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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Bücher

weder auf das eine "och auf das andre mit Ja antworten können. Den be¬
zeichneten beiden Anforderungen schien kein Thema in einem so hohen Grade
zu entsprechen, wie das Verhältnis der Manchesterpartei zu dein Wesen deS
Staats und den Aufgaben der gegenwärtigen Staaten. Daß die Kenntnis
davon, was diese Partei in England gelehrt, erstrebt, geleistet und nicht ge¬
leistet hat, für die richtige Beurteilung der Arbeiterverhältnisse in allen Ländern
mit entwickelter Industrie unentbehrlich ist, das weiß jeder, der sich mit dein
Gegenstande beschäftigt hat, gleichviel auf welcher Seite er steht, und davon
hoffe ich diejenigen unter Ihnen, denen er fremd ist, zu überzeugen. Daß der
Gegenstand, wie jede Erscheinung in der Geschichte eines andern Volks, trotz
seiner Beziehungen zu unsern Zuständen unparteiisch behandelt werden kann,
wird jeder zugeben; daß er in den Versammlungen und der Tageslitteratur
der letztem Wochen teils gar nicht, teils nicht so behandelt worden ist, das
wird jetzt, da die erste Hitze verflogen ist, wohl niemand mehr leugnen. Um
der Leidenschaftlichkeit, mit der die Frage, ob Lassalle oder Schulze, und alles,
was näher oder entfernter mit ihr zusammenhängt, erörtert worden ist, meines-
teils desto sichrer fernzubleiben, habe ich es vorgezogen, was ich zu sagen habe,
in Form eines Briefes zu geben. Noch eins mag vorweg zu erwähnen nötig
sein: daß ich keinen Grund der Verstimmung oder Abneigung gegen irgend
welche Personen der Manchesterpartci habe, daß ich mit ihren bekannten Führern
nie in eine persönliche Berührung gekommen bin, daß sie mir durch ihre
Lehren und ihr Thun kein Leids zugefügt haben, und daß Personen, die nach
ihren Interessen und Ansichten entschieden zu der Partei gehören, nur liebe
Freunde sind."

Die Prinzipien der Maiichesterpartei zu kritisiren, hat er später mehrmals
Gelegenheit gefunden. Hier sei nur uoch berührt, daß er nach obiger Ein¬
leitung ans die Entstehung von Parteibezeichnungen überhaupt und der in
Frage stehenden eingeht, um zu zeigen, daß hier nicht, wie sonst gewöhnlich,
ein Zufall, ein Mißbrauch oder Spott der Gegner zum Taufpaten geworden
sei, fondern daß, wenn sich Cobden in seiner 18L6 anonym erschienenen Schrift
ikossm, die Rücksicht ans den Absatz englischer Fabrikate als höchsten Grund¬
satz der Politik Englands prvklamirend, ausdrücklich als "Fabrikant in Man¬
chester" bekennt, den natürlichen Zusammenhang zwischen seiner Überzeugung
und seinem Wohnorte treffend gekennzeichnet habe.

Ans Untersuchungen solcher Natur laut er, wie schon früher erwähnt, in
feinen letzten Jahren zurück. Die berufsmäßige Beschäftigung mit der aus¬
wärtigen Politik, der Einblick, den sie ihm in Verhandlungen zwischen Mächten
gewährte, hatte ihn immer wieder zu der Beobachtung geführt, wie wichtig
Schlagwörter werden können, deren Bedeutung schwankend ist, denen bei ver-
schiednen Anlässen und zu verschiednen Zeiten ein ganz verschiedner Sinn bei¬
gelegt werden kann. Deshalb ging er in seiner Mußezeit daran, die Geschichte


Erinnerungen an Lothar Bücher

weder auf das eine »och auf das andre mit Ja antworten können. Den be¬
zeichneten beiden Anforderungen schien kein Thema in einem so hohen Grade
zu entsprechen, wie das Verhältnis der Manchesterpartei zu dein Wesen deS
Staats und den Aufgaben der gegenwärtigen Staaten. Daß die Kenntnis
davon, was diese Partei in England gelehrt, erstrebt, geleistet und nicht ge¬
leistet hat, für die richtige Beurteilung der Arbeiterverhältnisse in allen Ländern
mit entwickelter Industrie unentbehrlich ist, das weiß jeder, der sich mit dein
Gegenstande beschäftigt hat, gleichviel auf welcher Seite er steht, und davon
hoffe ich diejenigen unter Ihnen, denen er fremd ist, zu überzeugen. Daß der
Gegenstand, wie jede Erscheinung in der Geschichte eines andern Volks, trotz
seiner Beziehungen zu unsern Zuständen unparteiisch behandelt werden kann,
wird jeder zugeben; daß er in den Versammlungen und der Tageslitteratur
der letztem Wochen teils gar nicht, teils nicht so behandelt worden ist, das
wird jetzt, da die erste Hitze verflogen ist, wohl niemand mehr leugnen. Um
der Leidenschaftlichkeit, mit der die Frage, ob Lassalle oder Schulze, und alles,
was näher oder entfernter mit ihr zusammenhängt, erörtert worden ist, meines-
teils desto sichrer fernzubleiben, habe ich es vorgezogen, was ich zu sagen habe,
in Form eines Briefes zu geben. Noch eins mag vorweg zu erwähnen nötig
sein: daß ich keinen Grund der Verstimmung oder Abneigung gegen irgend
welche Personen der Manchesterpartci habe, daß ich mit ihren bekannten Führern
nie in eine persönliche Berührung gekommen bin, daß sie mir durch ihre
Lehren und ihr Thun kein Leids zugefügt haben, und daß Personen, die nach
ihren Interessen und Ansichten entschieden zu der Partei gehören, nur liebe
Freunde sind."

