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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen

der leidenschaftlichen Voreingenommenheit für die entscheidende Bedeutung seiner
wirtschaftlichen Hebung offenbart. Wir trauen uns auch selbst trotz einiger
Kenntnis des Landes und Volkes nicht die Sachkunde in den wirtschaftlichen
Fragen zu, die notwendig wäre, um dem Verfasser in Einzelheiten zu folgen.
Wir können aus unsern deutscheu Erfahrungen die Gefahr der erleichterten
Kreditirnng, besonders den kleinern Landwirten gegenüber, bestätigen, vorzüg¬
lich wenn man die Zuleitung von Kapitalien ohne genügende anderweitige
Forderung wie eine Art von künstlicher Bewässerung betreibt. Wir glauben,
daß die künstliche Einführung von Hausindustrien in dem Zeitalter der Gro߬
industrie zu einer Masse von Enttäuschungen fuhren wird; haben sich doch
selbst die wenigen, die in Deutsch-Siebenbürgen blühen, wie die Michelsberger
und Heltauer, nur mühsam behauptet und ihren Höhepunkt schon überschritten.
Dennoch müssen hier die schmalen Wege, die die Sachsen mit Frauenarbeits¬
schulen, mit der Hermannstädter Fachschule für Holzarbeiten n. a. eingeschlagen
haben, vervielfältigt werden. Wer in Agram die Erzeugnisse der kroatischen
Hansstickerei gesehen hat, die sich durch vortrefflichen Geschmack gleich der ser¬
bischen einen Weltruf erworben haben, bedauert, wie wenig diese auch im
siebenbürgischen Sachsenlande geübte Kunst gefördert und genutzt wird. Das¬
selbe gilt von der einheimischen Hans- und Flnchsweberei, die sich auf sehr
ergiebigen Anbau gründet. Wenn man weiß, daß es fast keinen Schmied
unter deu Sachsen auf dem Lande giebt, weil alle Schmiede Zigeuner sind,
so sieht man, wie manches von unten aufzubauen bleibt. Die große ungarische
Stock- und Pfeifcurvhrindustrie ist bisher in Siebenbürgen beim trefflichsten
Material ohne Nachfolge geblieben. Die kurze Zeit blühende Seidenzucht ist
wegen Teilnahmlosigkeit des einheimischen Handels zurückgegangen. Es giebt
sicherlich so manche Arbeit, die neben der landwirtschaftlichen verrichtet werden
kann, und wenn man auch keine große Industrie darauf gründen kann, schuld
sie doch für größere Leistungen. Man denke an die Entwicklung der mannich-
faltigsten mechanischen und künstlerischen Fertigkeiten durch die Uhrenindustrie
im Schwarzwald oder im Jura.

An kleinen Fabritunternehmungen hat es im siebenbürgischen Sachsenlande
seit den vierziger Jahren nicht gefehlt. Ob mau groß oder klein anfangen
sollte, ist theoretisch viel erörtert worden. Praktisch ist man dann doch ge¬
wöhnlich aus die kleinen Anfänge verfallen, da die Geldmittel und der Mut
klein waren. Die Erfolge waren im ganzen kaum ermutigend zu nennen. Es
wäre viel von dem siebenbürgischen Kaufmannsstande zu sagen, der sich in
den letzten zwei Jahrzehnten auch uicht gehoben hat, und ohne dessen rege
Mitwirkung natürlich auch die Industrie uicht aufblühen konnte. Der Rück¬
gang des einst blühenden Handels mit Rumänien ist besonders zu betonen.
Die aus dem Nichts geschaffne rumänische Industrie hat die siebenbürgische
zurückgedrängt. Wir teilen nicht die Ansicht des Verfassers, daß die Fabriken aus


Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen

der leidenschaftlichen Voreingenommenheit für die entscheidende Bedeutung seiner
wirtschaftlichen Hebung offenbart. Wir trauen uns auch selbst trotz einiger
Kenntnis des Landes und Volkes nicht die Sachkunde in den wirtschaftlichen
Fragen zu, die notwendig wäre, um dem Verfasser in Einzelheiten zu folgen.
Wir können aus unsern deutscheu Erfahrungen die Gefahr der erleichterten
Kreditirnng, besonders den kleinern Landwirten gegenüber, bestätigen, vorzüg¬
lich wenn man die Zuleitung von Kapitalien ohne genügende anderweitige
Forderung wie eine Art von künstlicher Bewässerung betreibt. Wir glauben,
daß die künstliche Einführung von Hausindustrien in dem Zeitalter der Gro߬
industrie zu einer Masse von Enttäuschungen fuhren wird; haben sich doch
selbst die wenigen, die in Deutsch-Siebenbürgen blühen, wie die Michelsberger
und Heltauer, nur mühsam behauptet und ihren Höhepunkt schon überschritten.
Dennoch müssen hier die schmalen Wege, die die Sachsen mit Frauenarbeits¬
schulen, mit der Hermannstädter Fachschule für Holzarbeiten n. a. eingeschlagen
haben, vervielfältigt werden. Wer in Agram die Erzeugnisse der kroatischen
Hansstickerei gesehen hat, die sich durch vortrefflichen Geschmack gleich der ser¬
bischen einen Weltruf erworben haben, bedauert, wie wenig diese auch im
siebenbürgischen Sachsenlande geübte Kunst gefördert und genutzt wird. Das¬
selbe gilt von der einheimischen Hans- und Flnchsweberei, die sich auf sehr
ergiebigen Anbau gründet. Wenn man weiß, daß es fast keinen Schmied
unter deu Sachsen auf dem Lande giebt, weil alle Schmiede Zigeuner sind,
so sieht man, wie manches von unten aufzubauen bleibt. Die große ungarische
Stock- und Pfeifcurvhrindustrie ist bisher in Siebenbürgen beim trefflichsten
Material ohne Nachfolge geblieben. Die kurze Zeit blühende Seidenzucht ist
wegen Teilnahmlosigkeit des einheimischen Handels zurückgegangen. Es giebt
sicherlich so manche Arbeit, die neben der landwirtschaftlichen verrichtet werden
kann, und wenn man auch keine große Industrie darauf gründen kann, schuld
sie doch für größere Leistungen. Man denke an die Entwicklung der mannich-
faltigsten mechanischen und künstlerischen Fertigkeiten durch die Uhrenindustrie
im Schwarzwald oder im Jura.

