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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Lachsen

Ererbuugeu, Überlieferungen, Erinnerungen, Interessen, die einen Sachsen mit
seinem Boden verflechten, umfängt nur langsam das zweite oder erst das dritte
Geschlecht Eingewanderter. Wie anders ist der Mutterboden der Reichsdeutschen!
Frank hätte darauf hinweisen können, daß von der kräftigern wirtschaftlichen
Entwicklung Siebenbürgens vielleicht auch eine Verminderung der Unterschiede
zwischen altansässigen und neu eingewanderten Deutschen gehofft werden darf,
wenn auch erst nach der Lösung unvermeidlicher Mißverständnisse.

Die Landsleute, die nach Siebenbürgen auswandern, und auch die, die
Hinreisen, um zu lernen und vielleicht, wie das in zunehmendem Maße ge¬
schieht, ihre Eindrücke später der Öffentlichkeit zu übergeben, mögen sich bei
dieser Gelegenheit einen guten Rat gefallen lassen. Mögen sie sich nicht als
überlegne Vertreter einer großen Politik geberden, der gegenüber das kleine
Sachsenvolk verschwindet, sondern vor allem als deutsche Landsleute fühlen
und denken. Besonders im Verkehr mit den Ungarn, die eifersüchtig den Ver¬
kehr zwischen ihren Sachsen und den Deutschen des Reichs beobachten, mögen
sie beherzigen, daß niemand von ihnen die Politik der Leitartikel oder Noten
erwartet. Unvermeidlich muß bei dem einzelnen Deutschen die warme Teil¬
nahme an dem Geschick seiner Landsleute in der Fremde sein, überflüssig ist
die Kundgebung seiner Bedenken, ob nicht der Dreibund erschüttert werde,
wenn er seinen landsmannschaftlichen Gefühlen freien Lauf lasse. Mit Recht
erbittert es unsre Freunde dort hinter dem Wald, wenn ein Professor oder
sonst ein gebildeter Geschäftsreisender ihnen solche Bedenken warnend darlegt
und sie ersucht, nicht durch ihre Widerhaarigkeit die Deutschen im allgemeinen
bei den allianzfreundlichcn Magyaren in noch ärgern Mißkredit zu bringen.

Auf einem andern Blatte stehen für uns die Mobilisirungen eines großen
Teiles der deutschen Presse, die besonders nach 1871 öfter für die deutschen
siebenbürger bei magyarischen Übergriffen hervorgerufen wurden. Die ful¬
minanten Artikel und Broschüren waren nicht immer von hinreichender Sach¬
kenntnis erfüllt, wenn sie auch von namhaften Professoren geschrieben waren,
und schössen oft über das Ziel hinaus oder daneben vorbei. Es wurden ent¬
rüstete Ausmarsche in den Zeitungsspalteu aus Anlässen veranstaltet, bei denen
es klüger gewesen wäre, unsre Freunde sich selber helfen zu lassen. Unsre
nationalen Vintler haben sich viel zu sehr in die Einzelheiten der Streitfragen
und Verhandlungen gemischt, wo es klüger für ihre Schützlinge und sie ge¬
wesen wäre, ein paar warme Worte zu sagen. Wir Deutschen im Reich dürfen
nicht den Anschein erwecken, als ob unsre sämtlichen Zeitungen- und Brvschüren-
schreiber nichts besseres zu thun hätten, als für die Bruderstämme im Osten
die Lärmtrommel zu schlagen. Die Einverständnisse, die ja natürlich basirt,
brauchen sich nicht zu .Konspirationen zwischen dortigen Unznfriednen und hie¬
sigen Kampflustigen oder Rührseligen zu entwickeln. Wie weit wir auch mit
Dentschsiebenbürgern oder Deutschrussen gehen, es giebt Grenzen, die uns unsre


Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Lachsen

Ererbuugeu, Überlieferungen, Erinnerungen, Interessen, die einen Sachsen mit
seinem Boden verflechten, umfängt nur langsam das zweite oder erst das dritte
Geschlecht Eingewanderter. Wie anders ist der Mutterboden der Reichsdeutschen!
Frank hätte darauf hinweisen können, daß von der kräftigern wirtschaftlichen
Entwicklung Siebenbürgens vielleicht auch eine Verminderung der Unterschiede
zwischen altansässigen und neu eingewanderten Deutschen gehofft werden darf,
wenn auch erst nach der Lösung unvermeidlicher Mißverständnisse.

Die Landsleute, die nach Siebenbürgen auswandern, und auch die, die
Hinreisen, um zu lernen und vielleicht, wie das in zunehmendem Maße ge¬
schieht, ihre Eindrücke später der Öffentlichkeit zu übergeben, mögen sich bei
dieser Gelegenheit einen guten Rat gefallen lassen. Mögen sie sich nicht als
überlegne Vertreter einer großen Politik geberden, der gegenüber das kleine
Sachsenvolk verschwindet, sondern vor allem als deutsche Landsleute fühlen
und denken. Besonders im Verkehr mit den Ungarn, die eifersüchtig den Ver¬
kehr zwischen ihren Sachsen und den Deutschen des Reichs beobachten, mögen
sie beherzigen, daß niemand von ihnen die Politik der Leitartikel oder Noten
erwartet. Unvermeidlich muß bei dem einzelnen Deutschen die warme Teil¬
nahme an dem Geschick seiner Landsleute in der Fremde sein, überflüssig ist
die Kundgebung seiner Bedenken, ob nicht der Dreibund erschüttert werde,
wenn er seinen landsmannschaftlichen Gefühlen freien Lauf lasse. Mit Recht
erbittert es unsre Freunde dort hinter dem Wald, wenn ein Professor oder
sonst ein gebildeter Geschäftsreisender ihnen solche Bedenken warnend darlegt
und sie ersucht, nicht durch ihre Widerhaarigkeit die Deutschen im allgemeinen
bei den allianzfreundlichcn Magyaren in noch ärgern Mißkredit zu bringen.

Auf einem andern Blatte stehen für uns die Mobilisirungen eines großen
Teiles der deutschen Presse, die besonders nach 1871 öfter für die deutschen
siebenbürger bei magyarischen Übergriffen hervorgerufen wurden. Die ful¬
minanten Artikel und Broschüren waren nicht immer von hinreichender Sach¬
kenntnis erfüllt, wenn sie auch von namhaften Professoren geschrieben waren,
und schössen oft über das Ziel hinaus oder daneben vorbei. Es wurden ent¬
rüstete Ausmarsche in den Zeitungsspalteu aus Anlässen veranstaltet, bei denen
es klüger gewesen wäre, unsre Freunde sich selber helfen zu lassen. Unsre
nationalen Vintler haben sich viel zu sehr in die Einzelheiten der Streitfragen
und Verhandlungen gemischt, wo es klüger für ihre Schützlinge und sie ge¬
wesen wäre, ein paar warme Worte zu sagen. Wir Deutschen im Reich dürfen
nicht den Anschein erwecken, als ob unsre sämtlichen Zeitungen- und Brvschüren-
schreiber nichts besseres zu thun hätten, als für die Bruderstämme im Osten
die Lärmtrommel zu schlagen. Die Einverständnisse, die ja natürlich basirt,
brauchen sich nicht zu .Konspirationen zwischen dortigen Unznfriednen und hie¬
sigen Kampflustigen oder Rührseligen zu entwickeln. Wie weit wir auch mit
Dentschsiebenbürgern oder Deutschrussen gehen, es giebt Grenzen, die uns unsre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/464>, abgerufen am 22.12.2024.