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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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"ach seinem Eintritt ins Ministerium schrieb er mir die heute prophetisch ge-
wordnen Worte: "Der Chef ist ein genialer Mensch, für den man sich gern
totarbeiten würde"; und daß die Beziehungen bald freundschaftlicher Natur
wurden, ließe sich vielfältig belegen. Was über seine Arbeit im Amte gesagt
worden ist, beruht zum größten Teil auf Vermutung. Man wollte seinen
Stil in Thronreden, auch in manchen Parlamentsreden des Kanzlers wieder¬
erkennen, z. B. in der Polenfrage. Was die Thronreden anlangt, so hat Fürst
Bismarck selbst unlängst die Aufklärung gegeben, die für jemand, der dem amt¬
lichen Geschäftsgange nicht ganz fremd ist, nichts überraschendes enthält, näm¬
lich daß dergleichen Kundgebungen nicht leicht das Werk eines einzelnen sein
können. Daß er an wichtigen Staatsschriften vor und nach dem deutsche"
Kriege, sowie a" der Verfassung des Norddeutschen Bundes Anteil gehabt hat,
glaube ich nach gelegentlichen Äußerungen voraussetzen zu dürfen. Bekannt
ist, daß er bis zum französischen Kriege das Herzogtum Lauenburg verwaltete,
das sich unter dänischer Herrschaft einer ähnlichen Vergessenheit erfreut hatte,
wie nach Ruges Schilderung Vorpommern unter schwedischer; ferner, daß er
mit Herrn von Quaade die Ausführung des berühmten ^ 5 des Prager Frie¬
dens vereinbaren sollte, die jedoch von Dänemark in Erwartung besserer Kon¬
stellationen so lange verzögert wurde, bis jener Paragraph beseitigt war; daß
er 1870 und 1871 im Stäbe Bismarcks in Versailles und zum Friedens¬
schluß in Frankfurt war. Vor Ausbruch des Kriegs, als uoch die Thron¬
kandidatur des damaligen Erbprinzen von Hohenzollern auf dem Tapet stand,
war er, wie ich gelegentlich aus dem Munde dieses Fürsten erfuhr, al^ sein
Berater in Sigmaringen, in den achtziger Jahren in besondrer Mission in
London. Bekannter ist, daß er Jahre hindurch deu Reichskanzler nach Varzin
begleitete, um zu konzipiren, zu chiffriren und zu dechiffriren u. s. w. Damals
sah er sich genötigt, das Formular eines ablehnenden Briefes drucken zu küssen;
so wurde er mit Anliegen überschüttet, die er bei dem Minister befürworten sollte.

Hier reiht sich ungezwungen die Frage an, die mir so häufig vorgelegt
worden ist, ob er Denkwürdigkeiten seines Lebens zu Papier gebracht habe?
Daß ihm im Amte dazu keine Zeit geblieben ist, liegt auf der Hand. Als er
zeitweilig in Ruhestand getreten war, haben wir über den Punkt mehrmals
gesprochen, aber seine Antwort war: "Das beste, was du wissen kannst, darfst
dn den Buben doch nicht sagen." Vor etwas länger als einem Jahre wies
er den Gedanken nicht völlig zurück, aber mit der Einschränkung, er möchte
kulturgeschichtliche Erinnerungen schreiben. Leider ist er auch dazu nicht ge¬
kommen. Seine Memoiren bis 1864 stehn in den Zeitungen und Büchern,
die spätern liegen im Berliner Auswärtigen Amte. Einen Schatz hat er aller¬
dings hinterlassen, der sich jedoch uicht für die Veröffentlichung eignet. Von
1850 an hat er in unermüdlichem Fleiß alles, was der Tag zur Geschichte
einer politischen Frage oder zur Charakteristik einer politischen Persönlichkeit


»ach seinem Eintritt ins Ministerium schrieb er mir die heute prophetisch ge-
wordnen Worte: „Der Chef ist ein genialer Mensch, für den man sich gern
totarbeiten würde"; und daß die Beziehungen bald freundschaftlicher Natur
wurden, ließe sich vielfältig belegen. Was über seine Arbeit im Amte gesagt
worden ist, beruht zum größten Teil auf Vermutung. Man wollte seinen
Stil in Thronreden, auch in manchen Parlamentsreden des Kanzlers wieder¬
erkennen, z. B. in der Polenfrage. Was die Thronreden anlangt, so hat Fürst
Bismarck selbst unlängst die Aufklärung gegeben, die für jemand, der dem amt¬
lichen Geschäftsgange nicht ganz fremd ist, nichts überraschendes enthält, näm¬
lich daß dergleichen Kundgebungen nicht leicht das Werk eines einzelnen sein
können. Daß er an wichtigen Staatsschriften vor und nach dem deutsche»
Kriege, sowie a» der Verfassung des Norddeutschen Bundes Anteil gehabt hat,
glaube ich nach gelegentlichen Äußerungen voraussetzen zu dürfen. Bekannt
ist, daß er bis zum französischen Kriege das Herzogtum Lauenburg verwaltete,
das sich unter dänischer Herrschaft einer ähnlichen Vergessenheit erfreut hatte,
wie nach Ruges Schilderung Vorpommern unter schwedischer; ferner, daß er
mit Herrn von Quaade die Ausführung des berühmten ^ 5 des Prager Frie¬
dens vereinbaren sollte, die jedoch von Dänemark in Erwartung besserer Kon¬
stellationen so lange verzögert wurde, bis jener Paragraph beseitigt war; daß
er 1870 und 1871 im Stäbe Bismarcks in Versailles und zum Friedens¬
schluß in Frankfurt war. Vor Ausbruch des Kriegs, als uoch die Thron¬
kandidatur des damaligen Erbprinzen von Hohenzollern auf dem Tapet stand,
war er, wie ich gelegentlich aus dem Munde dieses Fürsten erfuhr, al^ sein
Berater in Sigmaringen, in den achtziger Jahren in besondrer Mission in
London. Bekannter ist, daß er Jahre hindurch deu Reichskanzler nach Varzin
begleitete, um zu konzipiren, zu chiffriren und zu dechiffriren u. s. w. Damals
sah er sich genötigt, das Formular eines ablehnenden Briefes drucken zu küssen;
so wurde er mit Anliegen überschüttet, die er bei dem Minister befürworten sollte.

Hier reiht sich ungezwungen die Frage an, die mir so häufig vorgelegt
worden ist, ob er Denkwürdigkeiten seines Lebens zu Papier gebracht habe?
Daß ihm im Amte dazu keine Zeit geblieben ist, liegt auf der Hand. Als er
zeitweilig in Ruhestand getreten war, haben wir über den Punkt mehrmals
gesprochen, aber seine Antwort war: „Das beste, was du wissen kannst, darfst
dn den Buben doch nicht sagen." Vor etwas länger als einem Jahre wies
er den Gedanken nicht völlig zurück, aber mit der Einschränkung, er möchte
kulturgeschichtliche Erinnerungen schreiben. Leider ist er auch dazu nicht ge¬
kommen. Seine Memoiren bis 1864 stehn in den Zeitungen und Büchern,
die spätern liegen im Berliner Auswärtigen Amte. Einen Schatz hat er aller¬
dings hinterlassen, der sich jedoch uicht für die Veröffentlichung eignet. Von
1850 an hat er in unermüdlichem Fleiß alles, was der Tag zur Geschichte
einer politischen Frage oder zur Charakteristik einer politischen Persönlichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/480>, abgerufen am 23.12.2024.