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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ans geschlossener Gesellschaft

Anstalten, wie z. B. Plötzensee bei Berlin, im Auge, wo das verbrecherische
Federvieh zu jeder Jahreszeit en eingesperrt ist, und es daher an
Standes- oder richtiger sitzungsgemäßem Umgang nie mangelt. In der Provinz
ist das aber anders. Da kann man Wochen- und monatelang brummen, ohne
einem. Leidensgenossen vom Fach zu begegnen. Und ungleich wichtiger als die
Selbstbeköstigung erscheint mir die Sclbstbeschäftignng. Damit steht es heute
so. Jeder Gefangne, dem durch Urteil die bürgerlichen Ehrenrechte nicht bis
auf die Knochen abgesprochen sind, erhält auf seinen Antrag die Erlaubnis,
sich selbst zu beschäftigen, vorausgesetzt, daß er in der Lage ist, 1,50 Mark
für den Arbeitstag monatlich oder auf längere Zeit voraus zu entrichten.
Diese 1,50 Mark sollen den Betrag ersetzen, den der Gefangne sonst durch
die Beschäftigung mit Austaltsarbeiten dem Fiskus verdient hätte. Bei der
Einzahlung des Betrags ist insofern eine gewisse Form zu wahren, als nicht
der Gefangne selbst den Betrag entrichten darf, sondern eine andre Person,
die vorgiebt, die Arbeitskraft des Jnhaftirten pachten zu wollen. Natürlich
bleibt es dem letztern unbenommen, seine Fran oder einen seiner Freunde mit
der Pachtung zu betrauen, was denn auch in den allermeisten Fällen geschieht.
Die Berechtigung zur Selbstbeschäftigung sichert dem Strafgefanguen sehr
große Vergünstigungen. Die Anstaltsbeamten, vom Direktor herab bis zum
Nachtaufseher, behandeln den "Selbstbeschäftiger" mit Rücksicht und Artigkeit;
die Anstaltsvrduung sitzt ihm weit lockerer um deu Leib, und das bietet ihm
mehr Spielraum, sich zu den erlaubten Vergünstigungen noch ein paar weniger
erlaubte anzueignen. Die sehr störende und, sofern das Arbeitspensum uicht
geschaffen ist, auch höchst unangenehme Kontrolle durch den Arbeitsaufseher
fällt für den "Selbstbeschäftiger" weg. Niemand kümmert sich um ihn, und
wenn er sich durch irgend eine Ungeschicklichkeit der Beachtung der Beamten
aufdrängt, so wird er uicht augeschnanzt oder gar mit Dunkelarrest bedroht
oder bestraft, sondern die Zurechtweisung beschränkt sich meist auf eine ein-
dringliche Ermahnung, den bekannten spartanischen Grundsatz besser zu beachten
und die Anstaltsleitung der peinlichen Aufgabe zu entheben, schon der "andern
Leute" wegen dem Herrn ,,Selbstbeschäftiger" an den Wagen fahren zu müssen.
Diese und noch mehrere andre Vergünstigungen schaffen dem "Selbstbeschäf¬
tiger" eine ganz ungewöhnliche, verhältnismäßig behagliche Lage; in ihrer Ge¬
samtheit bilden diese Glücklichen die von deu Beamten gehütschelte, von den
Mitgefangnen beneidete, aber wegen mancherlei Zuwendungen gern gesehne
Aristokratie der Gefängnisse.

