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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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I/'alten et Lu'een"s"

Nur pflegen die modernen Belsazars nicht nach Sterndeutern und Propheten
auszusenden, sie sind durch die unangenehmen Erfahrungen gewitzigt, welche
Babels Monarch mit dem "frechen Juden" Daniel machte, sie bestreben sich
also lieber der unliebsamen Mahnung den Rücken zu kehren und dnrch ver¬
doppelt laute Lust die uuruhvvlle Bewegung des Innern zu übertäuben, so
gut es eben gehn will. Und gelingt dies in der realen Welt nicht mehr, weil
die ehernen Schritte der sich organisirenden Nrbeiterbataillone nllznvernehmlich
erdröhnen, die Kommandornfe der sozialistischen Führer allzugrell die Luft
durchschneidend mißtönig an verzärtelte Ohren dringen, dann flüchtet man "ans
des Lebens engen Schranken in der Ideale Reich," dann soll die Kunst das
freundliche Asyl bieten, wo "die Waffen ruhn, des Kriegs Stürme schweigen,"
denn, um nochmals mit Schiller zu sprechen, wenn die Bourgeoisie sich auch
genötigt sieht, auf manchem andern Gebiete Konzessionen zu macheu, so kann
sie doch stolz ausrufen: "Die Kunst, v Mensch, hast du allein." Menschen
im wahren Sinne nämlich sind nur die kunstsinnigen Gebildeten und Besitzen¬
den, nicht die wimmelnden Massen der kunstfeindlichen Barbaren des Prole¬
tariats. Und in der That! Wie die bürgerlichen Klassen sich das Recht nach
ihren Bedürfnissen zugeschnitten haben, so wußten sie auch die Kunst sich
dienstbar zu machen. Die bürgerliche Kunst steht deu besitzlosen Volksklassen
nicht minder feindlich gegenüber, als das bürgerliche Recht, und es verlohnt
sich wohl, die Thatsache zum deutliche" Bewußtsein zu bringen, deren sich
jeder Denkende dunkel bewußt ist, daß unsre Kunst in erster Linie für die Be¬
dürfnisse der Besitzenden arbeitet und in erster Linie auch nnr für diese vor¬
handen sei ^ist!j, daß die Kunstkenntnis der Mittellosen womöglich noch ge¬
ringer ist als ihre Nechtskenntnis. Wenn aber der erste österreichische Finanz¬
minister or. Emil Steinbach in einem 187" im "Wissenschaftlicher Kind" in
Wien gehaltnen Vortrage diesen Mangel an Rechtskenntnis so sehr bedauerte,
sollte der Mangel an Kunstkenutnis, das heißt der Bekanntschaft mit den
Meisterwerken der Malerei nud Skulptur, der Musik und der Litteratur, nicht
noch viel beklagenswerter sein? Sollte es nicht als eine der dringendsten
Pflichten einer ernsthaften Sozialreform erscheinen, der bürgerlichen Kunst
dazu zu verhelfe", daß sie Menschheitskunst werden könne, deu besitzlosen Volks-
klassen zur Besserung ihrer geistigen Notlage, wie zu jener j!s ihres materielle"
Notstandes hilfreiche Hand zu biete"?"

Die Frage, so gestellt, wie es Herr or. Reich hier getha" hat, werden
wir, und mit uns Unzählige, mit ja beantworten müssen. Wer, nnßer den
großen Protze" und jene" traurigen Gelehrten, die sich zu Schleppenträger"
und Diener" der großen Protzen erniedrigen, würde sie anders beantworten
könne"? Wer sollte nicht wünschen, daß wenigstens der Teil der bildende"
Kunst, der Musik und Malerei, aus dem das Volk im breitesten und weitesten
Sinne Genuß und Erhebung schöpfen könnte, Allgemeingnt werde, wer zweifelt


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Nur pflegen die modernen Belsazars nicht nach Sterndeutern und Propheten
auszusenden, sie sind durch die unangenehmen Erfahrungen gewitzigt, welche
Babels Monarch mit dem »frechen Juden« Daniel machte, sie bestreben sich
also lieber der unliebsamen Mahnung den Rücken zu kehren und dnrch ver¬
doppelt laute Lust die uuruhvvlle Bewegung des Innern zu übertäuben, so
gut es eben gehn will. Und gelingt dies in der realen Welt nicht mehr, weil
die ehernen Schritte der sich organisirenden Nrbeiterbataillone nllznvernehmlich
erdröhnen, die Kommandornfe der sozialistischen Führer allzugrell die Luft
durchschneidend mißtönig an verzärtelte Ohren dringen, dann flüchtet man »ans
des Lebens engen Schranken in der Ideale Reich,« dann soll die Kunst das
freundliche Asyl bieten, wo »die Waffen ruhn, des Kriegs Stürme schweigen,«
denn, um nochmals mit Schiller zu sprechen, wenn die Bourgeoisie sich auch
genötigt sieht, auf manchem andern Gebiete Konzessionen zu macheu, so kann
sie doch stolz ausrufen: »Die Kunst, v Mensch, hast du allein.« Menschen
im wahren Sinne nämlich sind nur die kunstsinnigen Gebildeten und Besitzen¬
den, nicht die wimmelnden Massen der kunstfeindlichen Barbaren des Prole¬
tariats. Und in der That! Wie die bürgerlichen Klassen sich das Recht nach
ihren Bedürfnissen zugeschnitten haben, so wußten sie auch die Kunst sich
dienstbar zu machen. Die bürgerliche Kunst steht deu besitzlosen Volksklassen
nicht minder feindlich gegenüber, als das bürgerliche Recht, und es verlohnt
sich wohl, die Thatsache zum deutliche» Bewußtsein zu bringen, deren sich
jeder Denkende dunkel bewußt ist, daß unsre Kunst in erster Linie für die Be¬
dürfnisse der Besitzenden arbeitet und in erster Linie auch nnr für diese vor¬
handen sei ^ist!j, daß die Kunstkenntnis der Mittellosen womöglich noch ge¬
ringer ist als ihre Nechtskenntnis. Wenn aber der erste österreichische Finanz¬
minister or. Emil Steinbach in einem 187« im »Wissenschaftlicher Kind« in
Wien gehaltnen Vortrage diesen Mangel an Rechtskenntnis so sehr bedauerte,
sollte der Mangel an Kunstkenutnis, das heißt der Bekanntschaft mit den
Meisterwerken der Malerei nud Skulptur, der Musik und der Litteratur, nicht
noch viel beklagenswerter sein? Sollte es nicht als eine der dringendsten
Pflichten einer ernsthaften Sozialreform erscheinen, der bürgerlichen Kunst
dazu zu verhelfe», daß sie Menschheitskunst werden könne, deu besitzlosen Volks-
klassen zur Besserung ihrer geistigen Notlage, wie zu jener j!s ihres materielle»
Notstandes hilfreiche Hand zu biete»?"

Die Frage, so gestellt, wie es Herr or. Reich hier getha» hat, werden
wir, und mit uns Unzählige, mit ja beantworten müssen. Wer, nnßer den
großen Protze» und jene» traurigen Gelehrten, die sich zu Schleppenträger»
und Diener» der großen Protzen erniedrigen, würde sie anders beantworten
könne»? Wer sollte nicht wünschen, daß wenigstens der Teil der bildende»
Kunst, der Musik und Malerei, aus dem das Volk im breitesten und weitesten
Sinne Genuß und Erhebung schöpfen könnte, Allgemeingnt werde, wer zweifelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/590>, abgerufen am 23.07.2024.