Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zu Goethes Campagne in Frankreich

nichts zu dulden gewillt, was als eine Nachahmung des französischen
Wesens gelten konnte. Noch waren gewisse studentische Unruhen in Jena
nicht völlig erloschen, die ihm schon in frühern Jahren zu schaffen ge¬
macht hatten; nun trügt er Voigt auf, nur ja alles zu berichten, was er
darüber wisse: "Die Folgen solcher Minen -- sagt er -- die mitunter von
elenden Menschen gegraben werden, sind so schlimm, daß man nicht fleißig
genug ihnen entgegenwirken kann." So fand er wohl, wie immer die fran¬
zösische Sache noch ausgehen mochte, daß sie bereits mehr Unheil als Segen
hervorgebracht habe. Ein Brief an den Geheimen Rat Schmauß in Weimar
verrät uns aber, daß er die Größe der Gefahr, die die revolutionären Heere
Frankreichs für Deutschland bedeuteten, so wenig ahnte, wie sonst einer der
Zeitgenossen, denn er will nichts von einer Teilnahme des deutschen Neichs-
körpers an dem Kriege wissen; dies hätte anch dem Ländchen seines Herrn
Lasten und Verpflichtungen aufgebürdet, und auf dieses vor allem richtete sich
doch sein politisches Interesse. "Was das Reichseontingent betrifft -- schreibt
er dem Geheimen Rat -- so möchten Sie, sagt unser Fürst, nur vorerst ruhig
seyn. Die Pindarischen Oden des Grafen Görz jbes preußischen Gesandten
am Regensburger Reichstags möchten wohl unser kaltes und bedächtiges
deutsches Reich nicht gleich in Flammen setzen. Es liegen in der Form noch
Hindernisse genug, die man diesem Ansinnen entgegensetzen kann." Wie er
dann einige Wochen später die Nachricht erhält, der geheime Korsen des Her¬
zogs habe sich dahin ausgesprochen, daß der gegenwärtige Krieg als ein Reichs¬
krieg anzusehen sei, ist er gar nicht einverstanden damit. "Wir werden also
auch mit der Heerde ins Verderben rennen--schreibt er an Voigt -- Europa
braucht einen dreißigjährigen Krieg, um einzusehen, was 1792 vernünftig ge¬
wesen wäre." Nun, wenn anch nicht ein dreißigjähriger, so doch ein zwanzig¬
jähriger Krieg war dazu nötig; aber die Erfahrung, die mau aus so viel
Blut und Leiden zog, war nicht, wie der Dichter meinte, daß man 1792 hätte
still fitzen sollen, sondern gerade das Gegenteil. Wie so viele Zeitgenossen,
war er eben auch von dem Irrtum befangen, es handle sich um einen An¬
griffskrieg, der hätte vermieden werden können.

Die Briefe aus der letzten Septemberwoche haben zwar nichts mehr von
der zuversichtlichen Stimmung, die Goethe bis dahin zur Schau getragen hat.
Dennoch scheint hier die Schilderung in der "Campagne" etwas gar zu grau
in grau gemalt zu sein. Am 25. berichtet er noch recht launig an die Her¬
zogin Amalia über die Kanonade von Batay, zwei Tage später schreibt er
noch an Knebel: "Es ist mir sehr lieb, daß ich das Alles mit Augen gesehen
habe, und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist, sagen kann:
et liuoruiu pM'8 irüuiirm klü." Auch wenn er dann hinzusetzt: "Mau fängt
an, den Feind für etwas zu halten, deu man bißher verachtete und (wie es
zu gehen pflegt bey solchen Übergängen) fiir mehr zu halten, als recht ist," so


Grenzboien IV 1892 "7
Zu Goethes Campagne in Frankreich

nichts zu dulden gewillt, was als eine Nachahmung des französischen
Wesens gelten konnte. Noch waren gewisse studentische Unruhen in Jena
nicht völlig erloschen, die ihm schon in frühern Jahren zu schaffen ge¬
macht hatten; nun trügt er Voigt auf, nur ja alles zu berichten, was er
darüber wisse: „Die Folgen solcher Minen — sagt er — die mitunter von
elenden Menschen gegraben werden, sind so schlimm, daß man nicht fleißig
genug ihnen entgegenwirken kann." So fand er wohl, wie immer die fran¬
zösische Sache noch ausgehen mochte, daß sie bereits mehr Unheil als Segen
hervorgebracht habe. Ein Brief an den Geheimen Rat Schmauß in Weimar
verrät uns aber, daß er die Größe der Gefahr, die die revolutionären Heere
Frankreichs für Deutschland bedeuteten, so wenig ahnte, wie sonst einer der
Zeitgenossen, denn er will nichts von einer Teilnahme des deutschen Neichs-
körpers an dem Kriege wissen; dies hätte anch dem Ländchen seines Herrn
Lasten und Verpflichtungen aufgebürdet, und auf dieses vor allem richtete sich
doch sein politisches Interesse. „Was das Reichseontingent betrifft — schreibt
er dem Geheimen Rat — so möchten Sie, sagt unser Fürst, nur vorerst ruhig
seyn. Die Pindarischen Oden des Grafen Görz jbes preußischen Gesandten
am Regensburger Reichstags möchten wohl unser kaltes und bedächtiges
deutsches Reich nicht gleich in Flammen setzen. Es liegen in der Form noch
Hindernisse genug, die man diesem Ansinnen entgegensetzen kann." Wie er
dann einige Wochen später die Nachricht erhält, der geheime Korsen des Her¬
zogs habe sich dahin ausgesprochen, daß der gegenwärtige Krieg als ein Reichs¬
krieg anzusehen sei, ist er gar nicht einverstanden damit. „Wir werden also
auch mit der Heerde ins Verderben rennen—schreibt er an Voigt — Europa
braucht einen dreißigjährigen Krieg, um einzusehen, was 1792 vernünftig ge¬
wesen wäre." Nun, wenn anch nicht ein dreißigjähriger, so doch ein zwanzig¬
jähriger Krieg war dazu nötig; aber die Erfahrung, die mau aus so viel
Blut und Leiden zog, war nicht, wie der Dichter meinte, daß man 1792 hätte
still fitzen sollen, sondern gerade das Gegenteil. Wie so viele Zeitgenossen,
war er eben auch von dem Irrtum befangen, es handle sich um einen An¬
griffskrieg, der hätte vermieden werden können.

