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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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?le christliche Mission in "Lhina

Traucrgewänder, in laiigen Zügen aus den Städten aufs Land, um die
Gräber ihrer Angehörigen zu reinigen und zu den Geistern zu beten. Zum
Schluß wird ein lauger roter, mit einem Stein beschwerter Papierstreifen auf
den Grabhügel gelegt, zum Zeichen, daß sich jemand darum bekümmert hat
und er also nicht umgepflügt werden darf. An diese Feier schließen sich dann
häusliche Festlichkeiten an, wobei eine harmlose Fröhlichkeit herrscht. Diese
Jahrtausende alten Sitten werden vom höchsten Beamten so gut wie vom
ärmsten Kuli beobachtet, und bei aller sonstigen unter den Chinesen üblichen
Duldsamkeit oder Gleichgiltigkeit in religiösen Dingen läßt man doch hieran
nur sehr ungern rühren. Was thut da nun die römische Kirche? Sie ist zu¬
frieden, wenn sie zunächst erreicht, daß auf der den Namen des Verstorbnen
tragenden Tafel irgendwo ein Kreuz angebracht wird, und läßt dann den Sohn
vor dieser Tafel ruhig seine Andacht weiter verrichten. Ganz anders ver¬
fahren die Protestanten. In schroffer Weise bekämpft die große Mehrzahl von
ihnen gerade diesen dem Chinesen so überaus teuern Gebrauch. Ja als auf
einer in Schanghai abgehnltnen Versammlung von protestantischen Missionaren
Dr. Martin, einer ihrer bedeutendsten Köpfe und ein ausgezeichneter Sinologe,
den Vorschlag zu machen wagte, man solle in der Beurteilung des Ahnen¬
kultus etwas milder sein und ihn nicht so ganz ohne weiters verdammen, da
lautete die Erwiderung, aus die Besprechung eines solchen Vorschlags könne
man sich nicht einlassen. ^

Auf protestantischer Seite pflegt gesagt zu werden: Und wen" die römische
Kirche anch tausendmal mehr Bekenner in China aufzählen könnte als wir,
so würden wir doch nichts darauf geben, weil für uus ein einziger innerlich
wirklich bekehrter Chinese mehr wert ist als hundert, die nur äußerlich das
Christentum annehmen, wie bei den Katholiken. Dieser Einwand läßt sich
hören. Leider fehlen an den meisten Stellen die richtigen Männer, die eine
solche innerliche Bekehrung ins Werk setzen könnten. Die meisten sind Fana¬
tiker, die es durch ihr verkehrtes Auftreten bald mit den Chinesen verderben.
Wenn man den Ahnenkultus durchaus nicht dulden zu dürfen glaubt, so sollte
man doch wenigstens so viel Klugheit haben, nicht fortwährend dagegen zu
wettern und so die Chinesen von vornherein gründlich abzustoßen. Das ist aber
noch nicht das Schlimmste. Noch unvernünftiger ist es, daß nicht wenige pro¬
testantische Missionare, anstatt ihre Schüler erst langsam vorzubereiten und
ihnen dann einfach das Evangelium zu verkünden, gleich so schwierige Lehren
wie z. B. die von der Gnadenwahl vortragen, obgleich die Zuhörer wahr¬
scheinlich noch niemals in ihrem Leben einen abstrakten Gedanken zu fassen
versucht haben. Aber so lange das protestantische Sektenwesen so bleibt, wie
es jetzt ist, wird hierin wohl kaum auf Änderung zu hoffen sein. Je kleiner
die Sekten sind, desto eifriger, aber auch desto engherziger Pflegen gewöhnlich
ihre Anhänger zu sein; das, was sie von dem Nest der Christenheit trennt, und


?le christliche Mission in «Lhina

Traucrgewänder, in laiigen Zügen aus den Städten aufs Land, um die
Gräber ihrer Angehörigen zu reinigen und zu den Geistern zu beten. Zum
Schluß wird ein lauger roter, mit einem Stein beschwerter Papierstreifen auf
den Grabhügel gelegt, zum Zeichen, daß sich jemand darum bekümmert hat
und er also nicht umgepflügt werden darf. An diese Feier schließen sich dann
häusliche Festlichkeiten an, wobei eine harmlose Fröhlichkeit herrscht. Diese
Jahrtausende alten Sitten werden vom höchsten Beamten so gut wie vom
ärmsten Kuli beobachtet, und bei aller sonstigen unter den Chinesen üblichen
Duldsamkeit oder Gleichgiltigkeit in religiösen Dingen läßt man doch hieran
nur sehr ungern rühren. Was thut da nun die römische Kirche? Sie ist zu¬
frieden, wenn sie zunächst erreicht, daß auf der den Namen des Verstorbnen
tragenden Tafel irgendwo ein Kreuz angebracht wird, und läßt dann den Sohn
vor dieser Tafel ruhig seine Andacht weiter verrichten. Ganz anders ver¬
fahren die Protestanten. In schroffer Weise bekämpft die große Mehrzahl von
ihnen gerade diesen dem Chinesen so überaus teuern Gebrauch. Ja als auf
einer in Schanghai abgehnltnen Versammlung von protestantischen Missionaren
Dr. Martin, einer ihrer bedeutendsten Köpfe und ein ausgezeichneter Sinologe,
den Vorschlag zu machen wagte, man solle in der Beurteilung des Ahnen¬
kultus etwas milder sein und ihn nicht so ganz ohne weiters verdammen, da
lautete die Erwiderung, aus die Besprechung eines solchen Vorschlags könne
man sich nicht einlassen. ^

Auf protestantischer Seite pflegt gesagt zu werden: Und wen» die römische
Kirche anch tausendmal mehr Bekenner in China aufzählen könnte als wir,
so würden wir doch nichts darauf geben, weil für uus ein einziger innerlich
wirklich bekehrter Chinese mehr wert ist als hundert, die nur äußerlich das
Christentum annehmen, wie bei den Katholiken. Dieser Einwand läßt sich
hören. Leider fehlen an den meisten Stellen die richtigen Männer, die eine
solche innerliche Bekehrung ins Werk setzen könnten. Die meisten sind Fana¬
tiker, die es durch ihr verkehrtes Auftreten bald mit den Chinesen verderben.
Wenn man den Ahnenkultus durchaus nicht dulden zu dürfen glaubt, so sollte
man doch wenigstens so viel Klugheit haben, nicht fortwährend dagegen zu
wettern und so die Chinesen von vornherein gründlich abzustoßen. Das ist aber
noch nicht das Schlimmste. Noch unvernünftiger ist es, daß nicht wenige pro¬
testantische Missionare, anstatt ihre Schüler erst langsam vorzubereiten und
ihnen dann einfach das Evangelium zu verkünden, gleich so schwierige Lehren
wie z. B. die von der Gnadenwahl vortragen, obgleich die Zuhörer wahr¬
scheinlich noch niemals in ihrem Leben einen abstrakten Gedanken zu fassen
versucht haben. Aber so lange das protestantische Sektenwesen so bleibt, wie
es jetzt ist, wird hierin wohl kaum auf Änderung zu hoffen sein. Je kleiner
die Sekten sind, desto eifriger, aber auch desto engherziger Pflegen gewöhnlich
ihre Anhänger zu sein; das, was sie von dem Nest der Christenheit trennt, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/576>, abgerufen am 23.07.2024.