Die Prinzipien der Maiichesterpartei zu kritisiren, hat er später mehrmals
Gelegenheit gefunden. Hier sei nur uoch berührt, daß er nach obiger Ein¬
leitung ans die Entstehung von Parteibezeichnungen überhaupt und der in
Frage stehenden eingeht, um zu zeigen, daß hier nicht, wie sonst gewöhnlich,
ein Zufall, ein Mißbrauch oder Spott der Gegner zum Taufpaten geworden
sei, fondern daß, wenn sich Cobden in seiner 18L6 anonym erschienenen Schrift
ikossm, die Rücksicht ans den Absatz englischer Fabrikate als höchsten Grund¬
satz der Politik Englands prvklamirend, ausdrücklich als „Fabrikant in Man¬
chester" bekennt, den natürlichen Zusammenhang zwischen seiner Überzeugung
und seinem Wohnorte treffend gekennzeichnet habe.

Ans Untersuchungen solcher Natur laut er, wie schon früher erwähnt, in
feinen letzten Jahren zurück. Die berufsmäßige Beschäftigung mit der aus¬
wärtigen Politik, der Einblick, den sie ihm in Verhandlungen zwischen Mächten
gewährte, hatte ihn immer wieder zu der Beobachtung geführt, wie wichtig
Schlagwörter werden können, deren Bedeutung schwankend ist, denen bei ver-
schiednen Anlässen und zu verschiednen Zeiten ein ganz verschiedner Sinn bei¬
gelegt werden kann. Deshalb ging er in seiner Mußezeit daran, die Geschichte


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[0586] Erinnerungen an Lothar Bücher weder auf das eine »och auf das andre mit Ja antworten können. Den be¬ zeichneten beiden Anforderungen schien kein Thema in einem so hohen Grade zu entsprechen, wie das Verhältnis der Manchesterpartei zu dein Wesen deS Staats und den Aufgaben der gegenwärtigen Staaten. Daß die Kenntnis davon, was diese Partei in England gelehrt, erstrebt, geleistet und nicht ge¬ leistet hat, für die richtige Beurteilung der Arbeiterverhältnisse in allen Ländern mit entwickelter Industrie unentbehrlich ist, das weiß jeder, der sich mit dein Gegenstande beschäftigt hat, gleichviel auf welcher Seite er steht, und davon hoffe ich diejenigen unter Ihnen, denen er fremd ist, zu überzeugen. Daß der Gegenstand, wie jede Erscheinung in der Geschichte eines andern Volks, trotz seiner Beziehungen zu unsern Zuständen unparteiisch behandelt werden kann, wird jeder zugeben; daß er in den Versammlungen und der Tageslitteratur der letztem Wochen teils gar nicht, teils nicht so behandelt worden ist, das wird jetzt, da die erste Hitze verflogen ist, wohl niemand mehr leugnen. Um der Leidenschaftlichkeit, mit der die Frage, ob Lassalle oder Schulze, und alles, was näher oder entfernter mit ihr zusammenhängt, erörtert worden ist, meines- teils desto sichrer fernzubleiben, habe ich es vorgezogen, was ich zu sagen habe, in Form eines Briefes zu geben. Noch eins mag vorweg zu erwähnen nötig sein: daß ich keinen Grund der Verstimmung oder Abneigung gegen irgend welche Personen der Manchesterpartci habe, daß ich mit ihren bekannten Führern nie in eine persönliche Berührung gekommen bin, daß sie mir durch ihre Lehren und ihr Thun kein Leids zugefügt haben, und daß Personen, die nach ihren Interessen und Ansichten entschieden zu der Partei gehören, nur liebe Freunde sind." Die Prinzipien der Maiichesterpartei zu kritisiren, hat er später mehrmals Gelegenheit gefunden. Hier sei nur uoch berührt, daß er nach obiger Ein¬ leitung ans die Entstehung von Parteibezeichnungen überhaupt und der in Frage stehenden eingeht, um zu zeigen, daß hier nicht, wie sonst gewöhnlich, ein Zufall, ein Mißbrauch oder Spott der Gegner zum Taufpaten geworden sei, fondern daß, wenn sich Cobden in seiner 18L6 anonym erschienenen Schrift ikossm, die Rücksicht ans den Absatz englischer Fabrikate als höchsten Grund¬ satz der Politik Englands prvklamirend, ausdrücklich als „Fabrikant in Man¬ chester" bekennt, den natürlichen Zusammenhang zwischen seiner Überzeugung und seinem Wohnorte treffend gekennzeichnet habe. Ans Untersuchungen solcher Natur laut er, wie schon früher erwähnt, in feinen letzten Jahren zurück. Die berufsmäßige Beschäftigung mit der aus¬ wärtigen Politik, der Einblick, den sie ihm in Verhandlungen zwischen Mächten gewährte, hatte ihn immer wieder zu der Beobachtung geführt, wie wichtig Schlagwörter werden können, deren Bedeutung schwankend ist, denen bei ver- schiednen Anlässen und zu verschiednen Zeiten ein ganz verschiedner Sinn bei¬ gelegt werden kann. Deshalb ging er in seiner Mußezeit daran, die Geschichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/586>, abgerufen am 23.07.2024.