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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Moder Kommunismus noch 'Kapitalismus

waren die GeWerken natürlich zahlreicher; allein die gesamte städtische Bevölke¬
rung machte im dreizehnten Jahrhundert nur ein Zwölftel der ländlichen aus;
die damalige Einwohnerzahl von England und Wales wird von Rogers ans
drittehalb Millionen geschätzt. Es gab nnr wenige und nach heutigem Ma߬
stabe kleine Städte. Nur London mit seinen fünfuuddreißigtauseud Einwoh¬
nern war nach heutigem Begriff eine Mittelstadt. Die Wohnung war in der
Stadt so klein, schlecht und schmutzig, der Hausrat so armselig wie auf dem
Lande, aber jeder Bürger hatte am Hause seinen Garten und außerhalb der
Mauern sein Feld. Das Geld, das der Bürger etwa beim Handel erübrigte,
verwendete er nicht auf schöne Ausstattung seiner Häuslichkeit, von der er
keinen Begriff hatte, sondern auf milde Stiftungen, Kirchenbauten, Verschöne¬
rung seiner Kathedrale. Kapitalistische Handwerker, das heißt Handwerker, die
aus eignen Mitteln Materialien angeschafft und die daraus mit Hilfe von
Lohnarbeitern hergestellten Jndustrieerzeugnisse zum Verkauf ausgestellt oder in
den Handel gebracht hätten, gab es nicht. Der Meister war so gut wie sein
Gesell nur Arbeiter auf Tage- oder Stücklohn; bloß, daß er eben Meister und
Arbeitsleiter war und höhern Lohn empfing, unterschied ihn vom Gesellen.
Der Bauer wie der Bürger schaffte die Materialien, die er im Laufe des
Jahres zu verbrauchen gedachte, z. B. Eisen, selbst an, und wollte er z. B.
eine Schaufel, eine Pflugschar haben, so maß er von seinem Vorrat dem
Schmied das nötige zu. Wer ein silbernes oder goldnes Gefäß oder einen
Schmuck wollte, der kaufte Gold oder Silber, wog es dem Goldschmied zu
und ließ sich dann das fertige Stück vorwiegen. Wer bauen wollte, mietete
einen Steinbruch, wenn er keinen eignen hatte, und bestellte dann Arbeiter,
die ihm die Steine brachen, ließ sie mit seinem eignen Gespann anfahren, und
so hielt er es auch mit den übrigen Materialien. Selbst den Bauplan lieferte er
zuweilen selbst. Der Handwerker erhielt immer nur Arbeitslohn, erzielte also
nie einen Unternehmer-, Handels- oder Spekulationsgewinn. Mittelspersonen
wurden überhaupt im Verkehr grundsätzlich ausgeschlossen; Käufer und Ver¬
käufer, Besteller und Unfertiger traten wenn irgend möglich unmittelbar in
Verbindung mit einander. Rogers glaubt, daß die Mittelspersonen, die sich
heute überall einschieben, alle Gegenstände des Bedarfs außerordentlich ver¬
teuern, namentlich aber die Gebäude; er rechnet aus, daß wir Heutigen dreimal
so teuer bauen als die Leute des dreizehnten Jahrhunderts. Der einzige Vor¬
teil der heutigen Bauweise bestehe in der fabelhaften Schnelligkeit, die jedoch
meistens durch Verminderung der Festigkeit und Dauerbarkeit erkauft werde.
Wer auswärts arbeitete, wurde gewöhnlich beköstigt. Aus dem Kontrakt eines
Abts von Se. Edmuudsburg mit einem Baumeister aus dem fünfzehnten
Jahrhundert geht hervor, daß der Manu Kost und Wohnung für sich und
seinen Gehilfen zugesichert erhielt; außerdem wurde jedem jährlich ein Anzug
geliefert und beiden zusammen ein Lohn von zehn Pfund, nach heutigem Gelde


