Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auch ein Goetheforscher

hält aber nichts weiter, als eine Verweisung des Ausknnftsuchenden an die
noch lebende Florette, verwitwete Lehinnun. Als unser Kritiker, oder sagen
wir besser, da er das lieber zu hören scheint, unser Detektiv vernimmt, daß
eine so unschätzbare Zeugin in dem nahen Bischweiler wohne, wo er selbst
sechs Jahre lang in amtlicher Stellung gewesen ist, da erschüttert es ihn im
tiefsten Innern, daß er schon vor Jahren dem Glücke so nahe gewesen ist,
ohne es zu ergreifen, wie er es damals auch versäumt hatte, August Stöbers
Bekanntschaft zu machen. Doch ein Trost ist ihm geblieben: "August Stöber
ist gestorben, aber Frau Lehmann lebt noch." Und er eilt, die würdige Ma¬
trone aufzusuchen. Drei Stunden dauert die Unterhaltung, die sie ihrem nach
Aufklärung dürstenden Besucher gewährt. Und jetzt weiß Florette, was sie
im Jahre 1840 ihrem eignen Bruder noch nicht mitzuteilen wußte, nämlich:
"Alte Bäuerinnen erklärten mir ganz offen, Friederike habe anch von Goethe
ein Kind geboren." Und da spreche man noch von dem Rückgang des Deutsch¬
tums im Elsaß uuter der französischen Herrschaft, wenn Elsässer Bäuerinnen
noch unter Louis Philipp über Goethe so gut Bescheid wußten!

Und so mußte es kommen. Da du, deutsches Volk, dich so lange in
-kleinbürgerlichen optimistischen Borurteilen über deinen Dichter wiegtest, so
mußtest du aus dem Munde alter elsässischer Bäuerinnen und einer greisen
Jüdin die Wahrheit über Goethe hören! Mag sie bitter sein, diese Wahrheit,
ewigen Dank schuldest du doch dafür ihrem tapfern und scharfsichten Enthüller
Dr, Froitzheim! Und wenn die Verteidiger des Angeklagten (wie in Ur. 316
der Straßburger Post der gegenwärtige Pfarrer von Sesenheim, A. Rudel)
die Glaubwürdigkeit Florettens anfechten und nachweisen, daß die Personen,
auf die als im Jahre 1840 noch lebende Gewährsleute sie sich damals und
1892 berief, lange vor dieser Zeit schon gestorben waren, was thuts, unser
Detektiv hat im Hinterhalt (wie er in derselben Zeitungsnummer ankündigt)
noch das Zeugnis einer alten Magd des Straßburger Maires, or. Küß, das
gewiß höchst belastender Natur sein wird. Und wenn dieses nicht stichhält,
wird er neue suchen, um den Liebling der Nation auf das Armesünderbänkchen
zu bringe", alles im Namen exakter wissenschaftlicher Forschung! Daß er
gleichzeitig einen andern unsrer Lieblinge, die arme Friederike, in die gleiche
Verdammnis zu bringen bemüht ist, geht schou aus dem Vorstehenden zur
Genüge hervor. Wenn wir seinen mit der Miene des tugendstolzen Robes-
pierre vorgebrachten Anklagen glauben, ist sie nicht mehr, wie noch ihr letzter
Biograph, Pfarrer Lucius, aus innerster Überzeugung auf Grund sorgfältigster
Nachforschungen versichern zu können glaubte, die süße und reine Mädchen¬
blüte, deren Lieblichkeit und Munterkeit uns entzücken und deren Schicksal
uns rühren durfte, or. Froitzheim -- und Froitzheim ist ein ehrenwerter
Mann! -- sagt uns, und wir wissen ja, auf Grund welcher Beweise, daß sie
sich von Goethe "nicht ohne Folgen" habe verführen lasten, Dr. Froitzheim


