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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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die Vervierfachung und Verfüuffachung hätten bringen müssen. Auch erscheint
die letzte Zahl in der Reihe, trotz ihrer ungeheuern Größe, für das reichste
Volk der Welt immer noch klein genug. Denn 10000 Millionen Pfund er¬
geben bei beinahe 40 Millionen Einwohnern nur wenig über 250 Pfund oder
5000 Mark auf den Kopf und 25000 Mark auf die Familie. 25000 Mark
ist bei uns ein kleines Bauerngut von 50 Morgen wert. Gäbe es also keine
reichen Leute im Inselstaate und wäre das Volksvermögen gleichmäßig ver¬
teilt, so würden die Briten ein Volk von lauter Kleinbauern sein.

Aber, was das schlimmste ist, jene Zahlen trügen. Zunächst hat Wolf
selbst schon bemerkt, daß seit 1600 der Geldwert stark gesunken sei, daß vor
300 Jahren ein Pfund weit mehr wert gewesen sei als jetzt, die Zunahme,
in Geld ausgedrückt, demnach viel geringer sei, als sie den Zahlen nach scheint.
Dann aber ist es die Frage, wie weit man den Zahlen trauen darf. Da
wir das statistische Rohmaterial nicht kennen, ans dem Wolfs Gewährsmann
Giffen (der Präsident der statistischen Gesellschaft) die Vermögen für die Jahre
1845 bis 1885 berechnet hat, fo hegen wir starke Zweifel an ihrer Zuver¬
lässigkeit. Röscher hat es für nötig gehalten, das Selbstverständliche") aus¬
drücklich zu betonen, daß bei Berechnung eines Volksvermögens nicht etwa
der Wert der Landgüter und daneben auch noch der Wert der darauf ruhenden
Hypotheken, als Kapitalvermögen der Rentner, angesetzt werden dürfe, weil
das ja einen und denselben Gegenstand doppelt zählen hieße. Wenn auf einem
Gute, das 100000 Thaler wert ist, 50000 Thaler Hypotheken ruhen, so sind
nicht 150000 Thaler Vermögen vorhanden, sondern nur 100000, da der
Wert der Hypothek einzig und allein in ihrem Pfandobjekt besteht. Entweder
also müssen bei der Berechnung des Volksvermögens vom Grundstückwert
alle Schulden oder vom Vermögen der Rentner alle Hypotheken abgezogen
werden. Bei der großen Unwissenheit selbst hochgestellter Männer in volks¬
wirtschaftlichen Dingen, bei der Neigung der Staatsmänner, die Lage des
Volkes möglichst glänzend darzustellen, einer Neigung, der die Hilfsarbeiter
zu schmeicheln verstehen, und bei der Unmöglichkeit, die Bestandteile der ein¬
geschätzten Rentnervermögen zu ermitteln, ist es sehr unwahrscheinlich, daß bei
Giffens Berechnungen solche Doppelzählungen gänzlich vermieden worden sein
sollten. Hypothekarische Verschuldung kennt zwar das englische Recht nicht;
allein wenn die Einkünfte eines Landlords wegen persönlicher Schulden se-
auestrirt sind, so findet ganz dieselbe Vesitzteilung statt wie beim deutschen
mit Hypotheken belasteten Grundbesitz. Sodann möchten wir darauf wetten,
daß die größtenteils im Lande untergebrachte englische Staatsschuld als Ver¬
mögen gerechnet worden ist. Die Schuldscheine befinden sich doch im Besitz



") In der dem neuen Steuergesetzentwurf beigcgebnen Berechnung des preußischen
Volksvermögens ist das beobachtet worden.

die Vervierfachung und Verfüuffachung hätten bringen müssen. Auch erscheint
die letzte Zahl in der Reihe, trotz ihrer ungeheuern Größe, für das reichste
Volk der Welt immer noch klein genug. Denn 10000 Millionen Pfund er¬
geben bei beinahe 40 Millionen Einwohnern nur wenig über 250 Pfund oder
5000 Mark auf den Kopf und 25000 Mark auf die Familie. 25000 Mark
ist bei uns ein kleines Bauerngut von 50 Morgen wert. Gäbe es also keine
reichen Leute im Inselstaate und wäre das Volksvermögen gleichmäßig ver¬
teilt, so würden die Briten ein Volk von lauter Kleinbauern sein.

