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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die christliche Mission in "Lhina

der Erfolg hier so gering ist, wie vielleicht sonst nirgends auf der Erde, ver¬
mögen die Missionare selbst nicht zu leugnen. Sie lassen sich aber mir höchst
ungern auf eine Besprechung dieser fatalen Thatsache ein und können vollends
auch die unbefangenste und unparteiischste Kritik ihres Thuns gar nicht ver¬
tragen. Wir selber müssen doch am besten wissen, wie es zu machen ist; wie
könnt ihr unheiligen Menschenkinder euch überhaupt unterstehen, darüber urteilen
zu wollen! So ungefähr ist oft genug die Tonart, mit der man den Kritikern
begegnet.

Für eine dichtgedrängte Bevölkerung wie die chinesische, mit ihren Tausenden
und Abertausenden von armen und ärmsten Personen, von hartgeplagteu Kukis,
die sich den ganzen Tag lang schinden und placken müssen, um doch uur in
schmutzigen und dumpfen Hütten ein elendes Dasein zu führen, von Blinden,
Lahmen, Aussätzigen und andern stets dem Hungertode nahen Kranken, für
alle solche Mühseligen und Beladueu sollte doch das Evangelium hier ebenso
gut eine Quelle des Trostes werden können wie in andern Ländern. Wenn
dies nicht in dem Maße der Fall ist, wie mau erwarten sollte, so müssen
besondre Gründe dafür vorhanden sein, und die Darlegung dieser Gründe im
Anschluß an eine kurze geschichtliche Darstellung ist der Zweck dieser Zeilen.

Schon im Anfange des sechsten Jahrhunderts, also in einer Zeit, wo
weite Strecken des heutigen Deutschlands noch von keines Missionars Fuß
betreten worden waren, kamen die ersten Sendboten der neuen Lehre nach
China. Es waren dies nestorianische Mönche aus Konstantinopel. Über diesen
ersten Versuch der Christianisirung Chinas ist wenig bekannt, und die kargen
Angaben, die sich darüber bei den abendländischen Kirchenhistorikern finden,
würden vielleicht in das Reich der Fabel verwiesen werden, wenn uns nicht
wenigstens ein christliches Monument aus jener Zeit in China selbst erhalten
geblieben wäre, die berühmte nestorianische Tafel aus dem Jahre 781. Diese
Tafel ist schon um ihrer selbst willen, aber uoch mehr wegen der begleitenden
Umstände eins der merkwürdigsten Denkmäler, die es giebt, denn nur sie allein,
ganz allein, legt auf chinesischer Seite Zeugnis davon ab, daß schon zu jener
frühen Zeit christliche Gemeinden in China bestanden haben. Sonst ist alles,
was noch Kunde davon gegeben haben mag, weggewischt bis auf die letzte
Spur. Die Tafel, die aus grobem Marmor besteht, wurde im Jahre 1625
in Si-ugau-fu, der Hauptstadt der Provinz scheust, aufgefunden und ist auch
jetzt noch dort, eingefügt in eine Backsteinmauer. Der eingcgrabue, ziemlich
lange Text ist selbst für gelehrte Chinesen schwer verständlich; aus den Kom¬
mentaren und Übersetzungen ergiebt sich aber mit Gewißheit, daß die Nestorianer
damals großen Anhang in China gehabt haben müssen. Am Kopf der Tafel
befindet sich unter einer Art Baldachin ein Kreuz und unmittelbar darunter
der Titel der Inschrift: Tafel zum Preise der Verbreitung der erhabnen
Religion in China, mit einer Vorrede; verfertigt von King Tsching, einem


Die christliche Mission in «Lhina

der Erfolg hier so gering ist, wie vielleicht sonst nirgends auf der Erde, ver¬
mögen die Missionare selbst nicht zu leugnen. Sie lassen sich aber mir höchst
ungern auf eine Besprechung dieser fatalen Thatsache ein und können vollends
auch die unbefangenste und unparteiischste Kritik ihres Thuns gar nicht ver¬
tragen. Wir selber müssen doch am besten wissen, wie es zu machen ist; wie
könnt ihr unheiligen Menschenkinder euch überhaupt unterstehen, darüber urteilen
zu wollen! So ungefähr ist oft genug die Tonart, mit der man den Kritikern
begegnet.

Für eine dichtgedrängte Bevölkerung wie die chinesische, mit ihren Tausenden
und Abertausenden von armen und ärmsten Personen, von hartgeplagteu Kukis,
die sich den ganzen Tag lang schinden und placken müssen, um doch uur in
schmutzigen und dumpfen Hütten ein elendes Dasein zu führen, von Blinden,
Lahmen, Aussätzigen und andern stets dem Hungertode nahen Kranken, für
alle solche Mühseligen und Beladueu sollte doch das Evangelium hier ebenso
gut eine Quelle des Trostes werden können wie in andern Ländern. Wenn
dies nicht in dem Maße der Fall ist, wie mau erwarten sollte, so müssen
besondre Gründe dafür vorhanden sein, und die Darlegung dieser Gründe im
Anschluß an eine kurze geschichtliche Darstellung ist der Zweck dieser Zeilen.

