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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Bucher

vorbehalten. Natürlich fand man im Publikum jene Beschäftigung noch nicht
hinreichend, schrieb ihm vielmehr allerlei litterarische Erscheinungen zu, die ihre
Spitze gegen den ,,neuen Kurs" richten. Bei der musterhaften Ordnung, in
der er seine Papiere hinterlassen hat, würden sich schon bei oberflächlicher
Durchsicht Belege dafür gefunden haben, aber das ist nicht der Fall,

Im Juli d. I., von Baden-Baden nach Berlin zurückgekehrt, nahm er
noch gutgelaunt eine Patenstelle bei einer Enkelin von mir an und versprach,
im August zur Taufe zu kommen. Doch mußte er bald darauf seine Er¬
krankung und Abreise nach Bad Elster melden, wohin sein Arzt aus Laubdach
übergesiedelt war. Dort sand ich ihn in der zweiten Augusthälfte unter der
sorgsamen Obhut des Dr. Gittermann und seiner liebenswürdigen Frau,
äußerlich kaum verändert; aber die Ernährung war schwierig geworden. Das
machte den Arzt besorgt, der auf Enthaltung von aller anstrengenden Be¬
schäftigung und einfachste Kost drang. Für den Winter wurde ein Aufenthalt
in anderen Klima verabredet. Bucher wählte den ihm lieben Genfersee und reiste
am 20. September dahin ab, allein, obwohl der Arzt, dessen Saison zu Ende
war, und der selbst eine Erholungsreise beabsichtigte, bat, ihn als Freund be¬
gleiten zu dürfen. Am 8. Oktober erhielt unsre Schwägerin, die auf dem Um¬
schlag eines Briefes ihre Adresse angegeben hatte, von dem Besitzer des Kötsl
an L-i^ni vauckois in Glion die Aufforderung, zu kommen, dn meines Bruders
Zustand die ernstesten Besorgnisse errege. Glücklicherweise konnte sie sich sofort
auf den Weg machen, traf ihn noch bei Bewußtsein, doch am frühen Morgen
des 12. Oktober erlöste ihn der Tod von schrecklichen Leiden, die er infolge
der Verkalkung der Blutgefäße zu erdulden gehabt hatte. Mitglieder der
deutschen Kolonie erwiesen ihm die letzte Ehre. Eine Huldigung für seine
allbekannte Anspruchslosigkeit war es wohl, daß die Vertretungen des deutschen
Reichs in Bern und Genf, von seinem Ableben in Kenntnis gesetzt, es ver¬
mieden, durch irgendeine Kundgebung dem Leichenbegängnis einen offiziellen
Anstrich zu geben. Wir Verwandten beabsichtigen, seine Ruhestätte in Territet
mit einem Bronzeabguß nach dem vortrefflichen Porträtrelief von Professor
Sußmann in dem Gebunde der handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen
Amtes in der Wilhelmsstrnße schmücken zu lassen.

Fürst Bismnrck hat Buchers hingebungsvolle Treue und Selbstlosigkeit
("Geschmackssache" nennt das ein freisinniges Blatt sehr bezeichnend) in
warmen Worten anerkannt, und wer hätte mehr Gelegenheit gehabt, diese
Eigenschaften zu würdigen! Aber auch politische und persönliche Gegner, an
denen es ihm, wie wir wissen, nicht fehlte, haben nach seinem Tode wenigstens
der Lauterkeit seines Charakters ihre Ehrerbietung nicht versagt.




Erinnerungen an Lothar Bucher

vorbehalten. Natürlich fand man im Publikum jene Beschäftigung noch nicht
hinreichend, schrieb ihm vielmehr allerlei litterarische Erscheinungen zu, die ihre
Spitze gegen den ,,neuen Kurs" richten. Bei der musterhaften Ordnung, in
der er seine Papiere hinterlassen hat, würden sich schon bei oberflächlicher
Durchsicht Belege dafür gefunden haben, aber das ist nicht der Fall,

Im Juli d. I., von Baden-Baden nach Berlin zurückgekehrt, nahm er
noch gutgelaunt eine Patenstelle bei einer Enkelin von mir an und versprach,
im August zur Taufe zu kommen. Doch mußte er bald darauf seine Er¬
krankung und Abreise nach Bad Elster melden, wohin sein Arzt aus Laubdach
übergesiedelt war. Dort sand ich ihn in der zweiten Augusthälfte unter der
sorgsamen Obhut des Dr. Gittermann und seiner liebenswürdigen Frau,
äußerlich kaum verändert; aber die Ernährung war schwierig geworden. Das
machte den Arzt besorgt, der auf Enthaltung von aller anstrengenden Be¬
schäftigung und einfachste Kost drang. Für den Winter wurde ein Aufenthalt
in anderen Klima verabredet. Bucher wählte den ihm lieben Genfersee und reiste
am 20. September dahin ab, allein, obwohl der Arzt, dessen Saison zu Ende
war, und der selbst eine Erholungsreise beabsichtigte, bat, ihn als Freund be¬
gleiten zu dürfen. Am 8. Oktober erhielt unsre Schwägerin, die auf dem Um¬
schlag eines Briefes ihre Adresse angegeben hatte, von dem Besitzer des Kötsl
an L-i^ni vauckois in Glion die Aufforderung, zu kommen, dn meines Bruders
Zustand die ernstesten Besorgnisse errege. Glücklicherweise konnte sie sich sofort
auf den Weg machen, traf ihn noch bei Bewußtsein, doch am frühen Morgen
des 12. Oktober erlöste ihn der Tod von schrecklichen Leiden, die er infolge
der Verkalkung der Blutgefäße zu erdulden gehabt hatte. Mitglieder der
deutschen Kolonie erwiesen ihm die letzte Ehre. Eine Huldigung für seine
allbekannte Anspruchslosigkeit war es wohl, daß die Vertretungen des deutschen
Reichs in Bern und Genf, von seinem Ableben in Kenntnis gesetzt, es ver¬
mieden, durch irgendeine Kundgebung dem Leichenbegängnis einen offiziellen
Anstrich zu geben. Wir Verwandten beabsichtigen, seine Ruhestätte in Territet
mit einem Bronzeabguß nach dem vortrefflichen Porträtrelief von Professor
Sußmann in dem Gebunde der handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen
Amtes in der Wilhelmsstrnße schmücken zu lassen.

Fürst Bismnrck hat Buchers hingebungsvolle Treue und Selbstlosigkeit
(„Geschmackssache" nennt das ein freisinniges Blatt sehr bezeichnend) in
warmen Worten anerkannt, und wer hätte mehr Gelegenheit gehabt, diese
Eigenschaften zu würdigen! Aber auch politische und persönliche Gegner, an
denen es ihm, wie wir wissen, nicht fehlte, haben nach seinem Tode wenigstens
der Lauterkeit seines Charakters ihre Ehrerbietung nicht versagt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/484>, abgerufen am 22.12.2024.