Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Thcciterreformen Reform des Theaters ist daher in erster Reihe eine gesellschaftliche Frage, ein Nun läßt sich aber kaum eine geeignetere Stelle finden, von der aus an Man wird vielleicht einwenden, daß das Theater in seiner gegenwärtigen Thcciterreformen Reform des Theaters ist daher in erster Reihe eine gesellschaftliche Frage, ein Nun läßt sich aber kaum eine geeignetere Stelle finden, von der aus an Man wird vielleicht einwenden, daß das Theater in seiner gegenwärtigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213559"/> <fw type="header" place="top"> Thcciterreformen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> Reform des Theaters ist daher in erster Reihe eine gesellschaftliche Frage, ein<lb/> Problem der geistigen Sozialpolitik, einer Wissenschaft, die bei uns noch in<lb/> den Windeln liegt, aber von allen, die die Bekämpfung des Materialismus<lb/> als eines der Hauptziele der Zukunftsbestrebnngen betrachten, um so eifriger<lb/> gefördert werden sollte, je mehr sich der Glaube verbreitet, als sei mit der<lb/> Hebung der äußerliche» Daseinsbedingungen schon genug gethan. Im Gegen¬<lb/> teil, alle sozialpolitische Arbeit, die auf diesem Gebiete geschehen ist, würde<lb/> nicht uur vergeblich sein, sondern sich rückwärts gegen ihre Urheber wenden,<lb/> wenn man nicht bedacht sein wollte, der geistigen Regsamkeit ein der Bethätigung<lb/> günstiges Feld zu erschließen. Das höchst erfreulicherweise hie und da sich offen¬<lb/> barende Bedürfnis nach geistiger Kost in den Kreisen der Unbemittelten sollte mau<lb/> mich .Kräften zu befriedigen, zu verbreitern und zu erweitern suchen. Gewiß ist es<lb/> in erster Reihe wünschenswert, den eben genannten Schichten des Volks die Mittel<lb/> zu einer gediegnen Bildung in weitesten Maße zugänglich zu machen, die zugleich<lb/> das kräftigste Schutzmittel gegen die überhandnehmende Überschätzung des äußern<lb/> Besitztums bieten wird, aber es kann nicht laut genug dagegen Verwahrung<lb/> eingelegt werden, daß man den obern Zehntausend einredet, sie selbst seien der<lb/> Pflicht, in dieser Richtung zu lernen, überhoben. Sollten sie sich der Pflicht<lb/> entziehen zu dürfen glauben, so werden sie diesen Irrtum selbst bitter zu büßen<lb/> haben und sich dann nicht beklagen dürfen, wenn man über sie als untüchtige<lb/> und unproduktive Glieder der Gesellschaft zur Tagesordnung übergeht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1339"> Nun läßt sich aber kaum eine geeignetere Stelle finden, von der aus an<lb/> der Hebung der Volksbildung im weitesten Sinne des Wortes gearbeitet werden<lb/> könnte, als die Bühne. Weder durch Verbreitung und Erweiterung der Volks¬<lb/> bibliotheken, noch durch die gewiß hoch zu schätzende Thätigkeit von Volks¬<lb/> bildungsvereinen kaun in so nachdrücklicher und befruchtender Weise sittlich<lb/> und geistig auf das Volk gewirkt werden, wie von der Bühne ans. Das ge-<lb/> sprochne Wort ist viel mächtiger als das geschriebne, die mit eignen Augen<lb/> gesehene Handlung eindrücklicher als die beste Schilderung. Auch das Gefühl<lb/> des gemeinsamen geistigen Genusses stärkt seine Wirkung. Man wird sich<lb/> daher das Mittel der Bühne uicht entgehen lassen dürfen, wenn man ent¬<lb/> schlossen ist, den geistigen Bedürfnissen der Menge Befriedigung zu gewähren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Man wird vielleicht einwenden, daß das Theater in seiner gegenwärtigen<lb/> Verfassung für diesen Zweck nicht geeignet sei, und wir haben auf diesen Einwand<lb/> nichts zu erwidern. Aber man komme nicht mit einer andern, oft gehörten<lb/> Einwendung, nämlich der, daß der Reform des Theaters erst eine völlige<lb/> Reform der bestehenden Gesellschaft und ihrer Ordnungen und Gewohnheiten<lb/> vorausgehen müsse. Ohne auf die uns hier fern liegende Frage einzugehen,<lb/> welche Ziele sich eine Reform der Gesellschaft zu stellen habe, kann ans den<lb/> genannten Einwand erwidert werden, daß er eine Zeitfrage, die in hervor¬<lb/> ragendem Sinne eine geistige ist, von dem lediglich politischen und wirtschaft-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0445]
