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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Lothar Bucher

Dresdner Theater in die Luft sprengen wollen, so sollte Lothar Bucher in
Stolp eine Guillotine in Bereitschaft gehalten haben, und was dergleichen
Märchen mehr waren. Als im Februar 1850 gegen vierzig ehemalige Ab¬
geordnete der Prozeß wegen Aufreizung der Steuerverweigerung begann, wurde
als sicher angenommen, daß, da der Waldeclsche Prozeß einen so unerwarteten
Ausgang gehabt hatte, diesmal auf jeden Fall werde ein Opfer gebracht werden,
und daß Bucher dazu ausersehen sei. Das ging in Erfüllung: außer einigen An¬
geklagten, die es vorgezogen hatten, noch bei guter Zeit das Weite zu suchen,
wurde er allein schuldig gesprochen. Daß er sich der Vollstreckung des Urteils
entzog, wurde ihm damals von manchen verdacht. Aber die Erwägung lag
nahe, daß ihm nach fünfzehn auf einer Festung Verlorne" Monaten doch kaum
etwas andres übrig bleiben würde, als auszuwandern, da er der Ehrenrechte
Verlustig erklärt worden war und unzweifelhaft allen in jener Zeit beliebten
Polizeilicher Verationen ausgesetzt geblieben wäre. Er selbst legte dabei Gewicht
auf den Umstand, daß der Gerichtshof ihm wie seinen Gefährten Berg und
Schulze-Delitzsch, die im Auftrag aller Angeklagten das letzte Wort der Ver¬
teidigung sprechen sollten, dies verwehrt hatte.

Eins sei hier eingeschaltet. Wie in so zahlreiche Familien, hatte auch in
die unsre die Zeit politischen Zwiespalt gebracht. Der Vater teilte die An¬
sichten des Sohnes nicht, war ein Altliberaler geblieben und ließ sich sogar
bewegen, eine Zeit lang ein von Herrn v. Kleist-Netzow gegründetes Blatt zu
redigiren. Aber im Familienkreise gingen beide Richtungen friedlich neben
einander her.

In England, wohin Lothar bei bösem Wetter auf einem Hamburger
Kauffahrer segelte -- in Gesellschaft eines Tierbändigers und vom Steuer¬
mann über englisches Leben belehrt und ermahnt, fleißig die van/ Usvs, das
beste Blatt, zu lesen --, in England fand er bereits Verbannte aus alleu
europäischen Staaten, und deren Zahl mehrte sich noch bedeutend nach dem
Staatsstreich vom 2. Dezember. Denn der Prinzpräsident säuberte nicht nur
Frankreich von seinen Widersachern, sondern nötigte auch Belgien und die
Schweiz zu Austreibungen ohne Ansetzn der Nationalität. In dem Bezirk
von soso wimmelte es von Deutschen, von denen viele zu stolz waren, den
damals in England noch auffallenden Vollbart, das Kennzeichen ihrer po¬
etischen Überzeugung, dein Wunsch nach Erwerb zu opfern. Dagegen pflegten
den alten Fraktionshaß und traten die Zwistigkeiten zwischen Kommunisten,
Radikalen, "Kleinbürgern" u. s. w. in deutschen Blättern breit. Es war na¬
türlich, daß mein Bruder zu den Führern der Emigration in Beziehungen
laeni, doch hatten sie in den meisten Fällen keine Dauer. Denn es entsprach
seiner Natur nicht, müßig auf den Ausbruch festländischer Revolutionen zu
warten oder gar Verschwörungen anzuzetteln. Mit Klapka, Pulszky, Rüge
blieb er bis zuletzt in freundschaftlichem Verkehr, Ruge konnte er noch viel


Grenzboten IV 1393 54
Erinnerungen an Lothar Bucher

Dresdner Theater in die Luft sprengen wollen, so sollte Lothar Bucher in
Stolp eine Guillotine in Bereitschaft gehalten haben, und was dergleichen
Märchen mehr waren. Als im Februar 1850 gegen vierzig ehemalige Ab¬
geordnete der Prozeß wegen Aufreizung der Steuerverweigerung begann, wurde
als sicher angenommen, daß, da der Waldeclsche Prozeß einen so unerwarteten
Ausgang gehabt hatte, diesmal auf jeden Fall werde ein Opfer gebracht werden,
und daß Bucher dazu ausersehen sei. Das ging in Erfüllung: außer einigen An¬
geklagten, die es vorgezogen hatten, noch bei guter Zeit das Weite zu suchen,
wurde er allein schuldig gesprochen. Daß er sich der Vollstreckung des Urteils
entzog, wurde ihm damals von manchen verdacht. Aber die Erwägung lag
nahe, daß ihm nach fünfzehn auf einer Festung Verlorne» Monaten doch kaum
etwas andres übrig bleiben würde, als auszuwandern, da er der Ehrenrechte
Verlustig erklärt worden war und unzweifelhaft allen in jener Zeit beliebten
Polizeilicher Verationen ausgesetzt geblieben wäre. Er selbst legte dabei Gewicht
auf den Umstand, daß der Gerichtshof ihm wie seinen Gefährten Berg und
Schulze-Delitzsch, die im Auftrag aller Angeklagten das letzte Wort der Ver¬
teidigung sprechen sollten, dies verwehrt hatte.