Auch ein Goetheforscher

hält aber nichts weiter, als eine Verweisung des Ausknnftsuchenden an die
noch lebende Florette, verwitwete Lehinnun. Als unser Kritiker, oder sagen
wir besser, da er das lieber zu hören scheint, unser Detektiv vernimmt, daß
eine so unschätzbare Zeugin in dem nahen Bischweiler wohne, wo er selbst
sechs Jahre lang in amtlicher Stellung gewesen ist, da erschüttert es ihn im
tiefsten Innern, daß er schon vor Jahren dem Glücke so nahe gewesen ist,
ohne es zu ergreifen, wie er es damals auch versäumt hatte, August Stöbers
Bekanntschaft zu machen. Doch ein Trost ist ihm geblieben: „August Stöber
ist gestorben, aber Frau Lehmann lebt noch." Und er eilt, die würdige Ma¬
trone aufzusuchen. Drei Stunden dauert die Unterhaltung, die sie ihrem nach
Aufklärung dürstenden Besucher gewährt. Und jetzt weiß Florette, was sie
im Jahre 1840 ihrem eignen Bruder noch nicht mitzuteilen wußte, nämlich:
„Alte Bäuerinnen erklärten mir ganz offen, Friederike habe anch von Goethe
ein Kind geboren." Und da spreche man noch von dem Rückgang des Deutsch¬
tums im Elsaß uuter der französischen Herrschaft, wenn Elsässer Bäuerinnen
noch unter Louis Philipp über Goethe so gut Bescheid wußten!

Und so mußte es kommen. Da du, deutsches Volk, dich so lange in
-kleinbürgerlichen optimistischen Borurteilen über deinen Dichter wiegtest, so
mußtest du aus dem Munde alter elsässischer Bäuerinnen und einer greisen
Jüdin die Wahrheit über Goethe hören! Mag sie bitter sein, diese Wahrheit,
ewigen Dank schuldest du doch dafür ihrem tapfern und scharfsichten Enthüller
Dr, Froitzheim! Und wenn die Verteidiger des Angeklagten (wie in Ur. 316
der Straßburger Post der gegenwärtige Pfarrer von Sesenheim, A. Rudel)
die Glaubwürdigkeit Florettens anfechten und nachweisen, daß die Personen,
auf die als im Jahre 1840 noch lebende Gewährsleute sie sich damals und
1892 berief, lange vor dieser Zeit schon gestorben waren, was thuts, unser
Detektiv hat im Hinterhalt (wie er in derselben Zeitungsnummer ankündigt)
noch das Zeugnis einer alten Magd des Straßburger Maires, or. Küß, das
gewiß höchst belastender Natur sein wird. Und wenn dieses nicht stichhält,
wird er neue suchen, um den Liebling der Nation auf das Armesünderbänkchen
zu bringe», alles im Namen exakter wissenschaftlicher Forschung! Daß er
gleichzeitig einen andern unsrer Lieblinge, die arme Friederike, in die gleiche
Verdammnis zu bringen bemüht ist, geht schou aus dem Vorstehenden zur
Genüge hervor. Wenn wir seinen mit der Miene des tugendstolzen Robes-
pierre vorgebrachten Anklagen glauben, ist sie nicht mehr, wie noch ihr letzter
Biograph, Pfarrer Lucius, aus innerster Überzeugung auf Grund sorgfältigster
Nachforschungen versichern zu können glaubte, die süße und reine Mädchen¬
blüte, deren Lieblichkeit und Munterkeit uns entzücken und deren Schicksal
uns rühren durfte, or. Froitzheim — und Froitzheim ist ein ehrenwerter
Mann! — sagt uns, und wir wissen ja, auf Grund welcher Beweise, daß sie
sich von Goethe „nicht ohne Folgen" habe verführen lasten, Dr. Froitzheim