Thcciterreformen
Reform des Theaters ist daher in erster Reihe eine gesellschaftliche Frage, ein
Problem der geistigen Sozialpolitik, einer Wissenschaft, die bei uns noch in
den Windeln liegt, aber von allen, die die Bekämpfung des Materialismus
als eines der Hauptziele der Zukunftsbestrebnngen betrachten, um so eifriger
gefördert werden sollte, je mehr sich der Glaube verbreitet, als sei mit der
Hebung der äußerliche» Daseinsbedingungen schon genug gethan. Im Gegen¬
teil, alle sozialpolitische Arbeit, die auf diesem Gebiete geschehen ist, würde
nicht uur vergeblich sein, sondern sich rückwärts gegen ihre Urheber wenden,
wenn man nicht bedacht sein wollte, der geistigen Regsamkeit ein der Bethätigung
günstiges Feld zu erschließen. Das höchst erfreulicherweise hie und da sich offen¬
barende Bedürfnis nach geistiger Kost in den Kreisen der Unbemittelten sollte mau
mich .Kräften zu befriedigen, zu verbreitern und zu erweitern suchen. Gewiß ist es
in erster Reihe wünschenswert, den eben genannten Schichten des Volks die Mittel
zu einer gediegnen Bildung in weitesten Maße zugänglich zu machen, die zugleich
das kräftigste Schutzmittel gegen die überhandnehmende Überschätzung des äußern
Besitztums bieten wird, aber es kann nicht laut genug dagegen Verwahrung
eingelegt werden, daß man den obern Zehntausend einredet, sie selbst seien der
Pflicht, in dieser Richtung zu lernen, überhoben. Sollten sie sich der Pflicht
entziehen zu dürfen glauben, so werden sie diesen Irrtum selbst bitter zu büßen
haben und sich dann nicht beklagen dürfen, wenn man über sie als untüchtige
und unproduktive Glieder der Gesellschaft zur Tagesordnung übergeht.
Nun läßt sich aber kaum eine geeignetere Stelle finden, von der aus an
der Hebung der Volksbildung im weitesten Sinne des Wortes gearbeitet werden
könnte, als die Bühne. Weder durch Verbreitung und Erweiterung der Volks¬
bibliotheken, noch durch die gewiß hoch zu schätzende Thätigkeit von Volks¬
bildungsvereinen kaun in so nachdrücklicher und befruchtender Weise sittlich
und geistig auf das Volk gewirkt werden, wie von der Bühne ans. Das ge-
sprochne Wort ist viel mächtiger als das geschriebne, die mit eignen Augen
gesehene Handlung eindrücklicher als die beste Schilderung. Auch das Gefühl
des gemeinsamen geistigen Genusses stärkt seine Wirkung. Man wird sich
daher das Mittel der Bühne uicht entgehen lassen dürfen, wenn man ent¬
schlossen ist, den geistigen Bedürfnissen der Menge Befriedigung zu gewähren.
Man wird vielleicht einwenden, daß das Theater in seiner gegenwärtigen
Verfassung für diesen Zweck nicht geeignet sei, und wir haben auf diesen Einwand
nichts zu erwidern. Aber man komme nicht mit einer andern, oft gehörten
Einwendung, nämlich der, daß der Reform des Theaters erst eine völlige
Reform der bestehenden Gesellschaft und ihrer Ordnungen und Gewohnheiten
vorausgehen müsse. Ohne auf die uns hier fern liegende Frage einzugehen,
welche Ziele sich eine Reform der Gesellschaft zu stellen habe, kann ans den
genannten Einwand erwidert werden, daß er eine Zeitfrage, die in hervor¬
ragendem Sinne eine geistige ist, von dem lediglich politischen und wirtschaft-
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