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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Zu Goethes (Lainpcigne in Frankreich

gleichzeitige Wort: "Heute wird die Stadt sich ergeben und die Armee weiter
gegen Paris gehn. Es geht alles so geschwind, daß ich wahrscheinlich bald
wieder bey Dir bin. . . . Aus Paris bringe ich Dir ein Kranichen mit, das
noch besser als ein ^Frankfurter) Judenkrämchen seyn soll."

Überhaupt ist in den Briefchen an Christiane alles ein wenig ins helle
gemalt; er wollte ihr augenscheinlich nicht bange machen, sie über sein Schicksal
beruhigen. Allerdings hat man nicht mit Unrecht bemerkt -- und Chuqnet thut
es auch -- daß die Lage so schlimm nicht war, wie sie in der "Campagne"
schon Anfang September geschildert wird. Aber das gilt doch wohl nur in
Beziehung auf die strategische Lage, auf das Verhältnis zum Feinde, auf die
Position, nicht auf das Schicksal des Einzelnen, besonders wenn es ein ver¬
wöhnteres Menschenkind war wie Goethe. Wenn er am 8. September schreibt:
"Wäre es möglich, daß ich Dich um mich hätte, so wollte ich mirs nicht besser
wünschen," so liegt darin gewiß etwas zärtliche Übertreibung. Er war damals
wohl unter Dach und Fach in dem Örtchen Jardin Fontaine, aber nachdem
er eben erst dem "schrecklichsten Zustand" in einem Zelte, das in grundlosen
Kot versunken war, entgangen war und sich dann durch ein mit Knoblauch ge¬
würztes Gericht den Magen gründlich verdorben hatte. Sehr anmutig klingt
das folgende: "Ich denke immer an Dich und den Kleinen und besuche dich
im Hause und im Garten und denke mir schon, wie hübsch alles seyn wird,
wenn ich wieder komme. Dn mußt mich aber nur lieb behalten und mit den
Aügelchcn nicht zu verschwenderisch umgehen. . . . Nichte nnr alles Wohl ein
und bereite Dich, eine liebe, kleine Köchin zu werden."

Die Gleichgiltigkeit, die Goethe in Frankfurt und Mainz sowohl gegen
die demokratischen wie gegen die aristokratischen Sünder an den Tag legte, hat
er auf dem Zuge selbst nicht bewahrt; einem Menschen, der wie Goethe an
den realen Vorfällen des Lebens, sobald sie ihn selbst berührten, immer leb¬
haft thätigen Anteil nahm, wäre das auch gar nicht möglich gewesen. "Es
ist höchst interessant, gegenwärtig zu seyn," schreibt er am 10. September an
Voigt, "da wo nichts Gleichgültiges geschehen darf. Den Kriegsgang unter
einem so großen Feldherrn und die französische Nation zu gleicher Zeit näher
kennen zu lernen, gibt auch einem müssigen Zuschauer Unterhaltung genug.
Aus den:, was geschieht, zu schließen, was geschehen wird und manchmal einen
Seitenblick in die Karte zu thun, gibt dem Geiste viel Beschäftigung. So
viel ist zu sehen, daß sich die Unternehmung in die Länge zieht. Das Unter¬
nehmen ist immer ungeheuer, so groß auch die Mittel siud. Wir wissen ja,
wie schwer es sey, auch mit vier Kunstzeugen das bißchen Wasser aus der
Tiefe ^des Jlmenauer Bergwerks) zu gewaltigen." Und wenn sich Goethe im
Privatverkehr wie als Schriftsteller weder für die Demokraten noch für die
Aristokraten erwärmte und dem Postmeister von Grevcunmchern als ein
Gemäßigter erscheinen konnte, in seinem Amtsbezirk war er doch entschieden


Zu Goethes (Lainpcigne in Frankreich

gleichzeitige Wort: „Heute wird die Stadt sich ergeben und die Armee weiter
gegen Paris gehn. Es geht alles so geschwind, daß ich wahrscheinlich bald
wieder bey Dir bin. . . . Aus Paris bringe ich Dir ein Kranichen mit, das
noch besser als ein ^Frankfurter) Judenkrämchen seyn soll."

Überhaupt ist in den Briefchen an Christiane alles ein wenig ins helle
gemalt; er wollte ihr augenscheinlich nicht bange machen, sie über sein Schicksal
beruhigen. Allerdings hat man nicht mit Unrecht bemerkt — und Chuqnet thut
es auch — daß die Lage so schlimm nicht war, wie sie in der „Campagne"
schon Anfang September geschildert wird. Aber das gilt doch wohl nur in
Beziehung auf die strategische Lage, auf das Verhältnis zum Feinde, auf die
Position, nicht auf das Schicksal des Einzelnen, besonders wenn es ein ver¬
wöhnteres Menschenkind war wie Goethe. Wenn er am 8. September schreibt:
„Wäre es möglich, daß ich Dich um mich hätte, so wollte ich mirs nicht besser
wünschen," so liegt darin gewiß etwas zärtliche Übertreibung. Er war damals
wohl unter Dach und Fach in dem Örtchen Jardin Fontaine, aber nachdem
er eben erst dem „schrecklichsten Zustand" in einem Zelte, das in grundlosen
Kot versunken war, entgangen war und sich dann durch ein mit Knoblauch ge¬
würztes Gericht den Magen gründlich verdorben hatte. Sehr anmutig klingt
das folgende: „Ich denke immer an Dich und den Kleinen und besuche dich
im Hause und im Garten und denke mir schon, wie hübsch alles seyn wird,
wenn ich wieder komme. Dn mußt mich aber nur lieb behalten und mit den
Aügelchcn nicht zu verschwenderisch umgehen. . . . Nichte nnr alles Wohl ein
und bereite Dich, eine liebe, kleine Köchin zu werden."

Die Gleichgiltigkeit, die Goethe in Frankfurt und Mainz sowohl gegen
die demokratischen wie gegen die aristokratischen Sünder an den Tag legte, hat
er auf dem Zuge selbst nicht bewahrt; einem Menschen, der wie Goethe an
den realen Vorfällen des Lebens, sobald sie ihn selbst berührten, immer leb¬
haft thätigen Anteil nahm, wäre das auch gar nicht möglich gewesen. „Es
ist höchst interessant, gegenwärtig zu seyn," schreibt er am 10. September an
Voigt, „da wo nichts Gleichgültiges geschehen darf. Den Kriegsgang unter
einem so großen Feldherrn und die französische Nation zu gleicher Zeit näher
kennen zu lernen, gibt auch einem müssigen Zuschauer Unterhaltung genug.
Aus den:, was geschieht, zu schließen, was geschehen wird und manchmal einen
Seitenblick in die Karte zu thun, gibt dem Geiste viel Beschäftigung. So
viel ist zu sehen, daß sich die Unternehmung in die Länge zieht. Das Unter¬
nehmen ist immer ungeheuer, so groß auch die Mittel siud. Wir wissen ja,
wie schwer es sey, auch mit vier Kunstzeugen das bißchen Wasser aus der
Tiefe ^des Jlmenauer Bergwerks) zu gewaltigen." Und wenn sich Goethe im
Privatverkehr wie als Schriftsteller weder für die Demokraten noch für die
Aristokraten erwärmte und dem Postmeister von Grevcunmchern als ein
Gemäßigter erscheinen konnte, in seinem Amtsbezirk war er doch entschieden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/536>, abgerufen am 25.08.2024.