Gegen die Einrichtung von Nergünstiguugeu für minder schwere Ver¬
brecher wäre kaum etwas einzuwenden, wenn man sie nicht gerade vom Gelde
abhängig machen wollte. Mein letztes Palaos verschaffte mir die zweifelhafte
Ehre, mit einem betrügerischen Bankerottierer bekannt zu werde", der -- wie
er sagte -- "eine kleine mißglückte Finanzoperation" mit einem Jahr und zwei


Ans geschlossener Gesellschaft

Anstalten, wie z. B. Plötzensee bei Berlin, im Auge, wo das verbrecherische
Federvieh zu jeder Jahreszeit en eingesperrt ist, und es daher an
Standes- oder richtiger sitzungsgemäßem Umgang nie mangelt. In der Provinz
ist das aber anders. Da kann man Wochen- und monatelang brummen, ohne
einem. Leidensgenossen vom Fach zu begegnen. Und ungleich wichtiger als die
Selbstbeköstigung erscheint mir die Sclbstbeschäftignng. Damit steht es heute
so. Jeder Gefangne, dem durch Urteil die bürgerlichen Ehrenrechte nicht bis
auf die Knochen abgesprochen sind, erhält auf seinen Antrag die Erlaubnis,
sich selbst zu beschäftigen, vorausgesetzt, daß er in der Lage ist, 1,50 Mark
für den Arbeitstag monatlich oder auf längere Zeit voraus zu entrichten.
Diese 1,50 Mark sollen den Betrag ersetzen, den der Gefangne sonst durch
die Beschäftigung mit Austaltsarbeiten dem Fiskus verdient hätte. Bei der
Einzahlung des Betrags ist insofern eine gewisse Form zu wahren, als nicht
der Gefangne selbst den Betrag entrichten darf, sondern eine andre Person,
die vorgiebt, die Arbeitskraft des Jnhaftirten pachten zu wollen. Natürlich
bleibt es dem letztern unbenommen, seine Fran oder einen seiner Freunde mit
der Pachtung zu betrauen, was denn auch in den allermeisten Fällen geschieht.
Die Berechtigung zur Selbstbeschäftigung sichert dem Strafgefanguen sehr
große Vergünstigungen. Die Anstaltsbeamten, vom Direktor herab bis zum
Nachtaufseher, behandeln den „Selbstbeschäftiger" mit Rücksicht und Artigkeit;
die Anstaltsvrduung sitzt ihm weit lockerer um deu Leib, und das bietet ihm
mehr Spielraum, sich zu den erlaubten Vergünstigungen noch ein paar weniger
erlaubte anzueignen. Die sehr störende und, sofern das Arbeitspensum uicht
geschaffen ist, auch höchst unangenehme Kontrolle durch den Arbeitsaufseher
fällt für den „Selbstbeschäftiger" weg. Niemand kümmert sich um ihn, und
wenn er sich durch irgend eine Ungeschicklichkeit der Beachtung der Beamten
aufdrängt, so wird er uicht augeschnanzt oder gar mit Dunkelarrest bedroht
oder bestraft, sondern die Zurechtweisung beschränkt sich meist auf eine ein-
dringliche Ermahnung, den bekannten spartanischen Grundsatz besser zu beachten
und die Anstaltsleitung der peinlichen Aufgabe zu entheben, schon der „andern
Leute" wegen dem Herrn ,,Selbstbeschäftiger" an den Wagen fahren zu müssen.
Diese und noch mehrere andre Vergünstigungen schaffen dem „Selbstbeschäf¬
tiger" eine ganz ungewöhnliche, verhältnismäßig behagliche Lage; in ihrer Ge¬
samtheit bilden diese Glücklichen die von deu Beamten gehütschelte, von den
Mitgefangnen beneidete, aber wegen mancherlei Zuwendungen gern gesehne
Aristokratie der Gefängnisse.

Gegen die Einrichtung von Nergünstiguugeu für minder schwere Ver¬
brecher wäre kaum etwas einzuwenden, wenn man sie nicht gerade vom Gelde
abhängig machen wollte. Mein letztes Palaos verschaffte mir die zweifelhafte
Ehre, mit einem betrügerischen Bankerottierer bekannt zu werde», der — wie
er sagte — „eine kleine mißglückte Finanzoperation" mit einem Jahr und zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/544>, abgerufen am 25.08.2024.