Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Abzug am Einkommen dieser Bewohner zu Gunsten der Spekulanten und des
Millivnenbauers, ein Abzug, der einen volkswirtschaftlichen Nachteil bildet,
und der in alle Ewigkeit weder zu einer Vermehrung des Volksvermögens
führen noch selbst eine solche werden kann. Die Wohnungen, die auf dem neuen
Baugrunde errichtet werden, hätten im Laufe der Zeit mit zunehmender Be¬
völkerung so wie so entstehen müssen, hätte" aber, wenn die Leutchen auf dem
Lande geblieben wären, keine Erhöhung des Bvdeupreises zur Folge gehabt
und nicht den falschen Schein einer Vergrößerung des Nationalvermögens
über den Gebäudewert hinaus erzeugt. Ja der wirkliche Wert der neuen
Häuser würde sogar größer gewesen sein, als der der Berliner Mietkasernen,
selbst wenn diese besser sein sollten als gutsherrliche Tagelöhnerhäuser, weil
Arbeiterwohnungen auf dem Lande immer gesünder sind als großstädtische,
nicht an sich, sondern infolge des Umstandes, daß ihre Bewohner von März
bis zum Oktober deu ganzen Tag im Freien zubringen. Bedenkt man nun,
daß einige englische Landlords den größten Teil ihrer ungeheuern Einkünfte
aus der Hausmiete der Londoner Lumpenviertel ziehen, so mag man darnach
den Wert dieses Teiles der großen Privatvermögen fürs Volksvermögen er¬
messen. Außerdem aber ist der Gebäudewert in Wirklichkeit stets geringer als
der gleich hoch geschätzte Wert eines Ackergrundstücks. Die Nntznngswerte
von Acker, Weide und Forst siud die einzigen unzerstörbaren oder nur durch
ein Naturereignis zerstörbaren Werte, die einzigen, die bei zunehmender Be¬
völkerung niemals sinken, nur steigen können, die einzigen daher auch, die nie¬
mals ihren Tauschwert verlieren können. Schon bei den unterirdischen Boden¬
schätzen ist das nicht mehr ganz der Fall. Möchten die Kohlenlager Englands
auch unerschöpflich sein, mit jeder Klafter, die der Stollen tiefer ins Erdinnere
hinabsinkt oder sich unterm Meere fvrtwühlt, nähert er sich der Grenze, wo
die Möglichkeit der Ausbeutung aufhört, und ist diese Grenze erreicht, so sind
alle mineralischen Schätze, die jenseits von ihr liegen, für das Volksvermögen
nicht mehr vorhanden. Was die Häuser anlangt, so sinkt namentlich bei den
leichten modernen Bauten ihr Wert von Jahr zu Jahr und wird nach einigen
Jahrzehnten der Abnutzung gleich Null. Eine Maschine, die heute 1000 Mark
gilt, ist morgen nur noch als altes Eisen verkäuflich, wenn über Nacht eine
neue bessere Maschine erfunden wird, die dem Fabrikanten die Fortbenutznng
der alten unmöglich macht. Eine Fabrik muß auf deu Abbruch verkauft werden,
sobald der Industriezweig eingeht, für den sie errichtet war.

