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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Zu Goethes Campagne in Frankreich

drückt das doch keineswegs schon Entmutigung aus. In der "Campagne"
dagegen heißt es unter demselben Datum. Die Lage "konnte nicht bedenk¬
licher sein."

Aus der Zeit zwischen dem 27. September und dem 10. Oktober liegt
kein Brief vor; wahrscheinlich hat Goethe auch keinen geschrieben. Denn am
29. begann der Rückzug, und daß dessen Schilderung in der "Campagne"
nicht übertrieben ist, davon geben die Briefe vom 10. und 15. Oktober Zeugnis.
"Umgeben von allen Übeln des Kriegs -- schreibt er zuerst an I. I. Meder --,
sage ich Ihnen für Ihre Briefe Danck, die ich nun alle und zur rechten Zeit
erhalten habe." Und an Christiane: "Dn wirst min wohl schon wissen, daß
es nicht nach Paris geht, daß wir auf dem Rückzug sind. . . . Ich habe viel
ausgestanden, aber meine Gesundheit ist ganz fürtrefflich"; und: "Wie froh ich
bin, zurückzukehren, kann ich Dir nicht ausdrücken; das Elend, das wir aus¬
gestanden, läßt sich nicht beschreiben. Die Armee ist noch zurück, die Wege
sind so ruinirt, das Wetter ist so entsetzlich, daß ich nicht weiß, wie Menschen
und Wagen aus Frankreich kommen sollen." Am ausführlichsten ist er gegen
Voigt: "Es läßt sich viel über das Alles sagen, es wird viel gesagt werden,
und doch wird ein großer Theil dieser sonderbaren Geschichte ein Geheimniß
bleiben. Von den Hindernissen, die durch Witterung und Wege entstanden
sind, hat niemand einen Begriff, als wer mitgelitten hat. Wir haben in
diesen sechs Wochen mehr Mühseligkeit, Noth, Sorge, Elend, Gefahr ausge¬
standen und gesehen als in unserem ganzen Leben:" Er fühlt sich an Leib und
Seele zerschlagen und zerstoßen. Von seinen Genossen ist mancher durch das
ausgestandne Unglück von der Philosophie zum Glaube" übergegangen. Dieser
Feldzug wird, so meint er jetzt, "als eine der unglücklichsten Unternehmungen
in den Jahrbüchern der Welt eine traurige Gestalt machen." Von Luxemburg
aus, wahrscheinlich am 16., ist wohl anch der Brief an seine Mutter ge¬
schrieben, aus dem G. Forster eine Stelle mitgeteilt hat: "Keine Feder und
Zunge könne das Elend der kombinirten Armee beschreiben." Ein Schreiben
an Herder, gleichfalls vom 16. -- es war ebenfalls schon bekannt, bisher aber
durch einen sonderbaren Lesefehler der frühern Herausgeber entstellt --, schließt
diese Hiobsposten wirkungsvoll ab: "Ich für meinen Theil singe den lustigsten
Psalm Davids dem Herrn, daß er mich aus dem Schlamm erlöst hat, der
mir biß an die Seele gieng. Wenn Ew. Lichter Gott für allerlei unerkannte
Wohlthaten im Stillen bemalen, so vergessen Sie nicht, ihn zu preise", daß er
Sie und Ihre besten Freunde außer Stand gesetzt hat, Thorheiten ins Große
zu begehen. Ich eile nach meinen mütterlichen Fleischtöpfen, um dort wie von
einem bösen Traum zu erwachen, der mich zwischen Koth und Noth, Mangel
und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Aesern und sah .. .-
Haufen gefangen hielt."

So ist denn der Eindruck, den wir von der Campagne in Frankreich aus


Zu Goethes Campagne in Frankreich

drückt das doch keineswegs schon Entmutigung aus. In der „Campagne"
dagegen heißt es unter demselben Datum. Die Lage „konnte nicht bedenk¬
licher sein."