Die Briefe aus der letzten Septemberwoche haben zwar nichts mehr von
der zuversichtlichen Stimmung, die Goethe bis dahin zur Schau getragen hat.
Dennoch scheint hier die Schilderung in der „Campagne" etwas gar zu grau
in grau gemalt zu sein. Am 25. berichtet er noch recht launig an die Her¬
zogin Amalia über die Kanonade von Batay, zwei Tage später schreibt er
noch an Knebel: „Es ist mir sehr lieb, daß ich das Alles mit Augen gesehen
habe, und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist, sagen kann:
et liuoruiu pM'8 irüuiirm klü." Auch wenn er dann hinzusetzt: „Mau fängt
an, den Feind für etwas zu halten, deu man bißher verachtete und (wie es
zu gehen pflegt bey solchen Übergängen) fiir mehr zu halten, als recht ist," so


Grenzboien IV 1892 «7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213651"/>
          <fw type="header" place="top"> Zu Goethes Campagne in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1647" prev="#ID_1646"> nichts zu dulden gewillt, was als eine Nachahmung des französischen<lb/>
Wesens gelten konnte. Noch waren gewisse studentische Unruhen in Jena<lb/>
nicht völlig erloschen, die ihm schon in frühern Jahren zu schaffen ge¬<lb/>
macht hatten; nun trügt er Voigt auf, nur ja alles zu berichten, was er<lb/>
darüber wisse: &#x201E;Die Folgen solcher Minen &#x2014; sagt er &#x2014; die mitunter von<lb/>
elenden Menschen gegraben werden, sind so schlimm, daß man nicht fleißig<lb/>
genug ihnen entgegenwirken kann." So fand er wohl, wie immer die fran¬<lb/>
zösische Sache noch ausgehen mochte, daß sie bereits mehr Unheil als Segen<lb/>
hervorgebracht habe. Ein Brief an den Geheimen Rat Schmauß in Weimar<lb/>
verrät uns aber, daß er die Größe der Gefahr, die die revolutionären Heere<lb/>
Frankreichs für Deutschland bedeuteten, so wenig ahnte, wie sonst einer der<lb/>
Zeitgenossen, denn er will nichts von einer Teilnahme des deutschen Neichs-<lb/>
körpers an dem Kriege wissen; dies hätte anch dem Ländchen seines Herrn<lb/>
Lasten und Verpflichtungen aufgebürdet, und auf dieses vor allem richtete sich<lb/>
doch sein politisches Interesse. &#x201E;Was das Reichseontingent betrifft &#x2014; schreibt<lb/>
er dem Geheimen Rat &#x2014; so möchten Sie, sagt unser Fürst, nur vorerst ruhig<lb/>
seyn. Die Pindarischen Oden des Grafen Görz jbes preußischen Gesandten<lb/>
am Regensburger Reichstags möchten wohl unser kaltes und bedächtiges<lb/>
deutsches Reich nicht gleich in Flammen setzen. Es liegen in der Form noch<lb/>
Hindernisse genug, die man diesem Ansinnen entgegensetzen kann." Wie er<lb/>
dann einige Wochen später die Nachricht erhält, der geheime Korsen des Her¬<lb/>
zogs habe sich dahin ausgesprochen, daß der gegenwärtige Krieg als ein Reichs¬<lb/>
krieg anzusehen sei, ist er gar nicht einverstanden damit. &#x201E;Wir werden also<lb/>
auch mit der Heerde ins Verderben rennen&#x2014;schreibt er an Voigt &#x2014; Europa<lb/>
braucht einen dreißigjährigen Krieg, um einzusehen, was 1792 vernünftig ge¬<lb/>
wesen wäre." Nun, wenn anch nicht ein dreißigjähriger, so doch ein zwanzig¬<lb/>
jähriger Krieg war dazu nötig; aber die Erfahrung, die mau aus so viel<lb/>
Blut und Leiden zog, war nicht, wie der Dichter meinte, daß man 1792 hätte<lb/>
still fitzen sollen, sondern gerade das Gegenteil. Wie so viele Zeitgenossen,<lb/>
war er eben auch von dem Irrtum befangen, es handle sich um einen An¬<lb/>
griffskrieg, der hätte vermieden werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648" next="#ID_1649"> Die Briefe aus der letzten Septemberwoche haben zwar nichts mehr von<lb/>
der zuversichtlichen Stimmung, die Goethe bis dahin zur Schau getragen hat.<lb/>
Dennoch scheint hier die Schilderung in der &#x201E;Campagne" etwas gar zu grau<lb/>
in grau gemalt zu sein. Am 25. berichtet er noch recht launig an die Her¬<lb/>
