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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Alkyonische Tage

klagende Musik, die an den Aphrodite- und Adonisfeften ertönte; unermeßliche
Reichtümer waren sein eigen, und er war schön wie kein andrer Sterblicher.
Aber er wagte mit Apollon selbst in die Schranken zu treten und mit ihm
einen musikalischen Kampf einzugehn. Natürlich siegte der Gott und tötete
im Zorn den Vermessenen. Seine Töchter aber stürzten sich nach des Vaters
Tode verzweifelnd ins Meer und wurden in Eisvögel verwandelt; nun singen
sie noch als Vögel des Vaters klagende Lieder und trauern um sein Geschick.

Die verbreitetste Sage brachte die Alkyonen mit den Namen des Keyx
und der Alkyone zusammen. Sie ist ebenfalls ziemlich alt; schon die hesio-
dischen Gedichte scheinen davon erzählt zu haben. Späterhin, im fünsten Jahr¬
hundert, war sie in Athen so volkstümlich, daß Euripides in einem Chvrliede
seiner taurischen Iphigenie, also in einer gesnngnen Partie des Dramas,
darauf nuspieleu und sicher sein konnte, verstanden zu werden. Ja die Gatten-
liebe, die in dieser Sage das Charakteristische bildet, erscheint bereits an einer
Stelle der Ilias mit dem Namen Alkhone verbunden.

Keyx war König von Trachis am Fuße des Oda -- so hatten wohl zu¬
erst die Umwohner des Oda gefabelt. Sein Vater war Heosphoros, der
Morgenstern, gewesen. Er selbst lebte in Glanz und Fülle. So führte er
denn auch die schönste Braut heim, Alkyone, die Tochter des Aiolos. Er
hielt eine prächtige Hochzeit, und alles war eitel Lust und Jubel. Wie man
aber beim Schmausen saß, trat sogar sein alter Freund Herakles herein, un¬
geladen, aber doch willkommen, "denn der Brave ist dem Braven immer
willkommen." Keyx und seine junge Gattin liebten sich zärtlich und waren
jedes stolz auf die Liebe des andern. Aber das sollte ihnen zum Verderben
gereichen. Ihr Stolz wurde zum Übermut, und sie wagten es, ihre Ehe mit
dem heiligen Bande zu vergleichen, das Zeus, den Vater der Götter und
Menschen, mit seiner Gattin Hera verknüpfte. Da wandelte sich ihre Lust in
bittres Leid. Der erzürnte Gott verwandelte sie in zwei Vögel, die immer
getrennt von einander leben müssen, ihn in den Vogel Keyx, sie in den Alkyon.
So irrt nun Alkyon überall umher und klagt um den Verlornen Gatten.

Daneben erzählte man sich das Ende des Märchens anch auf andre
Weise. Der König mußte einst eine weite Seefahrt unternehmen, um das
Orakel in Klciros zu befragen. Umsonst suchte ihn die liebende Gattin durch
Bitten und Flehen zurückzuhalten, er zog hinaus aus dem heimatlichen Port,
seinem Schicksal entgegen. Da ereilte ihn die Rache der Götter auf dem
Meere; der Sturm zerbrach ihm Mast und Nuder, und er selber rang ver¬
geblich mit Wind und Wellen um sein Leben. Inzwischen irrte Alkyone in
banger Ahnung angstvoll am Ufer umher und spähte hinaus ins Meer, wie
es sich hinter Euböas Rücken in dämmernder Ferne verlor. Endlich spülten
die Fluten den Leichnam des Gatten zu ihren Füßen ans Land. Da über¬
mannte sie die Verzweiflung, und von dem Klippenrande stürzte sie sich in


Alkyonische Tage

klagende Musik, die an den Aphrodite- und Adonisfeften ertönte; unermeßliche
Reichtümer waren sein eigen, und er war schön wie kein andrer Sterblicher.
Aber er wagte mit Apollon selbst in die Schranken zu treten und mit ihm
einen musikalischen Kampf einzugehn. Natürlich siegte der Gott und tötete
im Zorn den Vermessenen. Seine Töchter aber stürzten sich nach des Vaters
Tode verzweifelnd ins Meer und wurden in Eisvögel verwandelt; nun singen
sie noch als Vögel des Vaters klagende Lieder und trauern um sein Geschick.

Die verbreitetste Sage brachte die Alkyonen mit den Namen des Keyx
und der Alkyone zusammen. Sie ist ebenfalls ziemlich alt; schon die hesio-
dischen Gedichte scheinen davon erzählt zu haben. Späterhin, im fünsten Jahr¬
hundert, war sie in Athen so volkstümlich, daß Euripides in einem Chvrliede
seiner taurischen Iphigenie, also in einer gesnngnen Partie des Dramas,
darauf nuspieleu und sicher sein konnte, verstanden zu werden. Ja die Gatten-
liebe, die in dieser Sage das Charakteristische bildet, erscheint bereits an einer
Stelle der Ilias mit dem Namen Alkhone verbunden.

