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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

Nachdem auf diese Weise in ganz Preußen Handel und Industrie Ber-
tretungskörper erhalten hatten, versuchte man, da man mit dem Erfolge zu¬
frieden war, auch dem Handwerk eine geordnete Vertretung zu geben. Die
hierfür gewählte Form waren die "Gewerberäte," eine Einrichtung, die die
drei Gruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk so verständnislos zu ver¬
einigen suchte (anfangs sogar mit Heranziehung der Arbeiter), daß die meisten
der 1849 ins Leben gerufenen neunzig Kammern bald wieder eingingen. Im
Jahre 1870 wurden die Handelskammer" auch auf die inzwischen neu er¬
worbenen preußischen Landesteile ausgedehnt und zugleich eine Umformung
vorgenommen, die freilich wenig glücklich, jedenfalls in keiner Weise aus¬
reichend war. Der rasche Aufschwung von Handel und Industrie nach 1870
drängte auch die Interessen der einzelnen Erwerbsgruppen in ungeahnter
Weise in den Vordergrund, und da nus den gewerblichen Kreisen selbst wieder¬
holte Anträge kamen, hielt es der damalige preußische Handelsminister, Fürst
Bismarck, im Interesse des Staates für notwendig, die gewaltig sich regenden
und einander kreuzenden wirtschaftlichen Interessen zu sammeln und zu sichten,
um gegenüber den täglich neu an die Verwaltung herantretenden Aufgaben
und Anträgen auf zuverlässige Organe zurückgreifen zu können. In seinem
Erlaß vom 18. Dezember 1882 (an die Handelskammer in Osnabrück)
sprach er seine Überzeugung dahin aus, daß die wirtschaftliche Interessen¬
vertretung für sämtliche Zweige der gewerblichen Thätigkeit in den einzelnen
Landesbezirken unbedingt einheitlich organisirt werden müsse, und zwar sür
die Gruppen des Handels, der Industrie, der Kleingewerbe und der Land¬
wirtschaft. Er versicherte auch, daß er die Vorarbeiten für diese Reform der In¬
teressenvertretung bereits eingeleitet habe. Da aber diese Vorarbeiten nicht
so bald zum Abschluß gelangten, rief er in den "Gewerbekammern" interimistische
Einrichtungen auf dem Verwaltungswege ins Leben, die im besten Falle nur
die von ihm geplanten Reformen beeinträchtigen konnten. Denn da die Ge¬
werbekammern infolge ihrer fehlerhaften Zusammensetzung (die Mitglieder der
Kollegien wurden nicht einmal von ihren Berufsgenossen selbst gewählt) uicht
wirken konnten, vielmehr nach und nach an Unthätigkeit und Bedeutungs¬
losigkeit hinstarben, verminderte sich in den beteiligten Kreisen das Vertrauen
dazu, daß die preußische Verwaltung überhaupt das ausreichende praktische
Geschick besitze, endlich einmal wirklich brauchbare und dauerhafte Bildungen
zu schaffen, in denen die gewerblichen Interessen einen unbeeinflußten und
doch wirksamen Ausdruck finden könnten.

Es würde zu weit führen, wenn wir hier auf alle die Reformvorschlüge
näher eingehen wollten, die gleichzeitig aus den Kreisen von Volkswirten und
Fachmännern zur Lösung der so wichtigen Frage der Regierung unterbreitet
wurden. Wir wollen nur andeute", wie sich die hervorragender!? unter ihnen
den Neubau gedacht haben.


Reformen auf dem Gebiete der Interessenvertretungen

Nachdem auf diese Weise in ganz Preußen Handel und Industrie Ber-
tretungskörper erhalten hatten, versuchte man, da man mit dem Erfolge zu¬
frieden war, auch dem Handwerk eine geordnete Vertretung zu geben. Die
hierfür gewählte Form waren die „Gewerberäte," eine Einrichtung, die die
drei Gruppen: Handel, Fabrikation und Handwerk so verständnislos zu ver¬
einigen suchte (anfangs sogar mit Heranziehung der Arbeiter), daß die meisten
der 1849 ins Leben gerufenen neunzig Kammern bald wieder eingingen. Im
Jahre 1870 wurden die Handelskammer» auch auf die inzwischen neu er¬
worbenen preußischen Landesteile ausgedehnt und zugleich eine Umformung
vorgenommen, die freilich wenig glücklich, jedenfalls in keiner Weise aus¬
reichend war. Der rasche Aufschwung von Handel und Industrie nach 1870
drängte auch die Interessen der einzelnen Erwerbsgruppen in ungeahnter
Weise in den Vordergrund, und da nus den gewerblichen Kreisen selbst wieder¬
holte Anträge kamen, hielt es der damalige preußische Handelsminister, Fürst
Bismarck, im Interesse des Staates für notwendig, die gewaltig sich regenden
und einander kreuzenden wirtschaftlichen Interessen zu sammeln und zu sichten,
um gegenüber den täglich neu an die Verwaltung herantretenden Aufgaben
und Anträgen auf zuverlässige Organe zurückgreifen zu können. In seinem
Erlaß vom 18. Dezember 1882 (an die Handelskammer in Osnabrück)
sprach er seine Überzeugung dahin aus, daß die wirtschaftliche Interessen¬
vertretung für sämtliche Zweige der gewerblichen Thätigkeit in den einzelnen
Landesbezirken unbedingt einheitlich organisirt werden müsse, und zwar sür
die Gruppen des Handels, der Industrie, der Kleingewerbe und der Land¬
wirtschaft. Er versicherte auch, daß er die Vorarbeiten für diese Reform der In¬
teressenvertretung bereits eingeleitet habe. Da aber diese Vorarbeiten nicht
so bald zum Abschluß gelangten, rief er in den „Gewerbekammern" interimistische
Einrichtungen auf dem Verwaltungswege ins Leben, die im besten Falle nur
die von ihm geplanten Reformen beeinträchtigen konnten. Denn da die Ge¬
werbekammern infolge ihrer fehlerhaften Zusammensetzung (die Mitglieder der
Kollegien wurden nicht einmal von ihren Berufsgenossen selbst gewählt) uicht
wirken konnten, vielmehr nach und nach an Unthätigkeit und Bedeutungs¬
losigkeit hinstarben, verminderte sich in den beteiligten Kreisen das Vertrauen
dazu, daß die preußische Verwaltung überhaupt das ausreichende praktische
Geschick besitze, endlich einmal wirklich brauchbare und dauerhafte Bildungen
zu schaffen, in denen die gewerblichen Interessen einen unbeeinflußten und
doch wirksamen Ausdruck finden könnten.

Es würde zu weit führen, wenn wir hier auf alle die Reformvorschlüge
näher eingehen wollten, die gleichzeitig aus den Kreisen von Volkswirten und
Fachmännern zur Lösung der so wichtigen Frage der Regierung unterbreitet
wurden. Wir wollen nur andeute», wie sich die hervorragender!? unter ihnen
den Neubau gedacht haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/60>, abgerufen am 23.07.2024.