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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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an urkundlichen Unterla^n und Aktenstücken zur Darstellung kriegerischer Borgänge
und diplomatischer Verhandlungen, wohl aber an zuverlässigen und Wertdollen
Privatanfzeichnungen über die Einwirkung geschichtlicher Verhältnisse auf Leben
und Zustände der einzelnen mangle. Für gewisse Zeitpunkte der neuern Geschichte,
wie uns scheint, mit Unrecht. Die Periode der Katastrophe und Wiedergeburt des
preußischen Staats, der französischen Fremdherrschaft ließe sich auf Grund der be¬
reits veröffentlichten Erinnerungen und Briefe mit der Lebendigkeit und Farben¬
fülle Maeaulayscher Schilderung darstellen, wenn der Ehrgeiz unsrer Historiker
nach dieser Richtung ginge. Daß trotzdem noch vieles Interessante und Wertvolle
noch unveröffentlicht ist, vieles, aus dem die deutsche Geschichte jeuer Arbeitszeit
höchst eindringliche Züge gewinnen kann, lehrt uns wieder ein jetzt veröffentlichtes
Buch, das sich als Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie von Be¬
guelin aus deu Jahren 1807 bis 1813 nebst Briefen von Gneisenau
und Hardenberg ankündigt (Berlin, Julius Springer, 1892). Der Heraus¬
geber, Adolf Ernst, Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart, schickt
zum Verständnis des Ganzen eine biographische Studie über den Geheimen Staatsrat
Heinrich von Beguelin und dessen Gattin Amalie vornns und zeigt, daß die Denk¬
würdigkeiten beider in der That von hervorragenden Teilnehmern der Ereignisse
und der Stimmungen zwischen Jena und der Ncuerhebuug von 1813 herrühren,
daß sie "den Stempel frischer Empfindung des Selbsterlebten tragen und tief in
die bedeutsamen Ereignisse eindringen." Welcher Art das Verhältnis der Frau von
Beguelin zu Hardenberg war, wird freilich weder durch diese Einleitung noch durch
die beiden Niederschriften des Ehepaares von Beguelin ganz klar. "Beguelin hatte
sich -- so werden wir belehrt nach dem Tode seiner ersten Frau, einer Tochter des
Oberjägermeisters von Splittgerber, am 15. Mai 1798 ans dem Schlosse Herins¬
dorf bei Glogau mit Amalie Crcnner, Tochter des Hofrats Crnmer zu Glogau,
vermählt und versammelte als ein Freund feiner Geselligkeit in seinem Hause zu
Berlin einen Kreis ihm nahestehender geistig bedeutender Männer, an deren Ge¬
sprächen die jugendliche geistvolle Gattin lebhaften Anteil nahm. Hier teilte Stein
am Theetisch im engsten Kreise seine umfassenden Gedanken mit und bewahrte der
liebenswürdigen Wirtin noch nach langer Trennung seine, freundschaftliche Gesinnung.
Gneisenau, mit den beiden Gatten eng befreundet, war vorzüglich 1811 ein häu¬
figer Gast, und Hardenberg verkehrte jahrelang fast täglich in diesem Hause, das
eine der Stätten wurde, wo die Männer, welche den Kampf um die Wiedergeburt
Preußens in den Zeiten der französischen Herrschaft im Stillen vorbereiteten, sich
zu geheimen Beratungen einfanden." Aus der spätern Erzählung Ernsts, wie aus
deu Niederschriften der Beguelins geht aber hervor, daß sie eine politische Wich¬
tigkeit erlangten, die weit über die vorstehend bezeichnete hinausging, daß man
namentlich Frau vou Begueliu entscheidenden Einfluß auf Hardenberg zutraute, da
mau ihr zum Beispiel 1812 in Paris vou napoleonischer Seite einen Schmuck von
einer halben Million Wert als Bestechung anbot, damit sie für das französische
Interesse wirken möchte. Jedenfalls find die Denkwürdigkeiten reichhaltig, die
historischen Anmerkungen sorgfältig genng, die Lektüre des Buches zu belohnen.