Keyx war König von Trachis am Fuße des Oda — so hatten wohl zu¬
erst die Umwohner des Oda gefabelt. Sein Vater war Heosphoros, der
Morgenstern, gewesen. Er selbst lebte in Glanz und Fülle. So führte er
denn auch die schönste Braut heim, Alkyone, die Tochter des Aiolos. Er
hielt eine prächtige Hochzeit, und alles war eitel Lust und Jubel. Wie man
aber beim Schmausen saß, trat sogar sein alter Freund Herakles herein, un¬
geladen, aber doch willkommen, „denn der Brave ist dem Braven immer
willkommen." Keyx und seine junge Gattin liebten sich zärtlich und waren
jedes stolz auf die Liebe des andern. Aber das sollte ihnen zum Verderben
gereichen. Ihr Stolz wurde zum Übermut, und sie wagten es, ihre Ehe mit
dem heiligen Bande zu vergleichen, das Zeus, den Vater der Götter und
Menschen, mit seiner Gattin Hera verknüpfte. Da wandelte sich ihre Lust in
bittres Leid. Der erzürnte Gott verwandelte sie in zwei Vögel, die immer
getrennt von einander leben müssen, ihn in den Vogel Keyx, sie in den Alkyon.
So irrt nun Alkyon überall umher und klagt um den Verlornen Gatten.

Daneben erzählte man sich das Ende des Märchens anch auf andre
Weise. Der König mußte einst eine weite Seefahrt unternehmen, um das
Orakel in Klciros zu befragen. Umsonst suchte ihn die liebende Gattin durch
Bitten und Flehen zurückzuhalten, er zog hinaus aus dem heimatlichen Port,
seinem Schicksal entgegen. Da ereilte ihn die Rache der Götter auf dem
Meere; der Sturm zerbrach ihm Mast und Nuder, und er selber rang ver¬
geblich mit Wind und Wellen um sein Leben. Inzwischen irrte Alkyone in
banger Ahnung angstvoll am Ufer umher und spähte hinaus ins Meer, wie
es sich hinter Euböas Rücken in dämmernder Ferne verlor. Endlich spülten
die Fluten den Leichnam des Gatten zu ihren Füßen ans Land. Da über¬
mannte sie die Verzweiflung, und von dem Klippenrande stürzte sie sich in


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[0491] Alkyonische Tage klagende Musik, die an den Aphrodite- und Adonisfeften ertönte; unermeßliche Reichtümer waren sein eigen, und er war schön wie kein andrer Sterblicher. Aber er wagte mit Apollon selbst in die Schranken zu treten und mit ihm einen musikalischen Kampf einzugehn. Natürlich siegte der Gott und tötete im Zorn den Vermessenen. Seine Töchter aber stürzten sich nach des Vaters Tode verzweifelnd ins Meer und wurden in Eisvögel verwandelt; nun singen sie noch als Vögel des Vaters klagende Lieder und trauern um sein Geschick. Die verbreitetste Sage brachte die Alkyonen mit den Namen des Keyx und der Alkyone zusammen. Sie ist ebenfalls ziemlich alt; schon die hesio- dischen Gedichte scheinen davon erzählt zu haben. Späterhin, im fünsten Jahr¬ hundert, war sie in Athen so volkstümlich, daß Euripides in einem Chvrliede seiner taurischen Iphigenie, also in einer gesnngnen Partie des Dramas, darauf nuspieleu und sicher sein konnte, verstanden zu werden. Ja die Gatten- liebe, die in dieser Sage das Charakteristische bildet, erscheint bereits an einer Stelle der Ilias mit dem Namen Alkhone verbunden. Keyx war König von Trachis am Fuße des Oda — so hatten wohl zu¬ erst die Umwohner des Oda gefabelt. Sein Vater war Heosphoros, der Morgenstern, gewesen. Er selbst lebte in Glanz und Fülle. So führte er denn auch die schönste Braut heim, Alkyone, die Tochter des Aiolos. Er hielt eine prächtige Hochzeit, und alles war eitel Lust und Jubel. Wie man aber beim Schmausen saß, trat sogar sein alter Freund Herakles herein, un¬ geladen, aber doch willkommen, „denn der Brave ist dem Braven immer willkommen." Keyx und seine junge Gattin liebten sich zärtlich und waren jedes stolz auf die Liebe des andern. Aber das sollte ihnen zum Verderben gereichen. Ihr Stolz wurde zum Übermut, und sie wagten es, ihre Ehe mit dem heiligen Bande zu vergleichen, das Zeus, den Vater der Götter und Menschen, mit seiner Gattin Hera verknüpfte. Da wandelte sich ihre Lust in bittres Leid. Der erzürnte Gott verwandelte sie in zwei Vögel, die immer getrennt von einander leben müssen, ihn in den Vogel Keyx, sie in den Alkyon. So irrt nun Alkyon überall umher und klagt um den Verlornen Gatten. Daneben erzählte man sich das Ende des Märchens anch auf andre Weise. Der König mußte einst eine weite Seefahrt unternehmen, um das Orakel in Klciros zu befragen. Umsonst suchte ihn die liebende Gattin durch Bitten und Flehen zurückzuhalten, er zog hinaus aus dem heimatlichen Port, seinem Schicksal entgegen. Da ereilte ihn die Rache der Götter auf dem Meere; der Sturm zerbrach ihm Mast und Nuder, und er selber rang ver¬ geblich mit Wind und Wellen um sein Leben. Inzwischen irrte Alkyone in banger Ahnung angstvoll am Ufer umher und spähte hinaus ins Meer, wie es sich hinter Euböas Rücken in dämmernder Ferne verlor. Endlich spülten die Fluten den Leichnam des Gatten zu ihren Füßen ans Land. Da über¬ mannte sie die Verzweiflung, und von dem Klippenrande stürzte sie sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/491>, abgerufen am 22.12.2024.