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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der langweilige Acimmerherr

gewißlich, und ich ärgere mir nich wenig, wenn so andre teilte was sage"
wollen über ihm!

Was sagen sie denn? fragte ich.

Er aber sah die Mondscheibe an und fuhr mit der Hand übers Gesicht.
Als wenn ich das verzählte! Du meine Zeit -- ganz gewiß nicht! Und
ich kann das auch nich, wenn das alte Ding mir cmglotzt! Weiß auch gar
nich, was unser Herrgott sich gedacht hat, als er son dummes Ding an den
Himmel setzte, was doch kein einzigen Menschen leiden mag! Sie mögen ihm
leiden? Is wahr? Na, das kommt man bloß von die Jugend und weil
Sie noch nix Böses erlebt haben. Wenn Sie man erst dreiundneunzig Jahrens
aufn Puckel haben, denn sind Sie auch nich mehr hinterm Mondschein her --
denn hat er auch schon hundertmal auf Ihnen geschienen, als Sie das gar
nich haben mochten. Ja, da passen Sie man auf, und nu gehen Sie man
nach Hause, denn Ruhe haben Sie gehabt, und Sie haben noch weit zu gehen.
Ich kenn den alten Weg ganz genau -- dazumalen ivars noch kein Schassee,
aber passiren that da mehr auf, als nu, da können Sie gewiß sein!

Ich war aufgestanden, und der gelbe Hund sprang wieder schwanzwedelnd
an nur in die Höhe.

Perle mag Ihnen leiden, sagte der Alte. Denn sind Sie auch nich
ganz steche; denn for die Slechtigkeit is er nich. Na, wenn Sie hier mal
wieder längs gehen, denn können Sie ganz gern ein büschen auf mein Bank
ausruhen. Kaput is sie doch schon!

Damit endete mein erstes Zusammentreffen mit Detlev Marksen. Aber
es war nicht mein letztes. Ich habe manch liebesmal auf der alten Bank ge¬
sessen und mit dem Alten geplaudert. Er konnte noch sehr vernünftig sprechen,
trotz seiner Jahre, und er hat mir mancherlei erzählt. Nur wenn der Mond am
Himmel stand, wurde er unruhig, und dann erging er sich in den schwärzesten
Anschuldigungen gegen diesen Weltkörper, der uns andern Sterblichen doch gar
nicht so unangenehm ist.

Eines Tags aber erzählte er mir auch, weshalb. Ich war eingeregnet
bei ihm, und zum erstenmale hatte ich die Schwelle seines Hauses überschritten.
Es war ein dunkles Zimmerchen mit kleinen, trüben Scheiben, in das mich
der Alte hineinführte. Es stand wenig Gerät darin, nur etliche Hvlzbnnke
und am Fenster ein Stuhl mit hoher Lehne, vor dem sich mühsam ein
Tischchen auf drei Beinen hielt. Detlev Marksen nötigte mich auf den Fenster¬
platz, er selbst setzte sich auf eine der Holzbünke, und Perle legte sich ihm zu
Füßen. Das Wetter draußen war ganz trostlos geworden, an die blinden
Scheiben schlug der Regen, und es beschlich mich die trübe Ahnung, daß ich
eine Zeit lang in dein dumpfigen, kleinen Stübchen würde aushalten müssen,
wenn ich nicht ganz durchnäßt nach Hause kommen wollte. Da seufzte ich
denn und sprach wohl mehreremal das Wort "langweilig" vor mich hin.


Der langweilige Acimmerherr

gewißlich, und ich ärgere mir nich wenig, wenn so andre teilte was sage»
wollen über ihm!

Was sagen sie denn? fragte ich.

Er aber sah die Mondscheibe an und fuhr mit der Hand übers Gesicht.
Als wenn ich das verzählte! Du meine Zeit — ganz gewiß nicht! Und
ich kann das auch nich, wenn das alte Ding mir cmglotzt! Weiß auch gar
nich, was unser Herrgott sich gedacht hat, als er son dummes Ding an den
Himmel setzte, was doch kein einzigen Menschen leiden mag! Sie mögen ihm
leiden? Is wahr? Na, das kommt man bloß von die Jugend und weil
Sie noch nix Böses erlebt haben. Wenn Sie man erst dreiundneunzig Jahrens
aufn Puckel haben, denn sind Sie auch nich mehr hinterm Mondschein her —
denn hat er auch schon hundertmal auf Ihnen geschienen, als Sie das gar
nich haben mochten. Ja, da passen Sie man auf, und nu gehen Sie man
nach Hause, denn Ruhe haben Sie gehabt, und Sie haben noch weit zu gehen.
Ich kenn den alten Weg ganz genau — dazumalen ivars noch kein Schassee,
aber passiren that da mehr auf, als nu, da können Sie gewiß sein!

Ich war aufgestanden, und der gelbe Hund sprang wieder schwanzwedelnd
an nur in die Höhe.

Perle mag Ihnen leiden, sagte der Alte. Denn sind Sie auch nich
ganz steche; denn for die Slechtigkeit is er nich. Na, wenn Sie hier mal
wieder längs gehen, denn können Sie ganz gern ein büschen auf mein Bank
ausruhen. Kaput is sie doch schon!

