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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Aus geschlossener Gesellschaft

mehr "der minder ungeschickten Ausdrucksweise gehörig auszuschimpfen hätte.
Das wäre eine der "Strafthat" angemessene Strafe.

Meine erste, unter Anklage gestellte publizistische Äußerung war eine
ganz erbärmliche Ungeschicklichkeit, deren ich mich heute bis in den Grund
meiner Seele hinein schäme. Hätte mich damals ein älterer Kollege kräftig
heruntergehuuzt, hätte er mich einen Stümper geheißen, daß ich mit meinen
paar Gedanken so plump umging, dem Staatsanwalt direkt in die Thür zu
fallen, wer weiß, ob ich heute Mut und Humor genug hätte, mit der Göttin
Justitia Blindekuh zu spielen. Die Justizbehörde hat aber meiner publi¬
zistischen Jugendeselei die thatsächlich unverdiente Ehre angedeihen lassen, sie
der Öffentlichkeit und mir selbst gegenüber mit dem schanrigschvnen Nimbus
eines reichsfeuergefährlichen Verbrechens zu umgeben. Jetzt -- du Hases
gewollt, Daudin! Diese erste Verurteilung hat sich mir wie ein chronischer
Katarrh auf den inzrvus vritiLus gelegt, und so vibrirt er seitdem meist in
der trocknen Tonart des Verneinens. Die hohen Töne dithyrambischer Be¬
geisterung sind dem verschnnpften Nerv abhanden gekommen; ein duldsames,
lau angewärmtes Wohlwollen ist seine höchste Spannfähigkeit. Aus dem
frühern politischen Minnesinger, dessen Hippvgryph einen Distanzritt gegen
den gräflich Westarpschen Paradeganl nicht hätte zu scheuen brauchen, ist ein
grämlicher Volksbarde geworden:

Schade, ich war so voll von Milch der Menschenliebe!

Die von dem Verein "Berliner Presse" angestrebte Änderung in der Voll¬
ziehung von Gefängnisstrafen für politische Preßvergehen ist auf der einen
Seite unzureichend, ans der andern unnütz. Man sollte grundsätzlich den
Standpunkt vertreten, daß wegen politischer Preßvergehen überhaupt nur eine
Strafart verhängt werden dürfe, die mit dem paragraphisch noch nicht ver¬
zwickten, natürlichen Rechtsgefühl des Volks uicht kollidirte, also etwa Festungs¬
haft. Das Gefängnis ist ein Strafmittel mit bestimmt ehrenrühriger Tendenz;
verfehlt das Strafmittel anch nur in einem einzigen Falle nach außen hin die
beabsichtigte Wirkung, so schlägt sich die Justiz eine bedenkliche Scharte ins
Schwert. Aber selbst wenn die grundsätzliche Änderung vorläufig außer Frage
kommen müßte, ist der Antrag auch in seinen Einzelheiten verfehlt.

Grundsätzlich ist nämlich das Jsolirshstem für die -- Lik vcmig. vsroo --
Preßgefangnen bereits durchgeführt. Ausnahmen kenne ich nicht. Ich habe
das System in drei verschiednen Gefängnissen ausgekostet, und wenn ich dabei
nicht verrückt geworden bin, so verdanke ich das meiner glücklichen Natur,
dann der Nachsicht meiner Aufseher und schließlich den mannigfachen kleinen
Übertretungen, die jeder Gefangne in den verschiedensten Formen anstiftete. Die
Antragsteller des Vereins "Berliner Presse" haben anscheinend nur die großen


Aus geschlossener Gesellschaft

mehr »der minder ungeschickten Ausdrucksweise gehörig auszuschimpfen hätte.
Das wäre eine der „Strafthat" angemessene Strafe.

Meine erste, unter Anklage gestellte publizistische Äußerung war eine
ganz erbärmliche Ungeschicklichkeit, deren ich mich heute bis in den Grund
meiner Seele hinein schäme. Hätte mich damals ein älterer Kollege kräftig
heruntergehuuzt, hätte er mich einen Stümper geheißen, daß ich mit meinen
paar Gedanken so plump umging, dem Staatsanwalt direkt in die Thür zu
fallen, wer weiß, ob ich heute Mut und Humor genug hätte, mit der Göttin
Justitia Blindekuh zu spielen. Die Justizbehörde hat aber meiner publi¬
zistischen Jugendeselei die thatsächlich unverdiente Ehre angedeihen lassen, sie
der Öffentlichkeit und mir selbst gegenüber mit dem schanrigschvnen Nimbus
eines reichsfeuergefährlichen Verbrechens zu umgeben. Jetzt — du Hases
gewollt, Daudin! Diese erste Verurteilung hat sich mir wie ein chronischer
Katarrh auf den inzrvus vritiLus gelegt, und so vibrirt er seitdem meist in
der trocknen Tonart des Verneinens. Die hohen Töne dithyrambischer Be¬
geisterung sind dem verschnnpften Nerv abhanden gekommen; ein duldsames,
lau angewärmtes Wohlwollen ist seine höchste Spannfähigkeit. Aus dem
frühern politischen Minnesinger, dessen Hippvgryph einen Distanzritt gegen
den gräflich Westarpschen Paradeganl nicht hätte zu scheuen brauchen, ist ein
grämlicher Volksbarde geworden:

Schade, ich war so voll von Milch der Menschenliebe!

