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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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habende" Klassen, um die Thatsache zu bezeugen." So können wir also den
wachsenden Wohlstand in Frankreich als eine Folge der ehelichen Enthaltsam¬
keit oder elterlicher Fürsorge auffassen und als das Ergebnis einer weit zurück¬
reichenden Ursache. Der Rat, den Malthus den Nationen gegeben hat, ist
von den Familien befolgt worden, nicht wegen der Sorge für das Ganze,
sondern wegen der Sorge für die eignen Angehörigen. Wie sollte es auch
anders sein?

Unter allen Umständen aber bleibt es ein Verdienst von Levasseur, nach¬
gewiesen zu haben, daß die Befürchtungen von Malthus durch die Erschei¬
nungen unsers Jahrhunderts auf demographischem und auf wirtschaftlichem Ge¬
biete eine so große Widerlegung erfahren haben, daß man annehmen muß,
daß die Befolgung der Lehre" von Malthus ans näher liegenden Gründen
uns günstigen Boden gefallen sei, und daß diese Befolgung auch ohne die
Mahnungen von Malthus, seiner Vorgänger und Schüler aus dem vorigen
Jahrhundert, aus der Zeit der großen Frage der Kornzölle eingetreten sein
würde. Wie sollte mau auch annehmen, daß ein Zusammenhang zwischen den
Lehren von Malthus und der Abnahme der Geburten in der bäuerlichen Be¬
völkerung entlegner Departements in Frankreich bestünde?

Wie legt sich nun Levasseur die Thatsachen zurecht, und wie findet er sich
mit den Bedenken über die Zukunft ab? Levasseur geht von dein unbestreit¬
baren Satze aus, daß in den Kulturländern im neunzehnten Jahrhundert die
Völker weit rascher angewachsen sind, als in den vorhergehenden, daß sich
aber gleichzeitig die Menge der Güter noch rascher als die Menschen vermehrt
hat. Im Gegensatze zu der Anschauung von Malthus hat sich das Gleich¬
gewicht zwischen den Zahlen der Menschen und der Güter ganz von selbst,
ohne Anstrengung und ohne Zwang ergeben. Wenn ein Rückschritt in der
Entwicklung der Bevölkerung ein ganzes Land und nicht nur einzelne Teile
wegen wirtschaftlicher Zufälle ergreift, dann ist Grund zur Besorgnis da, dann
besteht Gefahr für die demvgraphische wie für die wirtschaftliche Lage des
Landes. Ein Fortschritt in der Volkszahl ist erfreulicher, muß aber, um rich¬
tig gewürdigt zu werden, im Zusammenhange mit der ganzen sozialen und
wirtschaftlichen Lage eines Landes aufgefaßt werdeu. Wenn sich mit dem
Volke gleichzeitig die Güter mehren, dann ist es gut; wenn sich das Volk
langsamer mehrt als die Güter, dann ist es besser; mehrt sich aber das Volk
schneller als die Güter, dann steht es schlimm, und es entsteh" Störungen
sür die Gegenwart und Besorgnisse für die Zukunft. Wünschenswert wäre es,
meint Levasseur, der sich dabei mit den Mvralstatistikern in Widerspruch setzt,
daß sich ein) Fortschritt weniger aus der Mehrung der Geburten als aus der
Abnahme der Kindersterblichkeit ergebe; bedauerlich wäre es, wenn der Fort¬
schritt durch Vermehrung der unehelichen Geburten entstünde. Die wohlhabenden
Stände sollten mit gutem Beispiele vorangehn; dazu aber sind keine Aussichten.


habende» Klassen, um die Thatsache zu bezeugen." So können wir also den
wachsenden Wohlstand in Frankreich als eine Folge der ehelichen Enthaltsam¬
keit oder elterlicher Fürsorge auffassen und als das Ergebnis einer weit zurück¬
reichenden Ursache. Der Rat, den Malthus den Nationen gegeben hat, ist
von den Familien befolgt worden, nicht wegen der Sorge für das Ganze,
sondern wegen der Sorge für die eignen Angehörigen. Wie sollte es auch
anders sein?

Unter allen Umständen aber bleibt es ein Verdienst von Levasseur, nach¬
gewiesen zu haben, daß die Befürchtungen von Malthus durch die Erschei¬
nungen unsers Jahrhunderts auf demographischem und auf wirtschaftlichem Ge¬
biete eine so große Widerlegung erfahren haben, daß man annehmen muß,
daß die Befolgung der Lehre» von Malthus ans näher liegenden Gründen
uns günstigen Boden gefallen sei, und daß diese Befolgung auch ohne die
Mahnungen von Malthus, seiner Vorgänger und Schüler aus dem vorigen
Jahrhundert, aus der Zeit der großen Frage der Kornzölle eingetreten sein
würde. Wie sollte mau auch annehmen, daß ein Zusammenhang zwischen den
Lehren von Malthus und der Abnahme der Geburten in der bäuerlichen Be¬
völkerung entlegner Departements in Frankreich bestünde?