Weit überzeugender als diese Kapitalstatistik, deren wirklicher Wert nach
dem Gesagten schlechterdings nicht zu ermitteln ist, würde die von Wolf ge¬
lieferte Konsumstatistik wirken -- denn eben in der Masse der verfügbaren
Verbrauchsgüter besteht der wirkliche Reichtum des Volkes --, wenn sie genaue
und erfreuliche Auskunft gäbe über die in deu letzten Jahren verbrauchte
Masse von Brot und Fleisch. Sie giebt aber nur Auskunft über die enorme


Grenzboten IV 1892 W

Abzug am Einkommen dieser Bewohner zu Gunsten der Spekulanten und des
Millivnenbauers, ein Abzug, der einen volkswirtschaftlichen Nachteil bildet,
und der in alle Ewigkeit weder zu einer Vermehrung des Volksvermögens
führen noch selbst eine solche werden kann. Die Wohnungen, die auf dem neuen
Baugrunde errichtet werden, hätten im Laufe der Zeit mit zunehmender Be¬
völkerung so wie so entstehen müssen, hätte» aber, wenn die Leutchen auf dem
Lande geblieben wären, keine Erhöhung des Bvdeupreises zur Folge gehabt
und nicht den falschen Schein einer Vergrößerung des Nationalvermögens
über den Gebäudewert hinaus erzeugt. Ja der wirkliche Wert der neuen
Häuser würde sogar größer gewesen sein, als der der Berliner Mietkasernen,
selbst wenn diese besser sein sollten als gutsherrliche Tagelöhnerhäuser, weil
Arbeiterwohnungen auf dem Lande immer gesünder sind als großstädtische,
nicht an sich, sondern infolge des Umstandes, daß ihre Bewohner von März
bis zum Oktober deu ganzen Tag im Freien zubringen. Bedenkt man nun,
daß einige englische Landlords den größten Teil ihrer ungeheuern Einkünfte
aus der Hausmiete der Londoner Lumpenviertel ziehen, so mag man darnach
den Wert dieses Teiles der großen Privatvermögen fürs Volksvermögen er¬
messen. Außerdem aber ist der Gebäudewert in Wirklichkeit stets geringer als
der gleich hoch geschätzte Wert eines Ackergrundstücks. Die Nntznngswerte
von Acker, Weide und Forst siud die einzigen unzerstörbaren oder nur durch
ein Naturereignis zerstörbaren Werte, die einzigen, die bei zunehmender Be¬
völkerung niemals sinken, nur steigen können, die einzigen daher auch, die nie¬
mals ihren Tauschwert verlieren können. Schon bei den unterirdischen Boden¬
schätzen ist das nicht mehr ganz der Fall. Möchten die Kohlenlager Englands
auch unerschöpflich sein, mit jeder Klafter, die der Stollen tiefer ins Erdinnere
hinabsinkt oder sich unterm Meere fvrtwühlt, nähert er sich der Grenze, wo
die Möglichkeit der Ausbeutung aufhört, und ist diese Grenze erreicht, so sind
alle mineralischen Schätze, die jenseits von ihr liegen, für das Volksvermögen
nicht mehr vorhanden. Was die Häuser anlangt, so sinkt namentlich bei den
leichten modernen Bauten ihr Wert von Jahr zu Jahr und wird nach einigen
Jahrzehnten der Abnutzung gleich Null. Eine Maschine, die heute 1000 Mark
gilt, ist morgen nur noch als altes Eisen verkäuflich, wenn über Nacht eine
neue bessere Maschine erfunden wird, die dem Fabrikanten die Fortbenutznng
der alten unmöglich macht. Eine Fabrik muß auf deu Abbruch verkauft werden,
sobald der Industriezweig eingeht, für den sie errichtet war.