Moder Kommunismus noch 'Kapitalismus

waren die GeWerken natürlich zahlreicher; allein die gesamte städtische Bevölke¬
rung machte im dreizehnten Jahrhundert nur ein Zwölftel der ländlichen aus;
die damalige Einwohnerzahl von England und Wales wird von Rogers ans
drittehalb Millionen geschätzt. Es gab nnr wenige und nach heutigem Ma߬
stabe kleine Städte. Nur London mit seinen fünfuuddreißigtauseud Einwoh¬
nern war nach heutigem Begriff eine Mittelstadt. Die Wohnung war in der
Stadt so klein, schlecht und schmutzig, der Hausrat so armselig wie auf dem
Lande, aber jeder Bürger hatte am Hause seinen Garten und außerhalb der
Mauern sein Feld. Das Geld, das der Bürger etwa beim Handel erübrigte,
verwendete er nicht auf schöne Ausstattung seiner Häuslichkeit, von der er
keinen Begriff hatte, sondern auf milde Stiftungen, Kirchenbauten, Verschöne¬
rung seiner Kathedrale. Kapitalistische Handwerker, das heißt Handwerker, die
aus eignen Mitteln Materialien angeschafft und die daraus mit Hilfe von
Lohnarbeitern hergestellten Jndustrieerzeugnisse zum Verkauf ausgestellt oder in
den Handel gebracht hätten, gab es nicht. Der Meister war so gut wie sein
Gesell nur Arbeiter auf Tage- oder Stücklohn; bloß, daß er eben Meister und
Arbeitsleiter war und höhern Lohn empfing, unterschied ihn vom Gesellen.
Der Bauer wie der Bürger schaffte die Materialien, die er im Laufe des
Jahres zu verbrauchen gedachte, z. B. Eisen, selbst an, und wollte er z. B.
eine Schaufel, eine Pflugschar haben, so maß er von seinem Vorrat dem
Schmied das nötige zu. Wer ein silbernes oder goldnes Gefäß oder einen
Schmuck wollte, der kaufte Gold oder Silber, wog es dem Goldschmied zu
und ließ sich dann das fertige Stück vorwiegen. Wer bauen wollte, mietete
einen Steinbruch, wenn er keinen eignen hatte, und bestellte dann Arbeiter,
die ihm die Steine brachen, ließ sie mit seinem eignen Gespann anfahren, und
so hielt er es auch mit den übrigen Materialien. Selbst den Bauplan lieferte er
zuweilen selbst. Der Handwerker erhielt immer nur Arbeitslohn, erzielte also
nie einen Unternehmer-, Handels- oder Spekulationsgewinn. Mittelspersonen
wurden überhaupt im Verkehr grundsätzlich ausgeschlossen; Käufer und Ver¬
käufer, Besteller und Unfertiger traten wenn irgend möglich unmittelbar in
Verbindung mit einander. Rogers glaubt, daß die Mittelspersonen, die sich
heute überall einschieben, alle Gegenstände des Bedarfs außerordentlich ver¬
teuern, namentlich aber die Gebäude; er rechnet aus, daß wir Heutigen dreimal
so teuer bauen als die Leute des dreizehnten Jahrhunderts. Der einzige Vor¬
teil der heutigen Bauweise bestehe in der fabelhaften Schnelligkeit, die jedoch
meistens durch Verminderung der Festigkeit und Dauerbarkeit erkauft werde.
Wer auswärts arbeitete, wurde gewöhnlich beköstigt. Aus dem Kontrakt eines
Abts von Se. Edmuudsburg mit einem Baumeister aus dem fünfzehnten
Jahrhundert geht hervor, daß der Manu Kost und Wohnung für sich und
seinen Gehilfen zugesichert erhielt; außerdem wurde jedem jährlich ein Anzug
geliefert und beiden zusammen ein Lohn von zehn Pfund, nach heutigem Gelde


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[0528] Moder Kommunismus noch 'Kapitalismus waren die GeWerken natürlich zahlreicher; allein die gesamte städtische Bevölke¬ rung machte im dreizehnten Jahrhundert nur ein Zwölftel der ländlichen aus; die damalige Einwohnerzahl von England und Wales wird von Rogers ans drittehalb Millionen geschätzt. Es gab nnr wenige und nach heutigem Ma߬ stabe kleine Städte. Nur London mit seinen fünfuuddreißigtauseud Einwoh¬ nern war nach heutigem Begriff eine Mittelstadt. Die Wohnung war in der Stadt so klein, schlecht und schmutzig, der Hausrat so armselig wie auf dem Lande, aber jeder Bürger hatte am Hause seinen Garten und außerhalb der Mauern sein Feld. Das Geld, das der Bürger etwa beim Handel erübrigte, verwendete er nicht auf schöne Ausstattung seiner Häuslichkeit, von der er keinen Begriff hatte, sondern auf milde Stiftungen, Kirchenbauten, Verschöne¬ rung seiner Kathedrale. Kapitalistische Handwerker, das heißt Handwerker, die aus eignen Mitteln Materialien angeschafft und die daraus mit Hilfe von Lohnarbeitern hergestellten Jndustrieerzeugnisse zum Verkauf ausgestellt oder in den Handel gebracht hätten, gab es nicht. Der Meister war so gut wie sein Gesell nur Arbeiter auf Tage- oder Stücklohn; bloß, daß er eben Meister und Arbeitsleiter war und höhern Lohn empfing, unterschied ihn vom Gesellen. Der Bauer wie der Bürger schaffte die Materialien, die er im Laufe des Jahres zu verbrauchen gedachte, z. B. Eisen, selbst an, und wollte er z. B. eine Schaufel, eine Pflugschar haben, so maß er von seinem Vorrat dem Schmied das nötige zu. Wer ein silbernes oder goldnes Gefäß oder einen Schmuck wollte, der kaufte Gold oder Silber, wog es dem Goldschmied zu und ließ sich dann das fertige Stück vorwiegen. Wer bauen wollte, mietete einen Steinbruch, wenn er keinen eignen hatte, und bestellte dann Arbeiter, die ihm die Steine brachen, ließ sie mit seinem eignen Gespann anfahren, und so hielt er es auch mit den übrigen Materialien. Selbst den Bauplan lieferte er zuweilen selbst. Der Handwerker erhielt immer nur Arbeitslohn, erzielte also nie einen Unternehmer-, Handels- oder Spekulationsgewinn. Mittelspersonen wurden überhaupt im Verkehr grundsätzlich ausgeschlossen; Käufer und Ver¬ käufer, Besteller und Unfertiger traten wenn irgend möglich unmittelbar in Verbindung mit einander. Rogers glaubt, daß die Mittelspersonen, die sich heute überall einschieben, alle Gegenstände des Bedarfs außerordentlich ver¬ teuern, namentlich aber die Gebäude; er rechnet aus, daß wir Heutigen dreimal so teuer bauen als die Leute des dreizehnten Jahrhunderts. Der einzige Vor¬ teil der heutigen Bauweise bestehe in der fabelhaften Schnelligkeit, die jedoch meistens durch Verminderung der Festigkeit und Dauerbarkeit erkauft werde. Wer auswärts arbeitete, wurde gewöhnlich beköstigt. Aus dem Kontrakt eines Abts von Se. Edmuudsburg mit einem Baumeister aus dem fünfzehnten Jahrhundert geht hervor, daß der Manu Kost und Wohnung für sich und seinen Gehilfen zugesichert erhielt; außerdem wurde jedem jährlich ein Anzug geliefert und beiden zusammen ein Lohn von zehn Pfund, nach heutigem Gelde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/528>, abgerufen am 23.07.2024.