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213556"/>
          <fw type="header" place="top"> Auch ein Goetheforscher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1331" prev="#ID_1330"> hält aber nichts weiter, als eine Verweisung des Ausknnftsuchenden an die<lb/>
noch lebende Florette, verwitwete Lehinnun. Als unser Kritiker, oder sagen<lb/>
wir besser, da er das lieber zu hören scheint, unser Detektiv vernimmt, daß<lb/>
eine so unschätzbare Zeugin in dem nahen Bischweiler wohne, wo er selbst<lb/>
sechs Jahre lang in amtlicher Stellung gewesen ist, da erschüttert es ihn im<lb/>
tiefsten Innern, daß er schon vor Jahren dem Glücke so nahe gewesen ist,<lb/>
ohne es zu ergreifen, wie er es damals auch versäumt hatte, August Stöbers<lb/>
Bekanntschaft zu machen. Doch ein Trost ist ihm geblieben: &#x201E;August Stöber<lb/>
ist gestorben, aber Frau Lehmann lebt noch." Und er eilt, die würdige Ma¬<lb/>
trone aufzusuchen. Drei Stunden dauert die Unterhaltung, die sie ihrem nach<lb/>
Aufklärung dürstenden Besucher gewährt. Und jetzt weiß Florette, was sie<lb/>
im Jahre 1840 ihrem eignen Bruder noch nicht mitzuteilen wußte, nämlich:<lb/>
&#x201E;Alte Bäuerinnen erklärten mir ganz offen, Friederike habe anch von Goethe<lb/>
ein Kind geboren." Und da spreche man noch von dem Rückgang des Deutsch¬<lb/>
tums im Elsaß uuter der französischen Herrschaft, wenn Elsässer Bäuerinnen<lb/>
noch unter Louis Philipp über Goethe so gut Bescheid wußten!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Und so mußte es kommen. Da du, deutsches Volk, dich so lange in<lb/>
-kleinbürgerlichen optimistischen Borurteilen über deinen Dichter wiegtest, so<lb/>
mußtest du aus dem Munde alter elsässischer Bäuerinnen und einer greisen<lb/>
Jüdin die Wahrheit über Goethe hören! Mag sie bitter sein, diese Wahrheit,<lb/>
ewigen Dank schuldest du doch dafür ihrem tapfern und scharfsichten Enthüller<lb/>
Dr, Froitzheim! Und wenn die Verteidiger des Angeklagten (wie in Ur. 316<lb/>
der Straßburger Post der gegenwärtige Pfarrer von Sesenheim, A. Rudel)<lb/>
die Glaubwürdigkeit Florettens anfechten und nachweisen, daß die Personen,<lb/>
auf die als im Jahre 1840 noch lebende Gewährsleute sie sich damals und<lb/>
1892 berief, lange vor dieser Zeit schon gestorben waren, was thuts, unser<lb/>
Detektiv hat im Hinterhalt (wie er in derselben Zeitungsnummer ankündigt)<lb/>
noch das Zeugnis einer alten Magd des Straßburger Maires, or. Küß, das<lb/>
gewiß höchst belastender Natur sein wird. Und wenn dieses nicht stichhält,<lb/>
wird er neue suchen, um den Liebling der Nation auf das Armesünderbänkchen<lb/>
zu bringe», alles im Namen exakter wissenschaftlicher Forschung! Daß er<lb/>
gleichzeitig einen andern unsrer Lieblinge, die arme Friederike, in die gleiche<lb/>
Verdammnis zu bringen bemüht ist, geht schou aus dem Vorstehenden zur<lb/>
Genüge hervor. Wenn wir seinen mit der Miene des tugendstolzen Robes-<lb/>
pierre vorgebrachten Anklagen glauben, ist sie nicht mehr, wie noch ihr letzter<lb/>
Biograph, Pfarrer Lucius, aus innerster Überzeugung auf Grund sorgfältigster<lb/>
Nachforschungen versichern zu können glaubte, die süße und reine Mädchen¬<lb/>
blüte, deren Lieblichkeit und Munterkeit uns entzücken und deren Schicksal<lb/>
uns rühren durfte, or. Froitzheim &#x2014; und Froitzheim ist ein ehrenwerter<lb/>
