität als Abgeordneter Gebrauch zu machen. Alsbald hatte der Journalist diesen Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht, und schon bei der ersten Verhandlung bezog sich der Staatsanwalt darauf. Nach der Straf- Prvzeßorduung kaun das Gericht Anträge, die bei der mündlichen Verhand¬ lung gestellt werdeu, wenn es sie nicht für begründet erachtet, zurückweisen. Ob es dabei der Annahme, daß der Antrag nur zur Verschleppung gestellt sei, einen Einfluß einräumen Null, fällt seinem Ermessen anheim. Andre Mittel, Verschleppungen zu begegnen, kennt die Prozeßordnung nicht. Am ersten Verhlmdlungswge stellt der Verteidiger einen Vertagungsantrag, weil der Angeklagte einen für die Sache präjudizirlichen Strafcmtrag gegen einen Beteiligten gestellt habe. Der Antrag wird vom Staatsanwalt als verschleppend bestritten. Es kommt zur Sprache, daß der Strnfantrng erst heute eingereicht worden sei. Vors.- Erst heute? Warnmist das nicht schon vor drei Wochen geschehn? — Angell. (führt Gründe dafür an). — Vors.: Es läßt sich nicht leugnen, daß die ganze Sache sehr nach Verschleppung riecht. — Der Verteidiger verwahrt den Angeklagten gegen diesen Vorwurf; er mache nur von einem ihm zustehenden Rechte Gebrauch. Wozu dieser Borwnrf, deu der Vorsitzende noch überdies in eine gehässige Sprachfvrm einkleidete? Am zweiten Tage führt der Angeklagte an, daß er vor Veröffentlichung seiner Broschüre mehrfach versucht habe, sich an den Kriegsminister zu wenden, diesen aber nie getroffen habe. An andre Offiziere habe er sich nicht wenden »vollen, weil er wisse, daß ein hoher Offizier im Kriegsministerium auch ein Jude sei. — Vors.: Das ist gewiß wieder nicht wahr. — Angell.: Daß der betreffende ein Jude ist, kann ich beweisen. Es ist ein getaufter Jude. — Vors.: Ans wie weit wollen Sie in dieser Beziehung zurückgehn? — Angell.: Auf immer. Zwischen Germanen und Juden giebt es leine Vereinigung. — Verleid.: Der Angeklagte l^de ans dem Standpunkt, daß anch die getauften Juden noch als Juden zu er¬ kennen und zu bezeichnen seien. — Vors.: Das ist nicht als richtig anzuerkennen. Entweder ist jemand ein Jude, dann ist er es eben; oder er ist Christ geworden, dann ist er eben Christ. — Verteid.: Für den Angeklagten giebt es Juden, evan¬ gelische Juden und katholische Juden. Es ist bekannt, daß viele Antisemiten den Gegensatz der Juden zu der übrigen Bevölkerung Deutschlands nicht in dem Gegensatze der Religion, sondern der Rasse finden. Welchen Beruf hatte der Vorsitzende, diese Frage durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/619>, abgerufen am 23.07.2024.