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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Theaterreformeu

entscheidenden Männer an der Spitze werden dem Geschmack ihres Publikums
entsprechen müssen. Wenn sich aber dieses Publikum, wie bei dem Interesse,
das die finanzielle Veteilignng an einem derartigen Unternehmen voraussetzt,
zu erwarten ist, aus theaterfreudigen und kunstfreudigeu Leuten bildet, so
ist zu hoffen, daß dieser die Wahl der Stücke beeinflussende Geschmack auf
einem höhern Niveau stehen wird, als der unsrer gewohnheitsmäßigen, weil
zahlungsfähigen Theaterbesucher. Immerhin werden die Kunstsinnigen darnach
trachten müssen, in der Zahl der Gesellschafter die Oberhand zu gewinnen
und ihren gereifter" Kunstgeschmack zur Geltung zu bringen. Die Möglichkeit
dazu ist ihnen jedenfalls in höherm Maße geboten, als in ihrer gegenwärtigen
Stellung zu dem Theater, in der sich viele von ihnen nicht einmal zu dem
Theaterpublikum rechnen können. Für die alle Gesellschaftsklassen umfassende
Bühne käme selbstverständlich in erster Reihe das klassische Repertoire in
Betracht, das gute Volksstück älterer und neuester Zeit; ja selbst die gute alte
Posse und der Schwank soll nicht von ihr verbannt bleiben. Für einen nicht ge¬
ringen Teil ihres Publikums werden viele Stücke dieser Art Neuheiten sein, nament¬
lich gilt das auch von Shakspere, dessen Werke auf unsern deutschen Bühnen noch
immer arg vernachlässigt werden. Über die Wahl neuer Stücke lassen sich
vorher Grundsätze nur schwer aufstellen. Gewiß ist, daß eine Genossenschafts¬
bühne an weit weniger persönliche und örtliche Rücksichten gebunden erscheint
als die bestehenden Bühnen, namentlich als die oft in deu spanischen Stiefel
der Etikette geschnürten Hvfbühnen. Sie ist also viel freier in der Wahl
ihrer Stücke, ein Vorteil für alle Teile, für Bühne, Publikum und Dichter.
Da sie ferner nicht bloß Erwerbsanstnlt ist, hat sie auch auf den Kassenerfolg
nicht so zarte Rücksichten zu nehmen wie die Kapitalistenbühne, sie kann etwas
wagen, kann dem kühnen Neuerer ein Versuchsfeld bieten; ein solches fehlt jetzt
fast gänzlich.

Eine nicht unwichtige Frage ist serner die, ob das Genosseuschaftstheater
anch der Herrin der theatralischen Mode, der Oper, die an so manchen Orten
das Schauspiel zum Stiefkind gemacht hat, ihre Thür öffnen soll. Zunächst
möchte vor einem solchen Versuche zu warnen sein, und zwar aus finanziellen
Gründen wie aus künstlerischen. Der Aufwand, den die moderne Oper an
Ausstattung, Gesang und Jnstrumentalkräften erheischt, dürfte die Leistungs¬
fähigkeit einer Geuosseuschaftsbühue leicht übersteigen und andrerseits das In¬
teresse an den schüchtern und doch viel nachhaltigem und für den Gewinn an
sittlicher und geistiger Bildung ungleich höher stehenden Genüssen des Schau¬
spiels uur schwächen. Dies dürfte auch für die Zeit des finanziellen Ge¬
deihens einer Volksbühne gelten, da der Wert gerade der Opernmusik und
ihrer rauschenden Effekte für die Volksbildung nicht hoch anzuschlagen ist.
Will man die Musik diesem Zwecke dienstbar machen, wie das dringend zu
wünschen wäre, so pflege man vor allem den Volksgesang, man wird damit


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entscheidenden Männer an der Spitze werden dem Geschmack ihres Publikums
entsprechen müssen. Wenn sich aber dieses Publikum, wie bei dem Interesse,
das die finanzielle Veteilignng an einem derartigen Unternehmen voraussetzt,
zu erwarten ist, aus theaterfreudigen und kunstfreudigeu Leuten bildet, so
ist zu hoffen, daß dieser die Wahl der Stücke beeinflussende Geschmack auf
einem höhern Niveau stehen wird, als der unsrer gewohnheitsmäßigen, weil
zahlungsfähigen Theaterbesucher. Immerhin werden die Kunstsinnigen darnach
trachten müssen, in der Zahl der Gesellschafter die Oberhand zu gewinnen
und ihren gereifter» Kunstgeschmack zur Geltung zu bringen. Die Möglichkeit
dazu ist ihnen jedenfalls in höherm Maße geboten, als in ihrer gegenwärtigen
Stellung zu dem Theater, in der sich viele von ihnen nicht einmal zu dem
Theaterpublikum rechnen können. Für die alle Gesellschaftsklassen umfassende
Bühne käme selbstverständlich in erster Reihe das klassische Repertoire in
Betracht, das gute Volksstück älterer und neuester Zeit; ja selbst die gute alte
Posse und der Schwank soll nicht von ihr verbannt bleiben. Für einen nicht ge¬
ringen Teil ihres Publikums werden viele Stücke dieser Art Neuheiten sein, nament¬
lich gilt das auch von Shakspere, dessen Werke auf unsern deutschen Bühnen noch
immer arg vernachlässigt werden. Über die Wahl neuer Stücke lassen sich
vorher Grundsätze nur schwer aufstellen. Gewiß ist, daß eine Genossenschafts¬
bühne an weit weniger persönliche und örtliche Rücksichten gebunden erscheint
als die bestehenden Bühnen, namentlich als die oft in deu spanischen Stiefel
der Etikette geschnürten Hvfbühnen. Sie ist also viel freier in der Wahl
ihrer Stücke, ein Vorteil für alle Teile, für Bühne, Publikum und Dichter.
Da sie ferner nicht bloß Erwerbsanstnlt ist, hat sie auch auf den Kassenerfolg
nicht so zarte Rücksichten zu nehmen wie die Kapitalistenbühne, sie kann etwas
wagen, kann dem kühnen Neuerer ein Versuchsfeld bieten; ein solches fehlt jetzt
fast gänzlich.