Wie legt sich nun Levasseur die Thatsachen zurecht, und wie findet er sich
mit den Bedenken über die Zukunft ab? Levasseur geht von dein unbestreit¬
baren Satze aus, daß in den Kulturländern im neunzehnten Jahrhundert die
Völker weit rascher angewachsen sind, als in den vorhergehenden, daß sich
aber gleichzeitig die Menge der Güter noch rascher als die Menschen vermehrt
hat. Im Gegensatze zu der Anschauung von Malthus hat sich das Gleich¬
gewicht zwischen den Zahlen der Menschen und der Güter ganz von selbst,
ohne Anstrengung und ohne Zwang ergeben. Wenn ein Rückschritt in der
Entwicklung der Bevölkerung ein ganzes Land und nicht nur einzelne Teile
wegen wirtschaftlicher Zufälle ergreift, dann ist Grund zur Besorgnis da, dann
besteht Gefahr für die demvgraphische wie für die wirtschaftliche Lage des
Landes. Ein Fortschritt in der Volkszahl ist erfreulicher, muß aber, um rich¬
tig gewürdigt zu werden, im Zusammenhange mit der ganzen sozialen und
wirtschaftlichen Lage eines Landes aufgefaßt werdeu. Wenn sich mit dem
Volke gleichzeitig die Güter mehren, dann ist es gut; wenn sich das Volk
langsamer mehrt als die Güter, dann ist es besser; mehrt sich aber das Volk
schneller als die Güter, dann steht es schlimm, und es entsteh» Störungen
sür die Gegenwart und Besorgnisse für die Zukunft. Wünschenswert wäre es,
meint Levasseur, der sich dabei mit den Mvralstatistikern in Widerspruch setzt,
daß sich ein) Fortschritt weniger aus der Mehrung der Geburten als aus der
Abnahme der Kindersterblichkeit ergebe; bedauerlich wäre es, wenn der Fort¬
schritt durch Vermehrung der unehelichen Geburten entstünde. Die wohlhabenden
Stände sollten mit gutem Beispiele vorangehn; dazu aber sind keine Aussichten.


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[0566] habende» Klassen, um die Thatsache zu bezeugen." So können wir also den wachsenden Wohlstand in Frankreich als eine Folge der ehelichen Enthaltsam¬ keit oder elterlicher Fürsorge auffassen und als das Ergebnis einer weit zurück¬ reichenden Ursache. Der Rat, den Malthus den Nationen gegeben hat, ist von den Familien befolgt worden, nicht wegen der Sorge für das Ganze, sondern wegen der Sorge für die eignen Angehörigen. Wie sollte es auch anders sein? Unter allen Umständen aber bleibt es ein Verdienst von Levasseur, nach¬ gewiesen zu haben, daß die Befürchtungen von Malthus durch die Erschei¬ nungen unsers Jahrhunderts auf demographischem und auf wirtschaftlichem Ge¬ biete eine so große Widerlegung erfahren haben, daß man annehmen muß, daß die Befolgung der Lehre» von Malthus ans näher liegenden Gründen uns günstigen Boden gefallen sei, und daß diese Befolgung auch ohne die Mahnungen von Malthus, seiner Vorgänger und Schüler aus dem vorigen Jahrhundert, aus der Zeit der großen Frage der Kornzölle eingetreten sein würde. Wie sollte mau auch annehmen, daß ein Zusammenhang zwischen den Lehren von Malthus und der Abnahme der Geburten in der bäuerlichen Be¬ völkerung entlegner Departements in Frankreich bestünde? Wie legt sich nun Levasseur die Thatsachen zurecht, und wie findet er sich mit den Bedenken über die Zukunft ab? Levasseur geht von dein unbestreit¬ baren Satze aus, daß in den Kulturländern im neunzehnten Jahrhundert die Völker weit rascher angewachsen sind, als in den vorhergehenden, daß sich aber gleichzeitig die Menge der Güter noch rascher als die Menschen vermehrt hat. Im Gegensatze zu der Anschauung von Malthus hat sich das Gleich¬ gewicht zwischen den Zahlen der Menschen und der Güter ganz von selbst, ohne Anstrengung und ohne Zwang ergeben. Wenn ein Rückschritt in der Entwicklung der Bevölkerung ein ganzes Land und nicht nur einzelne Teile wegen wirtschaftlicher Zufälle ergreift, dann ist Grund zur Besorgnis da, dann besteht Gefahr für die demvgraphische wie für die wirtschaftliche Lage des Landes. Ein Fortschritt in der Volkszahl ist erfreulicher, muß aber, um rich¬ tig gewürdigt zu werden, im Zusammenhange mit der ganzen sozialen und wirtschaftlichen Lage eines Landes aufgefaßt werdeu. Wenn sich mit dem Volke gleichzeitig die Güter mehren, dann ist es gut; wenn sich das Volk langsamer mehrt als die Güter, dann ist es besser; mehrt sich aber das Volk schneller als die Güter, dann steht es schlimm, und es entsteh» Störungen sür die Gegenwart und Besorgnisse für die Zukunft. Wünschenswert wäre es, meint Levasseur, der sich dabei mit den Mvralstatistikern in Widerspruch setzt, daß sich ein) Fortschritt weniger aus der Mehrung der Geburten als aus der Abnahme der Kindersterblichkeit ergebe; bedauerlich wäre es, wenn der Fort¬ schritt durch Vermehrung der unehelichen Geburten entstünde. Die wohlhabenden Stände sollten mit gutem Beispiele vorangehn; dazu aber sind keine Aussichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/566>, abgerufen am 23.12.2024.