An kleinen Fabritunternehmungen hat es im siebenbürgischen Sachsenlande
seit den vierziger Jahren nicht gefehlt. Ob mau groß oder klein anfangen
sollte, ist theoretisch viel erörtert worden. Praktisch ist man dann doch ge¬
wöhnlich aus die kleinen Anfänge verfallen, da die Geldmittel und der Mut
klein waren. Die Erfolge waren im ganzen kaum ermutigend zu nennen. Es
wäre viel von dem siebenbürgischen Kaufmannsstande zu sagen, der sich in
den letzten zwei Jahrzehnten auch uicht gehoben hat, und ohne dessen rege
Mitwirkung natürlich auch die Industrie uicht aufblühen konnte. Der Rück¬
gang des einst blühenden Handels mit Rumänien ist besonders zu betonen.
Die aus dem Nichts geschaffne rumänische Industrie hat die siebenbürgische
zurückgedrängt. Wir teilen nicht die Ansicht des Verfassers, daß die Fabriken aus


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[0461] Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen der leidenschaftlichen Voreingenommenheit für die entscheidende Bedeutung seiner wirtschaftlichen Hebung offenbart. Wir trauen uns auch selbst trotz einiger Kenntnis des Landes und Volkes nicht die Sachkunde in den wirtschaftlichen Fragen zu, die notwendig wäre, um dem Verfasser in Einzelheiten zu folgen. Wir können aus unsern deutscheu Erfahrungen die Gefahr der erleichterten Kreditirnng, besonders den kleinern Landwirten gegenüber, bestätigen, vorzüg¬ lich wenn man die Zuleitung von Kapitalien ohne genügende anderweitige Forderung wie eine Art von künstlicher Bewässerung betreibt. Wir glauben, daß die künstliche Einführung von Hausindustrien in dem Zeitalter der Gro߬ industrie zu einer Masse von Enttäuschungen fuhren wird; haben sich doch selbst die wenigen, die in Deutsch-Siebenbürgen blühen, wie die Michelsberger und Heltauer, nur mühsam behauptet und ihren Höhepunkt schon überschritten. Dennoch müssen hier die schmalen Wege, die die Sachsen mit Frauenarbeits¬ schulen, mit der Hermannstädter Fachschule für Holzarbeiten n. a. eingeschlagen haben, vervielfältigt werden. Wer in Agram die Erzeugnisse der kroatischen Hansstickerei gesehen hat, die sich durch vortrefflichen Geschmack gleich der ser¬ bischen einen Weltruf erworben haben, bedauert, wie wenig diese auch im siebenbürgischen Sachsenlande geübte Kunst gefördert und genutzt wird. Das¬ selbe gilt von der einheimischen Hans- und Flnchsweberei, die sich auf sehr ergiebigen Anbau gründet. Wenn man weiß, daß es fast keinen Schmied unter deu Sachsen auf dem Lande giebt, weil alle Schmiede Zigeuner sind, so sieht man, wie manches von unten aufzubauen bleibt. Die große ungarische Stock- und Pfeifcurvhrindustrie ist bisher in Siebenbürgen beim trefflichsten Material ohne Nachfolge geblieben. Die kurze Zeit blühende Seidenzucht ist wegen Teilnahmlosigkeit des einheimischen Handels zurückgegangen. Es giebt sicherlich so manche Arbeit, die neben der landwirtschaftlichen verrichtet werden kann, und wenn man auch keine große Industrie darauf gründen kann, schuld sie doch für größere Leistungen. Man denke an die Entwicklung der mannich- faltigsten mechanischen und künstlerischen Fertigkeiten durch die Uhrenindustrie im Schwarzwald oder im Jura. An kleinen Fabritunternehmungen hat es im siebenbürgischen Sachsenlande seit den vierziger Jahren nicht gefehlt. Ob mau groß oder klein anfangen sollte, ist theoretisch viel erörtert worden. Praktisch ist man dann doch ge¬ wöhnlich aus die kleinen Anfänge verfallen, da die Geldmittel und der Mut klein waren. Die Erfolge waren im ganzen kaum ermutigend zu nennen. Es wäre viel von dem siebenbürgischen Kaufmannsstande zu sagen, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch uicht gehoben hat, und ohne dessen rege Mitwirkung natürlich auch die Industrie uicht aufblühen konnte. Der Rück¬ gang des einst blühenden Handels mit Rumänien ist besonders zu betonen. Die aus dem Nichts geschaffne rumänische Industrie hat die siebenbürgische zurückgedrängt. Wir teilen nicht die Ansicht des Verfassers, daß die Fabriken aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/461>, abgerufen am 23.12.2024.