Aus der Zeit zwischen dem 27. September und dem 10. Oktober liegt
kein Brief vor; wahrscheinlich hat Goethe auch keinen geschrieben. Denn am
29. begann der Rückzug, und daß dessen Schilderung in der „Campagne"
nicht übertrieben ist, davon geben die Briefe vom 10. und 15. Oktober Zeugnis.
„Umgeben von allen Übeln des Kriegs — schreibt er zuerst an I. I. Meder —,
sage ich Ihnen für Ihre Briefe Danck, die ich nun alle und zur rechten Zeit
erhalten habe." Und an Christiane: „Dn wirst min wohl schon wissen, daß
es nicht nach Paris geht, daß wir auf dem Rückzug sind. . . . Ich habe viel
ausgestanden, aber meine Gesundheit ist ganz fürtrefflich"; und: „Wie froh ich
bin, zurückzukehren, kann ich Dir nicht ausdrücken; das Elend, das wir aus¬
gestanden, läßt sich nicht beschreiben. Die Armee ist noch zurück, die Wege
sind so ruinirt, das Wetter ist so entsetzlich, daß ich nicht weiß, wie Menschen
und Wagen aus Frankreich kommen sollen." Am ausführlichsten ist er gegen
Voigt: „Es läßt sich viel über das Alles sagen, es wird viel gesagt werden,
und doch wird ein großer Theil dieser sonderbaren Geschichte ein Geheimniß
bleiben. Von den Hindernissen, die durch Witterung und Wege entstanden
sind, hat niemand einen Begriff, als wer mitgelitten hat. Wir haben in
diesen sechs Wochen mehr Mühseligkeit, Noth, Sorge, Elend, Gefahr ausge¬
standen und gesehen als in unserem ganzen Leben:" Er fühlt sich an Leib und
Seele zerschlagen und zerstoßen. Von seinen Genossen ist mancher durch das
ausgestandne Unglück von der Philosophie zum Glaube« übergegangen. Dieser
Feldzug wird, so meint er jetzt, „als eine der unglücklichsten Unternehmungen
in den Jahrbüchern der Welt eine traurige Gestalt machen." Von Luxemburg
aus, wahrscheinlich am 16., ist wohl anch der Brief an seine Mutter ge¬
schrieben, aus dem G. Forster eine Stelle mitgeteilt hat: „Keine Feder und
Zunge könne das Elend der kombinirten Armee beschreiben." Ein Schreiben
an Herder, gleichfalls vom 16. — es war ebenfalls schon bekannt, bisher aber
durch einen sonderbaren Lesefehler der frühern Herausgeber entstellt —, schließt
diese Hiobsposten wirkungsvoll ab: „Ich für meinen Theil singe den lustigsten
Psalm Davids dem Herrn, daß er mich aus dem Schlamm erlöst hat, der
mir biß an die Seele gieng. Wenn Ew. Lichter Gott für allerlei unerkannte
Wohlthaten im Stillen bemalen, so vergessen Sie nicht, ihn zu preise», daß er
Sie und Ihre besten Freunde außer Stand gesetzt hat, Thorheiten ins Große
zu begehen. Ich eile nach meinen mütterlichen Fleischtöpfen, um dort wie von
einem bösen Traum zu erwachen, der mich zwischen Koth und Noth, Mangel
und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Aesern und sah .. .-
Haufen gefangen hielt."

So ist denn der Eindruck, den wir von der Campagne in Frankreich aus


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[0538] Zu Goethes Campagne in Frankreich drückt das doch keineswegs schon Entmutigung aus. In der „Campagne" dagegen heißt es unter demselben Datum. Die Lage „konnte nicht bedenk¬ licher sein." Aus der Zeit zwischen dem 27. September und dem 10. Oktober liegt kein Brief vor; wahrscheinlich hat Goethe auch keinen geschrieben. Denn am 29. begann der Rückzug, und daß dessen Schilderung in der „Campagne" nicht übertrieben ist, davon geben die Briefe vom 10. und 15. Oktober Zeugnis. „Umgeben von allen Übeln des Kriegs — schreibt er zuerst an I. I. Meder —, sage ich Ihnen für Ihre Briefe Danck, die ich nun alle und zur rechten Zeit erhalten habe." Und an Christiane: „Dn wirst min wohl schon wissen, daß es nicht nach Paris geht, daß wir auf dem Rückzug sind. . . . Ich habe viel ausgestanden, aber meine Gesundheit ist ganz fürtrefflich"; und: „Wie froh ich bin, zurückzukehren, kann ich Dir nicht ausdrücken; das Elend, das wir aus¬ gestanden, läßt sich nicht beschreiben. Die Armee ist noch zurück, die Wege sind so ruinirt, das Wetter ist so entsetzlich, daß ich nicht weiß, wie Menschen und Wagen aus Frankreich kommen sollen." Am ausführlichsten ist er gegen Voigt: „Es läßt sich viel über das Alles sagen, es wird viel gesagt werden, und doch wird ein großer Theil dieser sonderbaren Geschichte ein Geheimniß bleiben. Von den Hindernissen, die durch Witterung und Wege entstanden sind, hat niemand einen Begriff, als wer mitgelitten hat. Wir haben in diesen sechs Wochen mehr Mühseligkeit, Noth, Sorge, Elend, Gefahr ausge¬ standen und gesehen als in unserem ganzen Leben:" Er fühlt sich an Leib und Seele zerschlagen und zerstoßen. Von seinen Genossen ist mancher durch das ausgestandne Unglück von der Philosophie zum Glaube« übergegangen. Dieser Feldzug wird, so meint er jetzt, „als eine der unglücklichsten Unternehmungen in den Jahrbüchern der Welt eine traurige Gestalt machen." Von Luxemburg aus, wahrscheinlich am 16., ist wohl anch der Brief an seine Mutter ge¬ schrieben, aus dem G. Forster eine Stelle mitgeteilt hat: „Keine Feder und Zunge könne das Elend der kombinirten Armee beschreiben." Ein Schreiben an Herder, gleichfalls vom 16. — es war ebenfalls schon bekannt, bisher aber durch einen sonderbaren Lesefehler der frühern Herausgeber entstellt —, schließt diese Hiobsposten wirkungsvoll ab: „Ich für meinen Theil singe den lustigsten Psalm Davids dem Herrn, daß er mich aus dem Schlamm erlöst hat, der mir biß an die Seele gieng. Wenn Ew. Lichter Gott für allerlei unerkannte Wohlthaten im Stillen bemalen, so vergessen Sie nicht, ihn zu preise», daß er Sie und Ihre besten Freunde außer Stand gesetzt hat, Thorheiten ins Große zu begehen. Ich eile nach meinen mütterlichen Fleischtöpfen, um dort wie von einem bösen Traum zu erwachen, der mich zwischen Koth und Noth, Mangel und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Aesern und sah .. .- Haufen gefangen hielt." So ist denn der Eindruck, den wir von der Campagne in Frankreich aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/538>, abgerufen am 23.07.2024.