Schon im Anfange des sechsten Jahrhunderts, also in einer Zeit, wo
weite Strecken des heutigen Deutschlands noch von keines Missionars Fuß
betreten worden waren, kamen die ersten Sendboten der neuen Lehre nach
China. Es waren dies nestorianische Mönche aus Konstantinopel. Über diesen
ersten Versuch der Christianisirung Chinas ist wenig bekannt, und die kargen
Angaben, die sich darüber bei den abendländischen Kirchenhistorikern finden,
würden vielleicht in das Reich der Fabel verwiesen werden, wenn uns nicht
wenigstens ein christliches Monument aus jener Zeit in China selbst erhalten
geblieben wäre, die berühmte nestorianische Tafel aus dem Jahre 781. Diese
Tafel ist schon um ihrer selbst willen, aber uoch mehr wegen der begleitenden
Umstände eins der merkwürdigsten Denkmäler, die es giebt, denn nur sie allein,
ganz allein, legt auf chinesischer Seite Zeugnis davon ab, daß schon zu jener
frühen Zeit christliche Gemeinden in China bestanden haben. Sonst ist alles,
was noch Kunde davon gegeben haben mag, weggewischt bis auf die letzte
Spur. Die Tafel, die aus grobem Marmor besteht, wurde im Jahre 1625
in Si-ugau-fu, der Hauptstadt der Provinz scheust, aufgefunden und ist auch
jetzt noch dort, eingefügt in eine Backsteinmauer. Der eingcgrabue, ziemlich
lange Text ist selbst für gelehrte Chinesen schwer verständlich; aus den Kom¬
mentaren und Übersetzungen ergiebt sich aber mit Gewißheit, daß die Nestorianer
damals großen Anhang in China gehabt haben müssen. Am Kopf der Tafel
befindet sich unter einer Art Baldachin ein Kreuz und unmittelbar darunter
der Titel der Inschrift: Tafel zum Preise der Verbreitung der erhabnen
Religion in China, mit einer Vorrede; verfertigt von King Tsching, einem


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[0572] Die christliche Mission in «Lhina der Erfolg hier so gering ist, wie vielleicht sonst nirgends auf der Erde, ver¬ mögen die Missionare selbst nicht zu leugnen. Sie lassen sich aber mir höchst ungern auf eine Besprechung dieser fatalen Thatsache ein und können vollends auch die unbefangenste und unparteiischste Kritik ihres Thuns gar nicht ver¬ tragen. Wir selber müssen doch am besten wissen, wie es zu machen ist; wie könnt ihr unheiligen Menschenkinder euch überhaupt unterstehen, darüber urteilen zu wollen! So ungefähr ist oft genug die Tonart, mit der man den Kritikern begegnet. Für eine dichtgedrängte Bevölkerung wie die chinesische, mit ihren Tausenden und Abertausenden von armen und ärmsten Personen, von hartgeplagteu Kukis, die sich den ganzen Tag lang schinden und placken müssen, um doch uur in schmutzigen und dumpfen Hütten ein elendes Dasein zu führen, von Blinden, Lahmen, Aussätzigen und andern stets dem Hungertode nahen Kranken, für alle solche Mühseligen und Beladueu sollte doch das Evangelium hier ebenso gut eine Quelle des Trostes werden können wie in andern Ländern. Wenn dies nicht in dem Maße der Fall ist, wie mau erwarten sollte, so müssen besondre Gründe dafür vorhanden sein, und die Darlegung dieser Gründe im Anschluß an eine kurze geschichtliche Darstellung ist der Zweck dieser Zeilen. Schon im Anfange des sechsten Jahrhunderts, also in einer Zeit, wo weite Strecken des heutigen Deutschlands noch von keines Missionars Fuß betreten worden waren, kamen die ersten Sendboten der neuen Lehre nach China. Es waren dies nestorianische Mönche aus Konstantinopel. Über diesen ersten Versuch der Christianisirung Chinas ist wenig bekannt, und die kargen Angaben, die sich darüber bei den abendländischen Kirchenhistorikern finden, würden vielleicht in das Reich der Fabel verwiesen werden, wenn uns nicht wenigstens ein christliches Monument aus jener Zeit in China selbst erhalten geblieben wäre, die berühmte nestorianische Tafel aus dem Jahre 781. Diese Tafel ist schon um ihrer selbst willen, aber uoch mehr wegen der begleitenden Umstände eins der merkwürdigsten Denkmäler, die es giebt, denn nur sie allein, ganz allein, legt auf chinesischer Seite Zeugnis davon ab, daß schon zu jener frühen Zeit christliche Gemeinden in China bestanden haben. Sonst ist alles, was noch Kunde davon gegeben haben mag, weggewischt bis auf die letzte Spur. Die Tafel, die aus grobem Marmor besteht, wurde im Jahre 1625 in Si-ugau-fu, der Hauptstadt der Provinz scheust, aufgefunden und ist auch jetzt noch dort, eingefügt in eine Backsteinmauer. Der eingcgrabue, ziemlich lange Text ist selbst für gelehrte Chinesen schwer verständlich; aus den Kom¬ mentaren und Übersetzungen ergiebt sich aber mit Gewißheit, daß die Nestorianer damals großen Anhang in China gehabt haben müssen. Am Kopf der Tafel befindet sich unter einer Art Baldachin ein Kreuz und unmittelbar darunter der Titel der Inschrift: Tafel zum Preise der Verbreitung der erhabnen Religion in China, mit einer Vorrede; verfertigt von King Tsching, einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/572>, abgerufen am 23.07.2024.