Eins sei hier eingeschaltet. Wie in so zahlreiche Familien, hatte auch in
die unsre die Zeit politischen Zwiespalt gebracht. Der Vater teilte die An¬
sichten des Sohnes nicht, war ein Altliberaler geblieben und ließ sich sogar
bewegen, eine Zeit lang ein von Herrn v. Kleist-Netzow gegründetes Blatt zu
redigiren. Aber im Familienkreise gingen beide Richtungen friedlich neben
einander her.

In England, wohin Lothar bei bösem Wetter auf einem Hamburger
Kauffahrer segelte — in Gesellschaft eines Tierbändigers und vom Steuer¬
mann über englisches Leben belehrt und ermahnt, fleißig die van/ Usvs, das
beste Blatt, zu lesen —, in England fand er bereits Verbannte aus alleu
europäischen Staaten, und deren Zahl mehrte sich noch bedeutend nach dem
Staatsstreich vom 2. Dezember. Denn der Prinzpräsident säuberte nicht nur
Frankreich von seinen Widersachern, sondern nötigte auch Belgien und die
Schweiz zu Austreibungen ohne Ansetzn der Nationalität. In dem Bezirk
von soso wimmelte es von Deutschen, von denen viele zu stolz waren, den
damals in England noch auffallenden Vollbart, das Kennzeichen ihrer po¬
etischen Überzeugung, dein Wunsch nach Erwerb zu opfern. Dagegen pflegten
den alten Fraktionshaß und traten die Zwistigkeiten zwischen Kommunisten,
Radikalen, „Kleinbürgern" u. s. w. in deutschen Blättern breit. Es war na¬
türlich, daß mein Bruder zu den Führern der Emigration in Beziehungen
laeni, doch hatten sie in den meisten Fällen keine Dauer. Denn es entsprach
seiner Natur nicht, müßig auf den Ausbruch festländischer Revolutionen zu
warten oder gar Verschwörungen anzuzetteln. Mit Klapka, Pulszky, Rüge
blieb er bis zuletzt in freundschaftlichem Verkehr, Ruge konnte er noch viel


Grenzboten IV 1393 54
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[0433] Erinnerungen an Lothar Bucher Dresdner Theater in die Luft sprengen wollen, so sollte Lothar Bucher in Stolp eine Guillotine in Bereitschaft gehalten haben, und was dergleichen Märchen mehr waren. Als im Februar 1850 gegen vierzig ehemalige Ab¬ geordnete der Prozeß wegen Aufreizung der Steuerverweigerung begann, wurde als sicher angenommen, daß, da der Waldeclsche Prozeß einen so unerwarteten Ausgang gehabt hatte, diesmal auf jeden Fall werde ein Opfer gebracht werden, und daß Bucher dazu ausersehen sei. Das ging in Erfüllung: außer einigen An¬ geklagten, die es vorgezogen hatten, noch bei guter Zeit das Weite zu suchen, wurde er allein schuldig gesprochen. Daß er sich der Vollstreckung des Urteils entzog, wurde ihm damals von manchen verdacht. Aber die Erwägung lag nahe, daß ihm nach fünfzehn auf einer Festung Verlorne» Monaten doch kaum etwas andres übrig bleiben würde, als auszuwandern, da er der Ehrenrechte Verlustig erklärt worden war und unzweifelhaft allen in jener Zeit beliebten Polizeilicher Verationen ausgesetzt geblieben wäre. Er selbst legte dabei Gewicht auf den Umstand, daß der Gerichtshof ihm wie seinen Gefährten Berg und Schulze-Delitzsch, die im Auftrag aller Angeklagten das letzte Wort der Ver¬ teidigung sprechen sollten, dies verwehrt hatte. Eins sei hier eingeschaltet. Wie in so zahlreiche Familien, hatte auch in die unsre die Zeit politischen Zwiespalt gebracht. Der Vater teilte die An¬ sichten des Sohnes nicht, war ein Altliberaler geblieben und ließ sich sogar bewegen, eine Zeit lang ein von Herrn v. Kleist-Netzow gegründetes Blatt zu redigiren. Aber im Familienkreise gingen beide Richtungen friedlich neben einander her. In England, wohin Lothar bei bösem Wetter auf einem Hamburger Kauffahrer segelte — in Gesellschaft eines Tierbändigers und vom Steuer¬ mann über englisches Leben belehrt und ermahnt, fleißig die van/ Usvs, das beste Blatt, zu lesen —, in England fand er bereits Verbannte aus alleu europäischen Staaten, und deren Zahl mehrte sich noch bedeutend nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember. Denn der Prinzpräsident säuberte nicht nur Frankreich von seinen Widersachern, sondern nötigte auch Belgien und die Schweiz zu Austreibungen ohne Ansetzn der Nationalität. In dem Bezirk von soso wimmelte es von Deutschen, von denen viele zu stolz waren, den damals in England noch auffallenden Vollbart, das Kennzeichen ihrer po¬ etischen Überzeugung, dein Wunsch nach Erwerb zu opfern. Dagegen pflegten den alten Fraktionshaß und traten die Zwistigkeiten zwischen Kommunisten, Radikalen, „Kleinbürgern" u. s. w. in deutschen Blättern breit. Es war na¬ türlich, daß mein Bruder zu den Führern der Emigration in Beziehungen laeni, doch hatten sie in den meisten Fällen keine Dauer. Denn es entsprach seiner Natur nicht, müßig auf den Ausbruch festländischer Revolutionen zu warten oder gar Verschwörungen anzuzetteln. Mit Klapka, Pulszky, Rüge blieb er bis zuletzt in freundschaftlichem Verkehr, Ruge konnte er noch viel Grenzboten IV 1393 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/433>, abgerufen am 23.07.2024.