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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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I^nem et Liioen^e^

gedruckten?Möiu se (?iroLU8ks! stellt sich uns auch eine Schrift dar, die sich
Die bürgerliche Kunst und die besitzlose" Volksklassen betitelt, vor
kurzem in Leipzig bei Wilhelm Friedrich erschienen ist und Herrn Dr. Emil
Reich, Privntdozenteu für Philosophie an der Universität in Wien, zum
Verfasser hat. Aus einem Vortrag über die soziale Frage im modernen
Drama hervorgewachsen, verbreitet sie sich zugleich über die soziale Frage
und über eine Reihe der wichtigsten Kunstfragen der Gegenwart.

Der Verfasser, dessen Ernst und Überzeugung wir nicht in Frage stellen
wollen, leitet sein Buch mit der Schilderung eines Bildes von dem Wiener
Meister Joseph Danhcmser.ein, "Der Prasser," das die Erscheinung des armen
Lazarus auf der Schwelle des Reichen und die Entrüstung einer vergnügten
Tischgesellschaft über die unliebsame Störung durch den zudringlichen und
häßlichen Bettler darstellt. "Seit die Arbeiterbewegung in allen Staaten so
mächtig angeschwollen ist, daß man mit diesem Faktor als einem eventuell
sogar ausschlaggebenden zu rechnen sich gezwungen sieht, beginnt man (zwar
mehr der Not, als dein eignen Triebe gehorchend), wenigstens auf politischem
Gebiet, freilich laugsam und zögernd genug, die Forderungen der Enterbten
ans ihren berechtigten Kern hin zu prüfen, doch kann kein Unbefangner zu
jenen sonderbaren Schwärmern zählen, welche, kaum daß einige Anfänge ge¬
macht wurden, ein paar Spateustiche geschahn, bereits von der "Krönung des
Gebäudes" phantasiren und die soziale Resormarbeit schon an ihrem Ziele
glauben. Wie weit wir hiervon noch entfernt sind, dafür zeugte vor kurzem
mit erschreckender Deutlichkeit die Schrift eiues hervorragenden Gelehrten, des
Wiener Universitätsprofessvrs Anton Menger. "Das bürgerliche Recht und die
besitzlosen Volksklassen." Das Bild Dcmhansers nun kann, wenn dies anch
gar nicht die Absicht des Künstlers war, als symbolisch gelten, sowohl für
die Haltung, welche die große Mehrzahl der Besitzenden den Besitzlosen gegen¬
über einzunehmen pflegt, als für die Stellung, welche der sozialen Frage in
der Kunst zugewiesen wird. Sie erscheint, wo sie sich meldet, als ein zu¬
dringlicher Bettler, der die Feste und den Frohsinn der im Besitz schwelgen¬
den stört, als ein unwillkommener Eindringling, den man mit einer Mischung
von Grauen und Abscheu betrachtet lind so schnell als möglich zu entfernen
strebt. Dies ist ja das Verfahren, welches die Begünstigten, die Genießenden
bon jeher gegen die Nachdrängenden einschlugen, die draußen stehenden Hunger-
leider, welche den Saal zu überfallen drohten, wo man so köstlich tafelte.
Seit jenem Festmahl zu Babylon, wo König Belsazar beim Schmause saß,
wiederholt sich stets das gleiche Schauspiel, die entartete Klasse der Herrscher
oder herrschende Klasse verspottet die Ideale der Unterdrückten und verhöhnt
ihre sehnsüchtige" Hoffnungen, während sie die eigne Obmacht für ewig be¬
seitigt glaubt, zugleich aber leuchtet an der hellen Wand drohend die Flcnumeu-
schrift auf: Usus I'eckel, Isxlmrsin (Gezählt, gewogen und zu leicht befunden).


I^nem et Liioen^e^

gedruckten?Möiu se (?iroLU8ks! stellt sich uns auch eine Schrift dar, die sich
Die bürgerliche Kunst und die besitzlose» Volksklassen betitelt, vor
kurzem in Leipzig bei Wilhelm Friedrich erschienen ist und Herrn Dr. Emil
Reich, Privntdozenteu für Philosophie an der Universität in Wien, zum
Verfasser hat. Aus einem Vortrag über die soziale Frage im modernen
Drama hervorgewachsen, verbreitet sie sich zugleich über die soziale Frage
und über eine Reihe der wichtigsten Kunstfragen der Gegenwart.

Der Verfasser, dessen Ernst und Überzeugung wir nicht in Frage stellen
wollen, leitet sein Buch mit der Schilderung eines Bildes von dem Wiener
Meister Joseph Danhcmser.ein, „Der Prasser," das die Erscheinung des armen
Lazarus auf der Schwelle des Reichen und die Entrüstung einer vergnügten
Tischgesellschaft über die unliebsame Störung durch den zudringlichen und
häßlichen Bettler darstellt. „Seit die Arbeiterbewegung in allen Staaten so
mächtig angeschwollen ist, daß man mit diesem Faktor als einem eventuell
sogar ausschlaggebenden zu rechnen sich gezwungen sieht, beginnt man (zwar
mehr der Not, als dein eignen Triebe gehorchend), wenigstens auf politischem
Gebiet, freilich laugsam und zögernd genug, die Forderungen der Enterbten
ans ihren berechtigten Kern hin zu prüfen, doch kann kein Unbefangner zu
jenen sonderbaren Schwärmern zählen, welche, kaum daß einige Anfänge ge¬
macht wurden, ein paar Spateustiche geschahn, bereits von der »Krönung des
Gebäudes« phantasiren und die soziale Resormarbeit schon an ihrem Ziele
glauben. Wie weit wir hiervon noch entfernt sind, dafür zeugte vor kurzem
mit erschreckender Deutlichkeit die Schrift eiues hervorragenden Gelehrten, des
Wiener Universitätsprofessvrs Anton Menger. »Das bürgerliche Recht und die
besitzlosen Volksklassen.« Das Bild Dcmhansers nun kann, wenn dies anch
gar nicht die Absicht des Künstlers war, als symbolisch gelten, sowohl für
die Haltung, welche die große Mehrzahl der Besitzenden den Besitzlosen gegen¬
über einzunehmen pflegt, als für die Stellung, welche der sozialen Frage in
der Kunst zugewiesen wird. Sie erscheint, wo sie sich meldet, als ein zu¬
dringlicher Bettler, der die Feste und den Frohsinn der im Besitz schwelgen¬
den stört, als ein unwillkommener Eindringling, den man mit einer Mischung
von Grauen und Abscheu betrachtet lind so schnell als möglich zu entfernen
strebt. Dies ist ja das Verfahren, welches die Begünstigten, die Genießenden
bon jeher gegen die Nachdrängenden einschlugen, die draußen stehenden Hunger-
leider, welche den Saal zu überfallen drohten, wo man so köstlich tafelte.
Seit jenem Festmahl zu Babylon, wo König Belsazar beim Schmause saß,
wiederholt sich stets das gleiche Schauspiel, die entartete Klasse der Herrscher
oder herrschende Klasse verspottet die Ideale der Unterdrückten und verhöhnt
ihre sehnsüchtige» Hoffnungen, während sie die eigne Obmacht für ewig be¬
seitigt glaubt, zugleich aber leuchtet an der hellen Wand drohend die Flcnumeu-
schrift auf: Usus I'eckel, Isxlmrsin (Gezählt, gewogen und zu leicht befunden).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/589>, abgerufen am 23.07.2024.