Weit überzeugender als diese Kapitalstatistik, deren wirklicher Wert nach
dem Gesagten schlechterdings nicht zu ermitteln ist, würde die von Wolf ge¬
lieferte Konsumstatistik wirken — denn eben in der Masse der verfügbaren
Verbrauchsgüter besteht der wirkliche Reichtum des Volkes —, wenn sie genaue
und erfreuliche Auskunft gäbe über die in deu letzten Jahren verbrauchte
Masse von Brot und Fleisch. Sie giebt aber nur Auskunft über die enorme


Grenzboten IV 1892 W
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213539"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1283" prev="#ID_1282"> Abzug am Einkommen dieser Bewohner zu Gunsten der Spekulanten und des<lb/>
Millivnenbauers, ein Abzug, der einen volkswirtschaftlichen Nachteil bildet,<lb/>
und der in alle Ewigkeit weder zu einer Vermehrung des Volksvermögens<lb/>
führen noch selbst eine solche werden kann. Die Wohnungen, die auf dem neuen<lb/>
Baugrunde errichtet werden, hätten im Laufe der Zeit mit zunehmender Be¬<lb/>
völkerung so wie so entstehen müssen, hätte» aber, wenn die Leutchen auf dem<lb/>
Lande geblieben wären, keine Erhöhung des Bvdeupreises zur Folge gehabt<lb/>
und nicht den falschen Schein einer Vergrößerung des Nationalvermögens<lb/>
über den Gebäudewert hinaus erzeugt. Ja der wirkliche Wert der neuen<lb/>
Häuser würde sogar größer gewesen sein, als der der Berliner Mietkasernen,<lb/>
selbst wenn diese besser sein sollten als gutsherrliche Tagelöhnerhäuser, weil<lb/>
Arbeiterwohnungen auf dem Lande immer gesünder sind als großstädtische,<lb/>
nicht an sich, sondern infolge des Umstandes, daß ihre Bewohner von März<lb/>
bis zum Oktober deu ganzen Tag im Freien zubringen. Bedenkt man nun,<lb/>
daß einige englische Landlords den größten Teil ihrer ungeheuern Einkünfte<lb/>
aus der Hausmiete der Londoner Lumpenviertel ziehen, so mag man darnach<lb/>
den Wert dieses Teiles der großen Privatvermögen fürs Volksvermögen er¬<lb/>
messen. Außerdem aber ist der Gebäudewert in Wirklichkeit stets geringer als<lb/>
der gleich hoch geschätzte Wert eines Ackergrundstücks. Die Nntznngswerte<lb/>
von Acker, Weide und Forst siud die einzigen unzerstörbaren oder nur durch<lb/>
ein Naturereignis zerstörbaren Werte, die einzigen, die bei zunehmender Be¬<lb/>
völkerung niemals sinken, nur steigen können, die einzigen daher auch, die nie¬<lb/>
mals ihren Tauschwert verlieren können. Schon bei den unterirdischen Boden¬<lb/>
schätzen ist das nicht mehr ganz der Fall. Möchten die Kohlenlager Englands<lb/>
auch unerschöpflich sein, mit jeder Klafter, die der Stollen tiefer ins Erdinnere<lb/>
hinabsinkt oder sich unterm Meere fvrtwühlt, nähert er sich der Grenze, wo<lb/>
die Möglichkeit der Ausbeutung aufhört, und ist diese Grenze erreicht, so sind<lb/>
alle mineralischen Schätze, die jenseits von ihr liegen, für das Volksvermögen<lb/>
nicht mehr vorhanden. Was die Häuser anlangt, so sinkt namentlich bei den<lb/>
leichten modernen Bauten ihr Wert von Jahr zu Jahr und wird nach einigen<lb/>
Jahrzehnten der Abnutzung gleich Null. Eine Maschine, die heute 1000 Mark<lb/>
gilt, ist morgen nur noch als altes Eisen verkäuflich, wenn über Nacht eine<lb/>
neue bessere Maschine erfunden wird, die dem Fabrikanten die Fortbenutznng<lb/>
der alten unmöglich macht. Eine Fabrik muß auf deu Abbruch verkauft werden,<lb/>
sobald der Industriezweig eingeht, für den sie errichtet war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1284" next="#ID_1285"> Weit überzeugender als diese Kapitalstatistik, deren wirklicher Wert nach<lb/>
dem Gesagten schlechterdings nicht zu ermitteln ist, würde die von Wolf ge¬<lb/>
