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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Aonnnunismus noch Kapitalismus

lustig, also schlecht geleistet; der Herr ließ sich also lieber mit einem Geldzins
abfinden und mietete Lohnarbeiter. Diese Lohnarbeiter waren im allgemeinen
keine andern als eben die Zinspflichtigen, die frühern Hörigen, der Zins, den
sie entrichtet hatten, floß also in Gestalt von Arbeitslohn in ihre Tasche zurück.
Der Unterschied gegen früher war nur, daß der Herr bessere Arbeit bekam,
und daß sie nicht gezwungen waren, auf des Amtmanns Gebot ihre eigne
Arbeit manchmal zu einer Zeit im Stich zu lassen, wo es ihnen gerade am
wenigsten paßte. Um seinerseits nicht gerade bei der dringendsten Arbeit im
Stich gelassen zu werden, zahlte der Herr in der Ernte doppelten und drei¬
fachen Tagelohn. Würde Kost geliefert -- sie war stets ausreichend und
nach damaligen Verhältnissen gut --, so wurde auf sie die Hälfte des Tage¬
lohns gerechnet. Der Mann verdiente also in achtstündiger Arbeitszeit -- länger
als acht Stunden dauerte damals das Tagewerk weder in der Stadt noch auf
dem Lande -- das Doppelte seiner Kost. Lohnarbeiter, die keinen Grund¬
besitz, sei es als freies Eigentum oder zu Lehn oder in Pacht gehabt hätten,
gab es im allgemeinen nicht. Ein lautloser Mensch und ein Dieb galten als
ein und dasselbe. Die Zahl solcher muß aber äußerst gering gewesen sein
weil Felddiebstühle sast gar nicht erwähnt werden, obwohl in den Wirtschafts¬
büchern unter den Ausgaben auch alle Verluste, z. V. dnrch Viehseuchen lind
andres Unglück, sorgfältig verzeichnet stehen.

Rogers sieht in diesem Umstände zugleich einen Beweis dafür, daß sämt¬
liche Gemeindemitglieder, weil als Besitzer gleichmäßig an der Abwehr und
Verhinderung von Feldfreveln interessirt, eifrig Polizei übten, wie sie ja auch
durch die Teilnahme an den Gerichtssitzungen im Manvrhouse in der Übung
der Selbstverwaltung blieben. Auch politisirte jeder Bauer, da ja die Leute
durch das Parlament, durch die Geldbewilligungen für Kriegszwecke und den
Kriegsdienst an den Staatsangelegenheiten unmittelbar beteiligt waren. Polizei
und Richteramt waren leicht zu üben, weil die Gemeinden klein, nach heutigen
Begriffen winzig waren -- sie bestanden meistens nur aus ein paar Dutzend
Haushaltungen -- daher jeder jeden und sein ganzes Thun und Treiben
kannte. Beim spätern Übergänge der Gerichtsbarkeit vom Manvrhouse auf die
Graffchaftsgerichte, meint Rogers, habe die berühmte altenglische Jury ihren
Suin und ihre Berechtigung verloren; die Geschwornen jener ältern Zeit Hütten
bloß zu bezeugen gehabt, was jeder wußte, die jetzige Jury dagegen solle
Thatbestände ermitteln, von denen keines ihrer Mitglieder etwas weiß.

Die Hörigen, um auf diese zurückzukommen, waren folgenden Freiheits¬
beschränkungen unterworsen. Sie durften nicht in das Gebiet einer andern
Gutsherrschaft übersiedeln. Sie durften nicht im königlichen Heere Kriegs¬
dienste leisten. Sie durften ihre Töchter nicht ohne Erlaubnis des Herrn ver¬
heiraten; für die Erlaubnis wurde gewöhnlich etwas bezahlt. Sie durften
ohne Erlaubnis ihres Herrn weder selbst die Weihen empfangen oder ins


Weder Aonnnunismus noch Kapitalismus

lustig, also schlecht geleistet; der Herr ließ sich also lieber mit einem Geldzins
abfinden und mietete Lohnarbeiter. Diese Lohnarbeiter waren im allgemeinen
keine andern als eben die Zinspflichtigen, die frühern Hörigen, der Zins, den
sie entrichtet hatten, floß also in Gestalt von Arbeitslohn in ihre Tasche zurück.
Der Unterschied gegen früher war nur, daß der Herr bessere Arbeit bekam,
und daß sie nicht gezwungen waren, auf des Amtmanns Gebot ihre eigne
Arbeit manchmal zu einer Zeit im Stich zu lassen, wo es ihnen gerade am
wenigsten paßte. Um seinerseits nicht gerade bei der dringendsten Arbeit im
Stich gelassen zu werden, zahlte der Herr in der Ernte doppelten und drei¬
fachen Tagelohn. Würde Kost geliefert — sie war stets ausreichend und
nach damaligen Verhältnissen gut —, so wurde auf sie die Hälfte des Tage¬
lohns gerechnet. Der Mann verdiente also in achtstündiger Arbeitszeit — länger
als acht Stunden dauerte damals das Tagewerk weder in der Stadt noch auf
dem Lande — das Doppelte seiner Kost. Lohnarbeiter, die keinen Grund¬
besitz, sei es als freies Eigentum oder zu Lehn oder in Pacht gehabt hätten,
gab es im allgemeinen nicht. Ein lautloser Mensch und ein Dieb galten als
ein und dasselbe. Die Zahl solcher muß aber äußerst gering gewesen sein
weil Felddiebstühle sast gar nicht erwähnt werden, obwohl in den Wirtschafts¬
büchern unter den Ausgaben auch alle Verluste, z. V. dnrch Viehseuchen lind
andres Unglück, sorgfältig verzeichnet stehen.

Rogers sieht in diesem Umstände zugleich einen Beweis dafür, daß sämt¬
liche Gemeindemitglieder, weil als Besitzer gleichmäßig an der Abwehr und
Verhinderung von Feldfreveln interessirt, eifrig Polizei übten, wie sie ja auch
durch die Teilnahme an den Gerichtssitzungen im Manvrhouse in der Übung
der Selbstverwaltung blieben. Auch politisirte jeder Bauer, da ja die Leute
durch das Parlament, durch die Geldbewilligungen für Kriegszwecke und den
Kriegsdienst an den Staatsangelegenheiten unmittelbar beteiligt waren. Polizei
und Richteramt waren leicht zu üben, weil die Gemeinden klein, nach heutigen
Begriffen winzig waren — sie bestanden meistens nur aus ein paar Dutzend
Haushaltungen — daher jeder jeden und sein ganzes Thun und Treiben
kannte. Beim spätern Übergänge der Gerichtsbarkeit vom Manvrhouse auf die
Graffchaftsgerichte, meint Rogers, habe die berühmte altenglische Jury ihren
Suin und ihre Berechtigung verloren; die Geschwornen jener ältern Zeit Hütten
bloß zu bezeugen gehabt, was jeder wußte, die jetzige Jury dagegen solle
Thatbestände ermitteln, von denen keines ihrer Mitglieder etwas weiß.

Die Hörigen, um auf diese zurückzukommen, waren folgenden Freiheits¬
beschränkungen unterworsen. Sie durften nicht in das Gebiet einer andern
Gutsherrschaft übersiedeln. Sie durften nicht im königlichen Heere Kriegs¬
dienste leisten. Sie durften ihre Töchter nicht ohne Erlaubnis des Herrn ver¬
heiraten; für die Erlaubnis wurde gewöhnlich etwas bezahlt. Sie durften
ohne Erlaubnis ihres Herrn weder selbst die Weihen empfangen oder ins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/524>, abgerufen am 23.12.2024.