Eine nicht unwichtige Frage ist serner die, ob das Genosseuschaftstheater
anch der Herrin der theatralischen Mode, der Oper, die an so manchen Orten
das Schauspiel zum Stiefkind gemacht hat, ihre Thür öffnen soll. Zunächst
möchte vor einem solchen Versuche zu warnen sein, und zwar aus finanziellen
Gründen wie aus künstlerischen. Der Aufwand, den die moderne Oper an
Ausstattung, Gesang und Jnstrumentalkräften erheischt, dürfte die Leistungs¬
fähigkeit einer Geuosseuschaftsbühue leicht übersteigen und andrerseits das In¬
teresse an den schüchtern und doch viel nachhaltigem und für den Gewinn an
sittlicher und geistiger Bildung ungleich höher stehenden Genüssen des Schau¬
spiels uur schwächen. Dies dürfte auch für die Zeit des finanziellen Ge¬
deihens einer Volksbühne gelten, da der Wert gerade der Opernmusik und
ihrer rauschenden Effekte für die Volksbildung nicht hoch anzuschlagen ist.
Will man die Musik diesem Zwecke dienstbar machen, wie das dringend zu
wünschen wäre, so pflege man vor allem den Volksgesang, man wird damit


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[0449] Theaterreformeu entscheidenden Männer an der Spitze werden dem Geschmack ihres Publikums entsprechen müssen. Wenn sich aber dieses Publikum, wie bei dem Interesse, das die finanzielle Veteilignng an einem derartigen Unternehmen voraussetzt, zu erwarten ist, aus theaterfreudigen und kunstfreudigeu Leuten bildet, so ist zu hoffen, daß dieser die Wahl der Stücke beeinflussende Geschmack auf einem höhern Niveau stehen wird, als der unsrer gewohnheitsmäßigen, weil zahlungsfähigen Theaterbesucher. Immerhin werden die Kunstsinnigen darnach trachten müssen, in der Zahl der Gesellschafter die Oberhand zu gewinnen und ihren gereifter» Kunstgeschmack zur Geltung zu bringen. Die Möglichkeit dazu ist ihnen jedenfalls in höherm Maße geboten, als in ihrer gegenwärtigen Stellung zu dem Theater, in der sich viele von ihnen nicht einmal zu dem Theaterpublikum rechnen können. Für die alle Gesellschaftsklassen umfassende Bühne käme selbstverständlich in erster Reihe das klassische Repertoire in Betracht, das gute Volksstück älterer und neuester Zeit; ja selbst die gute alte Posse und der Schwank soll nicht von ihr verbannt bleiben. Für einen nicht ge¬ ringen Teil ihres Publikums werden viele Stücke dieser Art Neuheiten sein, nament¬ lich gilt das auch von Shakspere, dessen Werke auf unsern deutschen Bühnen noch immer arg vernachlässigt werden. Über die Wahl neuer Stücke lassen sich vorher Grundsätze nur schwer aufstellen. Gewiß ist, daß eine Genossenschafts¬ bühne an weit weniger persönliche und örtliche Rücksichten gebunden erscheint als die bestehenden Bühnen, namentlich als die oft in deu spanischen Stiefel der Etikette geschnürten Hvfbühnen. Sie ist also viel freier in der Wahl ihrer Stücke, ein Vorteil für alle Teile, für Bühne, Publikum und Dichter. Da sie ferner nicht bloß Erwerbsanstnlt ist, hat sie auch auf den Kassenerfolg nicht so zarte Rücksichten zu nehmen wie die Kapitalistenbühne, sie kann etwas wagen, kann dem kühnen Neuerer ein Versuchsfeld bieten; ein solches fehlt jetzt fast gänzlich. Eine nicht unwichtige Frage ist serner die, ob das Genosseuschaftstheater anch der Herrin der theatralischen Mode, der Oper, die an so manchen Orten das Schauspiel zum Stiefkind gemacht hat, ihre Thür öffnen soll. Zunächst möchte vor einem solchen Versuche zu warnen sein, und zwar aus finanziellen Gründen wie aus künstlerischen. Der Aufwand, den die moderne Oper an Ausstattung, Gesang und Jnstrumentalkräften erheischt, dürfte die Leistungs¬ fähigkeit einer Geuosseuschaftsbühue leicht übersteigen und andrerseits das In¬ teresse an den schüchtern und doch viel nachhaltigem und für den Gewinn an sittlicher und geistiger Bildung ungleich höher stehenden Genüssen des Schau¬ spiels uur schwächen. Dies dürfte auch für die Zeit des finanziellen Ge¬ deihens einer Volksbühne gelten, da der Wert gerade der Opernmusik und ihrer rauschenden Effekte für die Volksbildung nicht hoch anzuschlagen ist. Will man die Musik diesem Zwecke dienstbar machen, wie das dringend zu wünschen wäre, so pflege man vor allem den Volksgesang, man wird damit Grenzbolc» IV IM 5»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/449>, abgerufen am 23.07.2024.