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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Aufklärungen über studentische Dinge

sie sich in einem merkwürdig aus Vornehmthuerei und Vertraulichkeit gemischten
Jargon über Frauenzimmer und über andre Verbindungen unterhalten; ihre
Sprache ist ein widerwärtiges, zur bessern Hälfte an Leutnants, zur schlim¬
mer" an Affen erinnerndes näselndes Gequietsch, am gequältesten im süd¬
deutschen Munds. Bei Prvmenndenkonzerten sind sie stets, auf der Straße meist
im Kolleg nie zu finden. Ob und wie viel sie dazu beitragen, das Ver¬
bindungswesen seiner alten Tüchtigkeit und seiner Eigentümlichkeit zu entkleiden
und es den Bessern zu verleiden, das brauchen wir wohl nicht weiter zu er¬
örtern.

Was wird nnn aber aus den frischern und gehaltvvllern Füchsen, die
nicht aktiv werden, die also nicht in eine der ja auch noch vorhandnen guten
Verbindungen treten oder durch Überrumpelung oder irgend welche Beziehung
doch in eine der modernem geraten, zu deren Glück oder ihrem eignen Unter¬
liegen? Sie und gerade sie möchten doch auch studentisch fröhlich sein, möchten
singen, kneipen, schwärmen, tollen, Freundschaften fürs Leben in der Musen¬
stadt schließen. Durch sie entstehen dann, soweit sie das nicht bei Vereinen
suchen wollen, die anfangs losen "Blasen," aber damit immer wieder neue
dauernde Verbindungen. Das ist der verhängnisvollste oirouws villosus in
dem studentischen Treiben, daß der Wunsch, die wirklichen oder überschätzteu
Kalamitäten des "Cvnleurwesens" zu vermeiden, der Wahn, Front dagegen
zu machen, immer wieder neue Verbindungen ohne und mit Farben erzeugt,
daß sich daher die zum Aktivwerden geeigneten und geneigten immer mehr zer¬
splittern, daß die Verbindnngszahl immer größer, dagegen die Zahl an Mit¬
gliedern, zumal an tüchtigen, bei den einzelnen Korporationen immer kleiner
wird. Visher hat sich uns von allen Seiten die Erfahrung bestätigt, daß
diese weitere Entwicklung aus der wenn auch uoch so losen "Gesellschaft,"
"Kneipe" oder wie sich das Ding nennt, unabwendbar ist. Zunächst kommen
in die ursprüngliche Egalite; der Freunde durch Nachwuchs jüngere Semester
hinein, und damit beginnt auch schon die anfangs bewußt verabscheute Komment-
reiterei. Die alten Semester werden alte Herren; leise keimen die üblichen An¬
sprüche an diese auf und werden gern erfüllt, es wächst ein Inventar aus
Geschenken und Anschaffungen heran, eine eigne Kneipeinrichtung, sogar ein
eignes Lokal. Die Gesellschaft stellt jetzt was vor, die Studentenschaft rechnet
mit ihr, sie mit der Öffentlichkeit. Zirkel und Abzeichen erscheinen als Be¬
dürfnis; bald heißes: "wir müssen eigne Waffen haben, so, wies jetzt ist, ists
nur teurer und unpraktischer und bringt uns kein Ansehen." Bald hängt auch
ein Wappen, hängen Fahnen auf der Kneipe, und nun kommt die Frage, ob
man diese nicht auch auf der Mensur und bei Festen zeigen solle. Zuletzt ist
die Entscheidung vor der Thür, ob man die Farben öffentlich tragen solle; die
einen machen allerdings davor Halt, die andern ziehen auch diese Konsequenz.
Und das ist schließlich noch das erfreulichste Ergebnis; denn zu dem besten


Aufklärungen über studentische Dinge

sie sich in einem merkwürdig aus Vornehmthuerei und Vertraulichkeit gemischten
Jargon über Frauenzimmer und über andre Verbindungen unterhalten; ihre
Sprache ist ein widerwärtiges, zur bessern Hälfte an Leutnants, zur schlim¬
mer» an Affen erinnerndes näselndes Gequietsch, am gequältesten im süd¬
deutschen Munds. Bei Prvmenndenkonzerten sind sie stets, auf der Straße meist
im Kolleg nie zu finden. Ob und wie viel sie dazu beitragen, das Ver¬
bindungswesen seiner alten Tüchtigkeit und seiner Eigentümlichkeit zu entkleiden
und es den Bessern zu verleiden, das brauchen wir wohl nicht weiter zu er¬
örtern.

Was wird nnn aber aus den frischern und gehaltvvllern Füchsen, die
nicht aktiv werden, die also nicht in eine der ja auch noch vorhandnen guten
Verbindungen treten oder durch Überrumpelung oder irgend welche Beziehung
doch in eine der modernem geraten, zu deren Glück oder ihrem eignen Unter¬
liegen? Sie und gerade sie möchten doch auch studentisch fröhlich sein, möchten
singen, kneipen, schwärmen, tollen, Freundschaften fürs Leben in der Musen¬
stadt schließen. Durch sie entstehen dann, soweit sie das nicht bei Vereinen
suchen wollen, die anfangs losen „Blasen," aber damit immer wieder neue
dauernde Verbindungen. Das ist der verhängnisvollste oirouws villosus in
dem studentischen Treiben, daß der Wunsch, die wirklichen oder überschätzteu
Kalamitäten des „Cvnleurwesens" zu vermeiden, der Wahn, Front dagegen
zu machen, immer wieder neue Verbindungen ohne und mit Farben erzeugt,
daß sich daher die zum Aktivwerden geeigneten und geneigten immer mehr zer¬
splittern, daß die Verbindnngszahl immer größer, dagegen die Zahl an Mit¬
gliedern, zumal an tüchtigen, bei den einzelnen Korporationen immer kleiner
wird. Visher hat sich uns von allen Seiten die Erfahrung bestätigt, daß
diese weitere Entwicklung aus der wenn auch uoch so losen „Gesellschaft,"
„Kneipe" oder wie sich das Ding nennt, unabwendbar ist. Zunächst kommen
in die ursprüngliche Egalite; der Freunde durch Nachwuchs jüngere Semester
hinein, und damit beginnt auch schon die anfangs bewußt verabscheute Komment-
reiterei. Die alten Semester werden alte Herren; leise keimen die üblichen An¬
sprüche an diese auf und werden gern erfüllt, es wächst ein Inventar aus
Geschenken und Anschaffungen heran, eine eigne Kneipeinrichtung, sogar ein
eignes Lokal. Die Gesellschaft stellt jetzt was vor, die Studentenschaft rechnet
mit ihr, sie mit der Öffentlichkeit. Zirkel und Abzeichen erscheinen als Be¬
dürfnis; bald heißes: „wir müssen eigne Waffen haben, so, wies jetzt ist, ists
nur teurer und unpraktischer und bringt uns kein Ansehen." Bald hängt auch
ein Wappen, hängen Fahnen auf der Kneipe, und nun kommt die Frage, ob
man diese nicht auch auf der Mensur und bei Festen zeigen solle. Zuletzt ist
die Entscheidung vor der Thür, ob man die Farben öffentlich tragen solle; die
einen machen allerdings davor Halt, die andern ziehen auch diese Konsequenz.
Und das ist schließlich noch das erfreulichste Ergebnis; denn zu dem besten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/469>, abgerufen am 23.07.2024.