Von den mannichfachen neuen Mitteilungen verdienen die Erzählungen der Frau
von Beguelin über den Hof Napoleons und die Pariser Gesellschaft des Jahres
1811 bis 1812, sodann die charakteristischen Briefe Beguelins aus Wilna vom
Herbst 1812 hervorgehoben zu werden, aus denen hervorgeht, daß kluge und klar¬
blickende Männer bereits im Oktober 1812 voraushaben, daß sich Napoleon (nach
der Katastrophe des Brandes von Moskau) "nicht wieder erholen werde," und die


an urkundlichen Unterla^n und Aktenstücken zur Darstellung kriegerischer Borgänge
und diplomatischer Verhandlungen, wohl aber an zuverlässigen und Wertdollen
Privatanfzeichnungen über die Einwirkung geschichtlicher Verhältnisse auf Leben
und Zustände der einzelnen mangle. Für gewisse Zeitpunkte der neuern Geschichte,
wie uns scheint, mit Unrecht. Die Periode der Katastrophe und Wiedergeburt des
preußischen Staats, der französischen Fremdherrschaft ließe sich auf Grund der be¬
reits veröffentlichten Erinnerungen und Briefe mit der Lebendigkeit und Farben¬
fülle Maeaulayscher Schilderung darstellen, wenn der Ehrgeiz unsrer Historiker
nach dieser Richtung ginge. Daß trotzdem noch vieles Interessante und Wertvolle
noch unveröffentlicht ist, vieles, aus dem die deutsche Geschichte jeuer Arbeitszeit
höchst eindringliche Züge gewinnen kann, lehrt uns wieder ein jetzt veröffentlichtes
Buch, das sich als Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie von Be¬
guelin aus deu Jahren 1807 bis 1813 nebst Briefen von Gneisenau
und Hardenberg ankündigt (Berlin, Julius Springer, 1892). Der Heraus¬
geber, Adolf Ernst, Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart, schickt
zum Verständnis des Ganzen eine biographische Studie über den Geheimen Staatsrat
Heinrich von Beguelin und dessen Gattin Amalie vornns und zeigt, daß die Denk¬
würdigkeiten beider in der That von hervorragenden Teilnehmern der Ereignisse
und der Stimmungen zwischen Jena und der Ncuerhebuug von 1813 herrühren,
daß sie „den Stempel frischer Empfindung des Selbsterlebten tragen und tief in
die bedeutsamen Ereignisse eindringen." Welcher Art das Verhältnis der Frau von
Beguelin zu Hardenberg war, wird freilich weder durch diese Einleitung noch durch
die beiden Niederschriften des Ehepaares von Beguelin ganz klar. „Beguelin hatte
sich — so werden wir belehrt nach dem Tode seiner ersten Frau, einer Tochter des
Oberjägermeisters von Splittgerber, am 15. Mai 1798 ans dem Schlosse Herins¬
dorf bei Glogau mit Amalie Crcnner, Tochter des Hofrats Crnmer zu Glogau,
vermählt und versammelte als ein Freund feiner Geselligkeit in seinem Hause zu
Berlin einen Kreis ihm nahestehender geistig bedeutender Männer, an deren Ge¬
sprächen die jugendliche geistvolle Gattin lebhaften Anteil nahm. Hier teilte Stein
am Theetisch im engsten Kreise seine umfassenden Gedanken mit und bewahrte der
liebenswürdigen Wirtin noch nach langer Trennung seine, freundschaftliche Gesinnung.
Gneisenau, mit den beiden Gatten eng befreundet, war vorzüglich 1811 ein häu¬
figer Gast, und Hardenberg verkehrte jahrelang fast täglich in diesem Hause, das
eine der Stätten wurde, wo die Männer, welche den Kampf um die Wiedergeburt
Preußens in den Zeiten der französischen Herrschaft im Stillen vorbereiteten, sich
zu geheimen Beratungen einfanden." Aus der spätern Erzählung Ernsts, wie aus
deu Niederschriften der Beguelins geht aber hervor, daß sie eine politische Wich¬
tigkeit erlangten, die weit über die vorstehend bezeichnete hinausging, daß man
namentlich Frau vou Begueliu entscheidenden Einfluß auf Hardenberg zutraute, da
mau ihr zum Beispiel 1812 in Paris vou napoleonischer Seite einen Schmuck von
einer halben Million Wert als Bestechung anbot, damit sie für das französische
Interesse wirken möchte. Jedenfalls find die Denkwürdigkeiten reichhaltig, die
historischen Anmerkungen sorgfältig genng, die Lektüre des Buches zu belohnen.