zogin Amalia über die Kanonade von Batay, zwei Tage später schreibt er<lb/>
noch an Knebel: &#x201E;Es ist mir sehr lieb, daß ich das Alles mit Augen gesehen<lb/>
habe, und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist, sagen kann:<lb/>
et liuoruiu pM'8 irüuiirm klü." Auch wenn er dann hinzusetzt: &#x201E;Mau fängt<lb/>
an, den Feind für etwas zu halten, deu man bißher verachtete und (wie es<lb/>
zu gehen pflegt bey solchen Übergängen) fiir mehr zu halten, als recht ist," so</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboien IV 1892 «7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0537] Zu Goethes Campagne in Frankreich nichts zu dulden gewillt, was als eine Nachahmung des französischen Wesens gelten konnte. Noch waren gewisse studentische Unruhen in Jena nicht völlig erloschen, die ihm schon in frühern Jahren zu schaffen ge¬ macht hatten; nun trügt er Voigt auf, nur ja alles zu berichten, was er darüber wisse: „Die Folgen solcher Minen — sagt er — die mitunter von elenden Menschen gegraben werden, sind so schlimm, daß man nicht fleißig genug ihnen entgegenwirken kann." So fand er wohl, wie immer die fran¬ zösische Sache noch ausgehen mochte, daß sie bereits mehr Unheil als Segen hervorgebracht habe. Ein Brief an den Geheimen Rat Schmauß in Weimar verrät uns aber, daß er die Größe der Gefahr, die die revolutionären Heere Frankreichs für Deutschland bedeuteten, so wenig ahnte, wie sonst einer der Zeitgenossen, denn er will nichts von einer Teilnahme des deutschen Neichs- körpers an dem Kriege wissen; dies hätte anch dem Ländchen seines Herrn Lasten und Verpflichtungen aufgebürdet, und auf dieses vor allem richtete sich doch sein politisches Interesse. „Was das Reichseontingent betrifft — schreibt er dem Geheimen Rat — so möchten Sie, sagt unser Fürst, nur vorerst ruhig seyn. Die Pindarischen Oden des Grafen Görz jbes preußischen Gesandten am Regensburger Reichstags möchten wohl unser kaltes und bedächtiges deutsches Reich nicht gleich in Flammen setzen. Es liegen in der Form noch Hindernisse genug, die man diesem Ansinnen entgegensetzen kann." Wie er dann einige Wochen später die Nachricht erhält, der geheime Korsen des Her¬ zogs habe sich dahin ausgesprochen, daß der gegenwärtige Krieg als ein Reichs¬ krieg anzusehen sei, ist er gar nicht einverstanden damit. „Wir werden also auch mit der Heerde ins Verderben rennen—schreibt er an Voigt — Europa braucht einen dreißigjährigen Krieg, um einzusehen, was 1792 vernünftig ge¬ wesen wäre." Nun, wenn anch nicht ein dreißigjähriger, so doch ein zwanzig¬ jähriger Krieg war dazu nötig; aber die Erfahrung, die mau aus so viel Blut und Leiden zog, war nicht, wie der Dichter meinte, daß man 1792 hätte still fitzen sollen, sondern gerade das Gegenteil. Wie so viele Zeitgenossen, war er eben auch von dem Irrtum befangen, es handle sich um einen An¬ griffskrieg, der hätte vermieden werden können. Die Briefe aus der letzten Septemberwoche haben zwar nichts mehr von der zuversichtlichen Stimmung, die Goethe bis dahin zur Schau getragen hat. Dennoch scheint hier die Schilderung in der „Campagne" etwas gar zu grau in grau gemalt zu sein. Am 25. berichtet er noch recht launig an die Her¬ zogin Amalia über die Kanonade von Batay, zwei Tage später schreibt er noch an Knebel: „Es ist mir sehr lieb, daß ich das Alles mit Augen gesehen habe, und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist, sagen kann: et liuoruiu pM'8 irüuiirm klü." Auch wenn er dann hinzusetzt: „Mau fängt an, den Feind für etwas zu halten, deu man bißher verachtete und (wie es zu gehen pflegt bey solchen Übergängen) fiir mehr zu halten, als recht ist," so Grenzboien IV 1892 «7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/537
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/537>, abgerufen am 23.07.2024.