lieferte Konsumstatistik wirken &#x2014; denn eben in der Masse der verfügbaren<lb/>
Verbrauchsgüter besteht der wirkliche Reichtum des Volkes &#x2014;, wenn sie genaue<lb/>
und erfreuliche Auskunft gäbe über die in deu letzten Jahren verbrauchte<lb/>
Masse von Brot und Fleisch. Sie giebt aber nur Auskunft über die enorme</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1892 W</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] Abzug am Einkommen dieser Bewohner zu Gunsten der Spekulanten und des Millivnenbauers, ein Abzug, der einen volkswirtschaftlichen Nachteil bildet, und der in alle Ewigkeit weder zu einer Vermehrung des Volksvermögens führen noch selbst eine solche werden kann. Die Wohnungen, die auf dem neuen Baugrunde errichtet werden, hätten im Laufe der Zeit mit zunehmender Be¬ völkerung so wie so entstehen müssen, hätte» aber, wenn die Leutchen auf dem Lande geblieben wären, keine Erhöhung des Bvdeupreises zur Folge gehabt und nicht den falschen Schein einer Vergrößerung des Nationalvermögens über den Gebäudewert hinaus erzeugt. Ja der wirkliche Wert der neuen Häuser würde sogar größer gewesen sein, als der der Berliner Mietkasernen, selbst wenn diese besser sein sollten als gutsherrliche Tagelöhnerhäuser, weil Arbeiterwohnungen auf dem Lande immer gesünder sind als großstädtische, nicht an sich, sondern infolge des Umstandes, daß ihre Bewohner von März bis zum Oktober deu ganzen Tag im Freien zubringen. Bedenkt man nun, daß einige englische Landlords den größten Teil ihrer ungeheuern Einkünfte aus der Hausmiete der Londoner Lumpenviertel ziehen, so mag man darnach den Wert dieses Teiles der großen Privatvermögen fürs Volksvermögen er¬ messen. Außerdem aber ist der Gebäudewert in Wirklichkeit stets geringer als der gleich hoch geschätzte Wert eines Ackergrundstücks. Die Nntznngswerte von Acker, Weide und Forst siud die einzigen unzerstörbaren oder nur durch ein Naturereignis zerstörbaren Werte, die einzigen, die bei zunehmender Be¬ völkerung niemals sinken, nur steigen können, die einzigen daher auch, die nie¬ mals ihren Tauschwert verlieren können. Schon bei den unterirdischen Boden¬ schätzen ist das nicht mehr ganz der Fall. Möchten die Kohlenlager Englands auch unerschöpflich sein, mit jeder Klafter, die der Stollen tiefer ins Erdinnere hinabsinkt oder sich unterm Meere fvrtwühlt, nähert er sich der Grenze, wo die Möglichkeit der Ausbeutung aufhört, und ist diese Grenze erreicht, so sind alle mineralischen Schätze, die jenseits von ihr liegen, für das Volksvermögen nicht mehr vorhanden. Was die Häuser anlangt, so sinkt namentlich bei den leichten modernen Bauten ihr Wert von Jahr zu Jahr und wird nach einigen Jahrzehnten der Abnutzung gleich Null. Eine Maschine, die heute 1000 Mark gilt, ist morgen nur noch als altes Eisen verkäuflich, wenn über Nacht eine neue bessere Maschine erfunden wird, die dem Fabrikanten die Fortbenutznng der alten unmöglich macht. Eine Fabrik muß auf deu Abbruch verkauft werden, sobald der Industriezweig eingeht, für den sie errichtet war. Weit überzeugender als diese Kapitalstatistik, deren wirklicher Wert nach dem Gesagten schlechterdings nicht zu ermitteln ist, würde die von Wolf ge¬ lieferte Konsumstatistik wirken — denn eben in der Masse der verfügbaren Verbrauchsgüter besteht der wirkliche Reichtum des Volkes —, wenn sie genaue und erfreuliche Auskunft gäbe über die in deu letzten Jahren verbrauchte Masse von Brot und Fleisch. Sie giebt aber nur Auskunft über die enorme Grenzboten IV 1892 W

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/425>, abgerufen am 23.07.2024.