Von den mannichfachen neuen Mitteilungen verdienen die Erzählungen der Frau
von Beguelin über den Hof Napoleons und die Pariser Gesellschaft des Jahres
1811 bis 1812, sodann die charakteristischen Briefe Beguelins aus Wilna vom
Herbst 1812 hervorgehoben zu werden, aus denen hervorgeht, daß kluge und klar¬
blickende Männer bereits im Oktober 1812 voraushaben, daß sich Napoleon (nach
der Katastrophe des Brandes von Moskau) „nicht wieder erholen werde," und die


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[0555] an urkundlichen Unterla^n und Aktenstücken zur Darstellung kriegerischer Borgänge und diplomatischer Verhandlungen, wohl aber an zuverlässigen und Wertdollen Privatanfzeichnungen über die Einwirkung geschichtlicher Verhältnisse auf Leben und Zustände der einzelnen mangle. Für gewisse Zeitpunkte der neuern Geschichte, wie uns scheint, mit Unrecht. Die Periode der Katastrophe und Wiedergeburt des preußischen Staats, der französischen Fremdherrschaft ließe sich auf Grund der be¬ reits veröffentlichten Erinnerungen und Briefe mit der Lebendigkeit und Farben¬ fülle Maeaulayscher Schilderung darstellen, wenn der Ehrgeiz unsrer Historiker nach dieser Richtung ginge. Daß trotzdem noch vieles Interessante und Wertvolle noch unveröffentlicht ist, vieles, aus dem die deutsche Geschichte jeuer Arbeitszeit höchst eindringliche Züge gewinnen kann, lehrt uns wieder ein jetzt veröffentlichtes Buch, das sich als Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie von Be¬ guelin aus deu Jahren 1807 bis 1813 nebst Briefen von Gneisenau und Hardenberg ankündigt (Berlin, Julius Springer, 1892). Der Heraus¬ geber, Adolf Ernst, Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart, schickt zum Verständnis des Ganzen eine biographische Studie über den Geheimen Staatsrat Heinrich von Beguelin und dessen Gattin Amalie vornns und zeigt, daß die Denk¬ würdigkeiten beider in der That von hervorragenden Teilnehmern der Ereignisse und der Stimmungen zwischen Jena und der Ncuerhebuug von 1813 herrühren, daß sie „den Stempel frischer Empfindung des Selbsterlebten tragen und tief in die bedeutsamen Ereignisse eindringen." Welcher Art das Verhältnis der Frau von Beguelin zu Hardenberg war, wird freilich weder durch diese Einleitung noch durch die beiden Niederschriften des Ehepaares von Beguelin ganz klar. „Beguelin hatte sich — so werden wir belehrt nach dem Tode seiner ersten Frau, einer Tochter des Oberjägermeisters von Splittgerber, am 15. Mai 1798 ans dem Schlosse Herins¬ dorf bei Glogau mit Amalie Crcnner, Tochter des Hofrats Crnmer zu Glogau, vermählt und versammelte als ein Freund feiner Geselligkeit in seinem Hause zu Berlin einen Kreis ihm nahestehender geistig bedeutender Männer, an deren Ge¬ sprächen die jugendliche geistvolle Gattin lebhaften Anteil nahm. Hier teilte Stein am Theetisch im engsten Kreise seine umfassenden Gedanken mit und bewahrte der liebenswürdigen Wirtin noch nach langer Trennung seine, freundschaftliche Gesinnung. Gneisenau, mit den beiden Gatten eng befreundet, war vorzüglich 1811 ein häu¬ figer Gast, und Hardenberg verkehrte jahrelang fast täglich in diesem Hause, das eine der Stätten wurde, wo die Männer, welche den Kampf um die Wiedergeburt Preußens in den Zeiten der französischen Herrschaft im Stillen vorbereiteten, sich zu geheimen Beratungen einfanden." Aus der spätern Erzählung Ernsts, wie aus deu Niederschriften der Beguelins geht aber hervor, daß sie eine politische Wich¬ tigkeit erlangten, die weit über die vorstehend bezeichnete hinausging, daß man namentlich Frau vou Begueliu entscheidenden Einfluß auf Hardenberg zutraute, da mau ihr zum Beispiel 1812 in Paris vou napoleonischer Seite einen Schmuck von einer halben Million Wert als Bestechung anbot, damit sie für das französische Interesse wirken möchte. Jedenfalls find die Denkwürdigkeiten reichhaltig, die historischen Anmerkungen sorgfältig genng, die Lektüre des Buches zu belohnen. Von den mannichfachen neuen Mitteilungen verdienen die Erzählungen der Frau von Beguelin über den Hof Napoleons und die Pariser Gesellschaft des Jahres 1811 bis 1812, sodann die charakteristischen Briefe Beguelins aus Wilna vom Herbst 1812 hervorgehoben zu werden, aus denen hervorgeht, daß kluge und klar¬ blickende Männer bereits im Oktober 1812 voraushaben, daß sich Napoleon (nach der Katastrophe des Brandes von Moskau) „nicht wieder erholen werde," und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/555>, abgerufen am 22.12.2024.