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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

fünfzig Thalern, oder mit Haft wird bestraft, wer öffentlich oder in Ärgernis er¬
regender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt." Trifft diese gesetzliche
Bestimmung nicht vollständig auf den Distanzritt zu? Das Merkmal der Bosheit
allerdings fehlt. Aber liegt nicht ohne allen Zweifel eine "rohe Mißhandlung"
vor? Und ist diese nicht "öffentlich," vor den Augen des Volks begangen worden?
Hat sie nicht bei den meisten der Zuschauer wie bei den Lesern der Zeitungs¬
berichte das größte Ärgernis, ja die tiefste Entrüstung erregt? Mußte nicht jedem
fühlenden Menschen hier, wenn irgendwo, das Dichterwort einfallen: "Zum Himmel
ächzt die Kreatur und heischt von Gott ein Strafgericht"?

Wenn ein Steinfuhrmann oder ein Droschkenkutscher seinem Pferd unmensch¬
liches zumutet oder es mißhandelt, so nimmt sich das Publikum alsbald des ge¬
quälten Tieres a", und die Polizei ist sofort bei der Hand, gegen den Tierquäler
einzuschreiten und ihn zur Bestrafung anzuzeigen. Und jene Reiter, die rücksichtslos
ihre Pferde zu Tode oder zu Schanden geritten haben, sollten unbestraft bleiben?
Für sie sollte das Gesetz nicht gelten? Etwa weil sie den höhern Kreisen an¬
gehören, weil Fürsten, Grafen und Barone unter ihnen sind? Sind nicht gerade
diese tonangebenden Kreise doppelt verpflichtet, dem Volke mit dem besten Beispiel
voranzugehen?

Was sollte der gemeine Mann denken, wenn die Gerechtigkeit, deren Un¬
parteilichkeit über jeden Zweifel erhaben sein muß, mit so ungleichem Maße messen
wollte? Und wird das nicht den Sozialdemokraten den willkommensten und er-
giebigsten Stoff zu der üblichen Verunglimpfung der höhern Stände liefern?
Würden sie nicht höhnisch ausrufein Es ist die alte Geschichte. Da seht ihrs! Die
kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen?

Wir haben schon lange auf die Nachricht gewartet, daß die zuständigen Be¬
hörden ohne jedes Ansehen der Person wegen der begangnen Gesetzesübertretungen
Strafen verfügen oder Anklage erheben würden, nicht um der voraussichtlichen
Geldstrafen willen, denn diese würden die Herren nicht sonderlich drücken, sondern
um der Majestät des Gesetzes die gebührende Achtung zu verschaffen. Ist das
bis jetzt nicht geschehen, so ist es Pflicht und Schuldigkeit der deutschen und der
österreichischen Tierschutzvereine, vor allen aber des Berliner und des Wiener
Vereins, in deren Bereich sich die Schlußszenen des beklagenswerten Schauspiels
abgespielt haben, nicht mit zahmen Bittschriften, nicht mit lahmen Protesten, sondern
mit einer gerichtlichen Anklageschrift vvrzugehn und dadurch in aller Form Rechtens
ein unbestreitbares Präjudiz zu schassen, das allem planlosen Gerede über das
Für und Wider solcher Distanzritte ein für allemal ein Ende macht und zugleich
für alle Welt durch feste und klare Entscheidung der Gerichte das alte ruhmvolle
Sprichwort aus Friedrichs des Großen Zeiten erhärtet: "Es giebt noch Richter
in Berlin!"




Maßgebliches und Unmaßgebliches

fünfzig Thalern, oder mit Haft wird bestraft, wer öffentlich oder in Ärgernis er¬
regender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt." Trifft diese gesetzliche
Bestimmung nicht vollständig auf den Distanzritt zu? Das Merkmal der Bosheit
allerdings fehlt. Aber liegt nicht ohne allen Zweifel eine „rohe Mißhandlung"
vor? Und ist diese nicht „öffentlich," vor den Augen des Volks begangen worden?
Hat sie nicht bei den meisten der Zuschauer wie bei den Lesern der Zeitungs¬
berichte das größte Ärgernis, ja die tiefste Entrüstung erregt? Mußte nicht jedem
fühlenden Menschen hier, wenn irgendwo, das Dichterwort einfallen: „Zum Himmel
ächzt die Kreatur und heischt von Gott ein Strafgericht"?

Wenn ein Steinfuhrmann oder ein Droschkenkutscher seinem Pferd unmensch¬
liches zumutet oder es mißhandelt, so nimmt sich das Publikum alsbald des ge¬
quälten Tieres a«, und die Polizei ist sofort bei der Hand, gegen den Tierquäler
einzuschreiten und ihn zur Bestrafung anzuzeigen. Und jene Reiter, die rücksichtslos
ihre Pferde zu Tode oder zu Schanden geritten haben, sollten unbestraft bleiben?
Für sie sollte das Gesetz nicht gelten? Etwa weil sie den höhern Kreisen an¬
gehören, weil Fürsten, Grafen und Barone unter ihnen sind? Sind nicht gerade
diese tonangebenden Kreise doppelt verpflichtet, dem Volke mit dem besten Beispiel
voranzugehen?

