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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Grinnermigen c>n Lothar Bucher

Das Geheimnis war gut gewahrt worden, und so schlug die Nachricht
wie eine Bombe ein. Des Strebertums hat ihn wohl kaum jemand geziehen,
daß er nicht mehr zu seiner einstigen Partei gehörte, wußte man längst, man
hatte ihm auch wegen früherer guter Aufführung und schriftstellerischer Gaben
seine "Schrullen" verziehen. Wie aber konnte ein Mann von solcher Ver¬
gangenheit in "den Dienst der Reaktion" treten! Freiligrath hatte seiner ersten
Sammlung politischer Gedichte den Ausspruch Chamissos vorangesetzt, er sei
nicht von den Torys zu den Whigs übergegangen, sondern Whig gewesen,
als er die Augen über sich öffnete. Solches von sich sagen zu können, war
rühmlich, aber wehe dem Manne, der den entgegengesetzten Weg nehmen wollte!
Er mußte die Augen schließen oder wenigstens nicht verraten, was sie ihm
zeigten, sonst war er kein Charakter! Man darf es immerhin als einen Fort¬
schritt in der politischen Bildung begrüßen, daß in den ihm auch von poli¬
tischen Gegnern gewidmeten nachrufen -- soweit sie mir zu Gesicht gekommen
sind -- diese bornirte Auffassung nur ganz ausnahmsweise zum Ausdruck ge¬
langt ist. Das angebliche Rätsel freilich, wie sich zwei in manchen Beziehungen
ähnlich angelegte, vor allem von dem gleichen Patriotismus beseelte Männer
aus verschiednen Schulen hervorgegangen, auf demselben Punkte begegnen
konnten, hat nach wie vor Kopfzerbrechen gemacht.

Beschäftigt hat sich die Presse mit meinem Bruder überhaupt während
seines Wirkens im Auswärtigen Amte sehr viel, und etwa mit Ausnahme der
Zeit der größten Erfolge der Bismarckschen Politik vorwiegend feindselig. Es
ist unglaublich, wie viel Gift und Geifer gegen ihn ausgespritzt wurde, von
einem Blatte an, hinter dein man Diplomaten, die sich nicht nach Verdienst
gewürdigt meinten, vermutete, bis zu den Organen von "Arbeitern" in xg,r-
e-liens. Waren auch die heimtückischsten Anfülle in der Regel weniger ans ihn
als ans seinen Vorgesetzten gemünzt, so ermüdete man doch nicht, aus seiner
Vergangenheit und seiner Gegenwart Vorwündc zu Schmähungen und Ver-
leumdungen herauszusuchen. Bald war er der böse Dämon, bald das willen¬
lose Werkzeug des Reichskanzlers. Schon daß in sein Verhältnis zu diesem
während der langen Jahre keine Störung kam, machte ihn verdächtig. Und
wenn den Dingen nahestehende Personen das Geheimnis dadurch erklärten,
daß er nie den Versuch machte, seine Stellung auszunutzen, so sagten die
Zweifler: Wer weiß, ob das wahr ist? und mochten im stillen hinzusetzen:
Wie dumm, im Rohr sitzen und sich keine Pfeifen schneiden! Neben dem
Parteifanatismus war offenbar vielfach der Neid im Spiel, der es ja sehr gut
versteht, Pharisüermienen anzunehmen. Das alles läßt sich leicht begreifen.
Nur wie eine Partei mit antinationalen Zielen jemals hat glauben können,
ihn zu den ihrigen rechnen zu dürfen, weil er die jetzige soziale Ordnung für
verbesserungsbedürftig hielt, ist schwer verständlich.

Die Persönlichkeit des Ministers nahm ihn rasch gefangen, kurze Zeit


Grinnermigen c>n Lothar Bucher

Das Geheimnis war gut gewahrt worden, und so schlug die Nachricht
wie eine Bombe ein. Des Strebertums hat ihn wohl kaum jemand geziehen,
daß er nicht mehr zu seiner einstigen Partei gehörte, wußte man längst, man
hatte ihm auch wegen früherer guter Aufführung und schriftstellerischer Gaben
seine „Schrullen" verziehen. Wie aber konnte ein Mann von solcher Ver¬
gangenheit in „den Dienst der Reaktion" treten! Freiligrath hatte seiner ersten
Sammlung politischer Gedichte den Ausspruch Chamissos vorangesetzt, er sei
nicht von den Torys zu den Whigs übergegangen, sondern Whig gewesen,
als er die Augen über sich öffnete. Solches von sich sagen zu können, war
rühmlich, aber wehe dem Manne, der den entgegengesetzten Weg nehmen wollte!
Er mußte die Augen schließen oder wenigstens nicht verraten, was sie ihm
zeigten, sonst war er kein Charakter! Man darf es immerhin als einen Fort¬
schritt in der politischen Bildung begrüßen, daß in den ihm auch von poli¬
tischen Gegnern gewidmeten nachrufen — soweit sie mir zu Gesicht gekommen
sind — diese bornirte Auffassung nur ganz ausnahmsweise zum Ausdruck ge¬
langt ist. Das angebliche Rätsel freilich, wie sich zwei in manchen Beziehungen
ähnlich angelegte, vor allem von dem gleichen Patriotismus beseelte Männer
aus verschiednen Schulen hervorgegangen, auf demselben Punkte begegnen
konnten, hat nach wie vor Kopfzerbrechen gemacht.

Beschäftigt hat sich die Presse mit meinem Bruder überhaupt während
seines Wirkens im Auswärtigen Amte sehr viel, und etwa mit Ausnahme der
Zeit der größten Erfolge der Bismarckschen Politik vorwiegend feindselig. Es
ist unglaublich, wie viel Gift und Geifer gegen ihn ausgespritzt wurde, von
einem Blatte an, hinter dein man Diplomaten, die sich nicht nach Verdienst
gewürdigt meinten, vermutete, bis zu den Organen von „Arbeitern" in xg,r-
e-liens. Waren auch die heimtückischsten Anfülle in der Regel weniger ans ihn
als ans seinen Vorgesetzten gemünzt, so ermüdete man doch nicht, aus seiner
Vergangenheit und seiner Gegenwart Vorwündc zu Schmähungen und Ver-
leumdungen herauszusuchen. Bald war er der böse Dämon, bald das willen¬
lose Werkzeug des Reichskanzlers. Schon daß in sein Verhältnis zu diesem
während der langen Jahre keine Störung kam, machte ihn verdächtig. Und
wenn den Dingen nahestehende Personen das Geheimnis dadurch erklärten,
daß er nie den Versuch machte, seine Stellung auszunutzen, so sagten die
Zweifler: Wer weiß, ob das wahr ist? und mochten im stillen hinzusetzen:
Wie dumm, im Rohr sitzen und sich keine Pfeifen schneiden! Neben dem
Parteifanatismus war offenbar vielfach der Neid im Spiel, der es ja sehr gut
versteht, Pharisüermienen anzunehmen. Das alles läßt sich leicht begreifen.
Nur wie eine Partei mit antinationalen Zielen jemals hat glauben können,
ihn zu den ihrigen rechnen zu dürfen, weil er die jetzige soziale Ordnung für
verbesserungsbedürftig hielt, ist schwer verständlich.

Die Persönlichkeit des Ministers nahm ihn rasch gefangen, kurze Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/479>, abgerufen am 23.07.2024.