Damit endete mein erstes Zusammentreffen mit Detlev Marksen. Aber
es war nicht mein letztes. Ich habe manch liebesmal auf der alten Bank ge¬
sessen und mit dem Alten geplaudert. Er konnte noch sehr vernünftig sprechen,
trotz seiner Jahre, und er hat mir mancherlei erzählt. Nur wenn der Mond am
Himmel stand, wurde er unruhig, und dann erging er sich in den schwärzesten
Anschuldigungen gegen diesen Weltkörper, der uns andern Sterblichen doch gar
nicht so unangenehm ist.

Eines Tags aber erzählte er mir auch, weshalb. Ich war eingeregnet
bei ihm, und zum erstenmale hatte ich die Schwelle seines Hauses überschritten.
Es war ein dunkles Zimmerchen mit kleinen, trüben Scheiben, in das mich
der Alte hineinführte. Es stand wenig Gerät darin, nur etliche Hvlzbnnke
und am Fenster ein Stuhl mit hoher Lehne, vor dem sich mühsam ein
Tischchen auf drei Beinen hielt. Detlev Marksen nötigte mich auf den Fenster¬
platz, er selbst setzte sich auf eine der Holzbünke, und Perle legte sich ihm zu
Füßen. Das Wetter draußen war ganz trostlos geworden, an die blinden
Scheiben schlug der Regen, und es beschlich mich die trübe Ahnung, daß ich
eine Zeit lang in dein dumpfigen, kleinen Stübchen würde aushalten müssen,
wenn ich nicht ganz durchnäßt nach Hause kommen wollte. Da seufzte ich
denn und sprach wohl mehreremal das Wort „langweilig" vor mich hin.


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[0494] Der langweilige Acimmerherr gewißlich, und ich ärgere mir nich wenig, wenn so andre teilte was sage» wollen über ihm! Was sagen sie denn? fragte ich. Er aber sah die Mondscheibe an und fuhr mit der Hand übers Gesicht. Als wenn ich das verzählte! Du meine Zeit — ganz gewiß nicht! Und ich kann das auch nich, wenn das alte Ding mir cmglotzt! Weiß auch gar nich, was unser Herrgott sich gedacht hat, als er son dummes Ding an den Himmel setzte, was doch kein einzigen Menschen leiden mag! Sie mögen ihm leiden? Is wahr? Na, das kommt man bloß von die Jugend und weil Sie noch nix Böses erlebt haben. Wenn Sie man erst dreiundneunzig Jahrens aufn Puckel haben, denn sind Sie auch nich mehr hinterm Mondschein her — denn hat er auch schon hundertmal auf Ihnen geschienen, als Sie das gar nich haben mochten. Ja, da passen Sie man auf, und nu gehen Sie man nach Hause, denn Ruhe haben Sie gehabt, und Sie haben noch weit zu gehen. Ich kenn den alten Weg ganz genau — dazumalen ivars noch kein Schassee, aber passiren that da mehr auf, als nu, da können Sie gewiß sein! Ich war aufgestanden, und der gelbe Hund sprang wieder schwanzwedelnd an nur in die Höhe. Perle mag Ihnen leiden, sagte der Alte. Denn sind Sie auch nich ganz steche; denn for die Slechtigkeit is er nich. Na, wenn Sie hier mal wieder längs gehen, denn können Sie ganz gern ein büschen auf mein Bank ausruhen. Kaput is sie doch schon! Damit endete mein erstes Zusammentreffen mit Detlev Marksen. Aber es war nicht mein letztes. Ich habe manch liebesmal auf der alten Bank ge¬ sessen und mit dem Alten geplaudert. Er konnte noch sehr vernünftig sprechen, trotz seiner Jahre, und er hat mir mancherlei erzählt. Nur wenn der Mond am Himmel stand, wurde er unruhig, und dann erging er sich in den schwärzesten Anschuldigungen gegen diesen Weltkörper, der uns andern Sterblichen doch gar nicht so unangenehm ist. Eines Tags aber erzählte er mir auch, weshalb. Ich war eingeregnet bei ihm, und zum erstenmale hatte ich die Schwelle seines Hauses überschritten. Es war ein dunkles Zimmerchen mit kleinen, trüben Scheiben, in das mich der Alte hineinführte. Es stand wenig Gerät darin, nur etliche Hvlzbnnke und am Fenster ein Stuhl mit hoher Lehne, vor dem sich mühsam ein Tischchen auf drei Beinen hielt. Detlev Marksen nötigte mich auf den Fenster¬ platz, er selbst setzte sich auf eine der Holzbünke, und Perle legte sich ihm zu Füßen. Das Wetter draußen war ganz trostlos geworden, an die blinden Scheiben schlug der Regen, und es beschlich mich die trübe Ahnung, daß ich eine Zeit lang in dein dumpfigen, kleinen Stübchen würde aushalten müssen, wenn ich nicht ganz durchnäßt nach Hause kommen wollte. Da seufzte ich denn und sprach wohl mehreremal das Wort „langweilig" vor mich hin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/494>, abgerufen am 25.08.2024.