Mann! &#x2014; sagt uns, und wir wissen ja, auf Grund welcher Beweise, daß sie<lb/>
sich von Goethe &#x201E;nicht ohne Folgen" habe verführen lasten, Dr. Froitzheim</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] Auch ein Goetheforscher hält aber nichts weiter, als eine Verweisung des Ausknnftsuchenden an die noch lebende Florette, verwitwete Lehinnun. Als unser Kritiker, oder sagen wir besser, da er das lieber zu hören scheint, unser Detektiv vernimmt, daß eine so unschätzbare Zeugin in dem nahen Bischweiler wohne, wo er selbst sechs Jahre lang in amtlicher Stellung gewesen ist, da erschüttert es ihn im tiefsten Innern, daß er schon vor Jahren dem Glücke so nahe gewesen ist, ohne es zu ergreifen, wie er es damals auch versäumt hatte, August Stöbers Bekanntschaft zu machen. Doch ein Trost ist ihm geblieben: „August Stöber ist gestorben, aber Frau Lehmann lebt noch." Und er eilt, die würdige Ma¬ trone aufzusuchen. Drei Stunden dauert die Unterhaltung, die sie ihrem nach Aufklärung dürstenden Besucher gewährt. Und jetzt weiß Florette, was sie im Jahre 1840 ihrem eignen Bruder noch nicht mitzuteilen wußte, nämlich: „Alte Bäuerinnen erklärten mir ganz offen, Friederike habe anch von Goethe ein Kind geboren." Und da spreche man noch von dem Rückgang des Deutsch¬ tums im Elsaß uuter der französischen Herrschaft, wenn Elsässer Bäuerinnen noch unter Louis Philipp über Goethe so gut Bescheid wußten! Und so mußte es kommen. Da du, deutsches Volk, dich so lange in -kleinbürgerlichen optimistischen Borurteilen über deinen Dichter wiegtest, so mußtest du aus dem Munde alter elsässischer Bäuerinnen und einer greisen Jüdin die Wahrheit über Goethe hören! Mag sie bitter sein, diese Wahrheit, ewigen Dank schuldest du doch dafür ihrem tapfern und scharfsichten Enthüller Dr, Froitzheim! Und wenn die Verteidiger des Angeklagten (wie in Ur. 316 der Straßburger Post der gegenwärtige Pfarrer von Sesenheim, A. Rudel) die Glaubwürdigkeit Florettens anfechten und nachweisen, daß die Personen, auf die als im Jahre 1840 noch lebende Gewährsleute sie sich damals und 1892 berief, lange vor dieser Zeit schon gestorben waren, was thuts, unser Detektiv hat im Hinterhalt (wie er in derselben Zeitungsnummer ankündigt) noch das Zeugnis einer alten Magd des Straßburger Maires, or. Küß, das gewiß höchst belastender Natur sein wird. Und wenn dieses nicht stichhält, wird er neue suchen, um den Liebling der Nation auf das Armesünderbänkchen zu bringe», alles im Namen exakter wissenschaftlicher Forschung! Daß er gleichzeitig einen andern unsrer Lieblinge, die arme Friederike, in die gleiche Verdammnis zu bringen bemüht ist, geht schou aus dem Vorstehenden zur Genüge hervor. Wenn wir seinen mit der Miene des tugendstolzen Robes- pierre vorgebrachten Anklagen glauben, ist sie nicht mehr, wie noch ihr letzter Biograph, Pfarrer Lucius, aus innerster Überzeugung auf Grund sorgfältigster Nachforschungen versichern zu können glaubte, die süße und reine Mädchen¬ blüte, deren Lieblichkeit und Munterkeit uns entzücken und deren Schicksal uns rühren durfte, or. Froitzheim — und Froitzheim ist ein ehrenwerter Mann! — sagt uns, und wir wissen ja, auf Grund welcher Beweise, daß sie sich von Goethe „nicht ohne Folgen" habe verführen lasten, Dr. Froitzheim

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/442>, abgerufen am 23.07.2024.