Die von dem Verein „Berliner Presse" angestrebte Änderung in der Voll¬
ziehung von Gefängnisstrafen für politische Preßvergehen ist auf der einen
Seite unzureichend, ans der andern unnütz. Man sollte grundsätzlich den
Standpunkt vertreten, daß wegen politischer Preßvergehen überhaupt nur eine
Strafart verhängt werden dürfe, die mit dem paragraphisch noch nicht ver¬
zwickten, natürlichen Rechtsgefühl des Volks uicht kollidirte, also etwa Festungs¬
haft. Das Gefängnis ist ein Strafmittel mit bestimmt ehrenrühriger Tendenz;
verfehlt das Strafmittel anch nur in einem einzigen Falle nach außen hin die
beabsichtigte Wirkung, so schlägt sich die Justiz eine bedenkliche Scharte ins
Schwert. Aber selbst wenn die grundsätzliche Änderung vorläufig außer Frage
kommen müßte, ist der Antrag auch in seinen Einzelheiten verfehlt.

Grundsätzlich ist nämlich das Jsolirshstem für die — Lik vcmig. vsroo —
Preßgefangnen bereits durchgeführt. Ausnahmen kenne ich nicht. Ich habe
das System in drei verschiednen Gefängnissen ausgekostet, und wenn ich dabei
nicht verrückt geworden bin, so verdanke ich das meiner glücklichen Natur,
dann der Nachsicht meiner Aufseher und schließlich den mannigfachen kleinen
Übertretungen, die jeder Gefangne in den verschiedensten Formen anstiftete. Die
Antragsteller des Vereins „Berliner Presse" haben anscheinend nur die großen


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[0543] Aus geschlossener Gesellschaft mehr »der minder ungeschickten Ausdrucksweise gehörig auszuschimpfen hätte. Das wäre eine der „Strafthat" angemessene Strafe. Meine erste, unter Anklage gestellte publizistische Äußerung war eine ganz erbärmliche Ungeschicklichkeit, deren ich mich heute bis in den Grund meiner Seele hinein schäme. Hätte mich damals ein älterer Kollege kräftig heruntergehuuzt, hätte er mich einen Stümper geheißen, daß ich mit meinen paar Gedanken so plump umging, dem Staatsanwalt direkt in die Thür zu fallen, wer weiß, ob ich heute Mut und Humor genug hätte, mit der Göttin Justitia Blindekuh zu spielen. Die Justizbehörde hat aber meiner publi¬ zistischen Jugendeselei die thatsächlich unverdiente Ehre angedeihen lassen, sie der Öffentlichkeit und mir selbst gegenüber mit dem schanrigschvnen Nimbus eines reichsfeuergefährlichen Verbrechens zu umgeben. Jetzt — du Hases gewollt, Daudin! Diese erste Verurteilung hat sich mir wie ein chronischer Katarrh auf den inzrvus vritiLus gelegt, und so vibrirt er seitdem meist in der trocknen Tonart des Verneinens. Die hohen Töne dithyrambischer Be¬ geisterung sind dem verschnnpften Nerv abhanden gekommen; ein duldsames, lau angewärmtes Wohlwollen ist seine höchste Spannfähigkeit. Aus dem frühern politischen Minnesinger, dessen Hippvgryph einen Distanzritt gegen den gräflich Westarpschen Paradeganl nicht hätte zu scheuen brauchen, ist ein grämlicher Volksbarde geworden: Schade, ich war so voll von Milch der Menschenliebe! Die von dem Verein „Berliner Presse" angestrebte Änderung in der Voll¬ ziehung von Gefängnisstrafen für politische Preßvergehen ist auf der einen Seite unzureichend, ans der andern unnütz. Man sollte grundsätzlich den Standpunkt vertreten, daß wegen politischer Preßvergehen überhaupt nur eine Strafart verhängt werden dürfe, die mit dem paragraphisch noch nicht ver¬ zwickten, natürlichen Rechtsgefühl des Volks uicht kollidirte, also etwa Festungs¬ haft. Das Gefängnis ist ein Strafmittel mit bestimmt ehrenrühriger Tendenz; verfehlt das Strafmittel anch nur in einem einzigen Falle nach außen hin die beabsichtigte Wirkung, so schlägt sich die Justiz eine bedenkliche Scharte ins Schwert. Aber selbst wenn die grundsätzliche Änderung vorläufig außer Frage kommen müßte, ist der Antrag auch in seinen Einzelheiten verfehlt. Grundsätzlich ist nämlich das Jsolirshstem für die — Lik vcmig. vsroo — Preßgefangnen bereits durchgeführt. Ausnahmen kenne ich nicht. Ich habe das System in drei verschiednen Gefängnissen ausgekostet, und wenn ich dabei nicht verrückt geworden bin, so verdanke ich das meiner glücklichen Natur, dann der Nachsicht meiner Aufseher und schließlich den mannigfachen kleinen Übertretungen, die jeder Gefangne in den verschiedensten Formen anstiftete. Die Antragsteller des Vereins „Berliner Presse" haben anscheinend nur die großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/543>, abgerufen am 25.08.2024.