Was sollte der gemeine Mann denken, wenn die Gerechtigkeit, deren Un¬
parteilichkeit über jeden Zweifel erhaben sein muß, mit so ungleichem Maße messen
wollte? Und wird das nicht den Sozialdemokraten den willkommensten und er-
giebigsten Stoff zu der üblichen Verunglimpfung der höhern Stände liefern?
Würden sie nicht höhnisch ausrufein Es ist die alte Geschichte. Da seht ihrs! Die
kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen?

Wir haben schon lange auf die Nachricht gewartet, daß die zuständigen Be¬
hörden ohne jedes Ansehen der Person wegen der begangnen Gesetzesübertretungen
Strafen verfügen oder Anklage erheben würden, nicht um der voraussichtlichen
Geldstrafen willen, denn diese würden die Herren nicht sonderlich drücken, sondern
um der Majestät des Gesetzes die gebührende Achtung zu verschaffen. Ist das
bis jetzt nicht geschehen, so ist es Pflicht und Schuldigkeit der deutschen und der
österreichischen Tierschutzvereine, vor allen aber des Berliner und des Wiener
Vereins, in deren Bereich sich die Schlußszenen des beklagenswerten Schauspiels
abgespielt haben, nicht mit zahmen Bittschriften, nicht mit lahmen Protesten, sondern
mit einer gerichtlichen Anklageschrift vvrzugehn und dadurch in aller Form Rechtens
ein unbestreitbares Präjudiz zu schassen, das allem planlosen Gerede über das
Für und Wider solcher Distanzritte ein für allemal ein Ende macht und zugleich
für alle Welt durch feste und klare Entscheidung der Gerichte das alte ruhmvolle
Sprichwort aus Friedrichs des Großen Zeiten erhärtet: „Es giebt noch Richter
in Berlin!"




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[0454] Maßgebliches und Unmaßgebliches fünfzig Thalern, oder mit Haft wird bestraft, wer öffentlich oder in Ärgernis er¬ regender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt." Trifft diese gesetzliche Bestimmung nicht vollständig auf den Distanzritt zu? Das Merkmal der Bosheit allerdings fehlt. Aber liegt nicht ohne allen Zweifel eine „rohe Mißhandlung" vor? Und ist diese nicht „öffentlich," vor den Augen des Volks begangen worden? Hat sie nicht bei den meisten der Zuschauer wie bei den Lesern der Zeitungs¬ berichte das größte Ärgernis, ja die tiefste Entrüstung erregt? Mußte nicht jedem fühlenden Menschen hier, wenn irgendwo, das Dichterwort einfallen: „Zum Himmel ächzt die Kreatur und heischt von Gott ein Strafgericht"? Wenn ein Steinfuhrmann oder ein Droschkenkutscher seinem Pferd unmensch¬ liches zumutet oder es mißhandelt, so nimmt sich das Publikum alsbald des ge¬ quälten Tieres a«, und die Polizei ist sofort bei der Hand, gegen den Tierquäler einzuschreiten und ihn zur Bestrafung anzuzeigen. Und jene Reiter, die rücksichtslos ihre Pferde zu Tode oder zu Schanden geritten haben, sollten unbestraft bleiben? Für sie sollte das Gesetz nicht gelten? Etwa weil sie den höhern Kreisen an¬ gehören, weil Fürsten, Grafen und Barone unter ihnen sind? Sind nicht gerade diese tonangebenden Kreise doppelt verpflichtet, dem Volke mit dem besten Beispiel voranzugehen? Was sollte der gemeine Mann denken, wenn die Gerechtigkeit, deren Un¬ parteilichkeit über jeden Zweifel erhaben sein muß, mit so ungleichem Maße messen wollte? Und wird das nicht den Sozialdemokraten den willkommensten und er- giebigsten Stoff zu der üblichen Verunglimpfung der höhern Stände liefern? Würden sie nicht höhnisch ausrufein Es ist die alte Geschichte. Da seht ihrs! Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen? Wir haben schon lange auf die Nachricht gewartet, daß die zuständigen Be¬ hörden ohne jedes Ansehen der Person wegen der begangnen Gesetzesübertretungen Strafen verfügen oder Anklage erheben würden, nicht um der voraussichtlichen Geldstrafen willen, denn diese würden die Herren nicht sonderlich drücken, sondern um der Majestät des Gesetzes die gebührende Achtung zu verschaffen. Ist das bis jetzt nicht geschehen, so ist es Pflicht und Schuldigkeit der deutschen und der österreichischen Tierschutzvereine, vor allen aber des Berliner und des Wiener Vereins, in deren Bereich sich die Schlußszenen des beklagenswerten Schauspiels abgespielt haben, nicht mit zahmen Bittschriften, nicht mit lahmen Protesten, sondern mit einer gerichtlichen Anklageschrift vvrzugehn und dadurch in aller Form Rechtens ein unbestreitbares Präjudiz zu schassen, das allem planlosen Gerede über das Für und Wider solcher Distanzritte ein für allemal ein Ende macht und zugleich für alle Welt durch feste und klare Entscheidung der Gerichte das alte ruhmvolle Sprichwort aus Friedrichs des Großen Zeiten erhärtet: „Es giebt noch Richter in Berlin!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/454>, abgerufen am 23.07.2024.