Aber, was das schlimmste ist, jene Zahlen trügen. Zunächst hat Wolf
selbst schon bemerkt, daß seit 1600 der Geldwert stark gesunken sei, daß vor
300 Jahren ein Pfund weit mehr wert gewesen sei als jetzt, die Zunahme,
in Geld ausgedrückt, demnach viel geringer sei, als sie den Zahlen nach scheint.
Dann aber ist es die Frage, wie weit man den Zahlen trauen darf. Da
wir das statistische Rohmaterial nicht kennen, ans dem Wolfs Gewährsmann
Giffen (der Präsident der statistischen Gesellschaft) die Vermögen für die Jahre
1845 bis 1885 berechnet hat, fo hegen wir starke Zweifel an ihrer Zuver¬
lässigkeit. Röscher hat es für nötig gehalten, das Selbstverständliche") aus¬
drücklich zu betonen, daß bei Berechnung eines Volksvermögens nicht etwa
der Wert der Landgüter und daneben auch noch der Wert der darauf ruhenden
Hypotheken, als Kapitalvermögen der Rentner, angesetzt werden dürfe, weil
das ja einen und denselben Gegenstand doppelt zählen hieße. Wenn auf einem
Gute, das 100000 Thaler wert ist, 50000 Thaler Hypotheken ruhen, so sind
nicht 150000 Thaler Vermögen vorhanden, sondern nur 100000, da der
Wert der Hypothek einzig und allein in ihrem Pfandobjekt besteht. Entweder
also müssen bei der Berechnung des Volksvermögens vom Grundstückwert
alle Schulden oder vom Vermögen der Rentner alle Hypotheken abgezogen
werden. Bei der großen Unwissenheit selbst hochgestellter Männer in volks¬
wirtschaftlichen Dingen, bei der Neigung der Staatsmänner, die Lage des
Volkes möglichst glänzend darzustellen, einer Neigung, der die Hilfsarbeiter
zu schmeicheln verstehen, und bei der Unmöglichkeit, die Bestandteile der ein¬
geschätzten Rentnervermögen zu ermitteln, ist es sehr unwahrscheinlich, daß bei
Giffens Berechnungen solche Doppelzählungen gänzlich vermieden worden sein
sollten. Hypothekarische Verschuldung kennt zwar das englische Recht nicht;
allein wenn die Einkünfte eines Landlords wegen persönlicher Schulden se-
auestrirt sind, so findet ganz dieselbe Vesitzteilung statt wie beim deutschen
mit Hypotheken belasteten Grundbesitz. Sodann möchten wir darauf wetten,
daß die größtenteils im Lande untergebrachte englische Staatsschuld als Ver¬
mögen gerechnet worden ist. Die Schuldscheine befinden sich doch im Besitz



") In der dem neuen Steuergesetzentwurf beigcgebnen Berechnung des preußischen
Volksvermögens ist das beobachtet worden.
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[0423] die Vervierfachung und Verfüuffachung hätten bringen müssen. Auch erscheint die letzte Zahl in der Reihe, trotz ihrer ungeheuern Größe, für das reichste Volk der Welt immer noch klein genug. Denn 10000 Millionen Pfund er¬ geben bei beinahe 40 Millionen Einwohnern nur wenig über 250 Pfund oder 5000 Mark auf den Kopf und 25000 Mark auf die Familie. 25000 Mark ist bei uns ein kleines Bauerngut von 50 Morgen wert. Gäbe es also keine reichen Leute im Inselstaate und wäre das Volksvermögen gleichmäßig ver¬ teilt, so würden die Briten ein Volk von lauter Kleinbauern sein. Aber, was das schlimmste ist, jene Zahlen trügen. Zunächst hat Wolf selbst schon bemerkt, daß seit 1600 der Geldwert stark gesunken sei, daß vor 300 Jahren ein Pfund weit mehr wert gewesen sei als jetzt, die Zunahme, in Geld ausgedrückt, demnach viel geringer sei, als sie den Zahlen nach scheint. Dann aber ist es die Frage, wie weit man den Zahlen trauen darf. Da wir das statistische Rohmaterial nicht kennen, ans dem Wolfs Gewährsmann Giffen (der Präsident der statistischen Gesellschaft) die Vermögen für die Jahre 1845 bis 1885 berechnet hat, fo hegen wir starke Zweifel an ihrer Zuver¬ lässigkeit. Röscher hat es für nötig gehalten, das Selbstverständliche") aus¬ drücklich zu betonen, daß bei Berechnung eines Volksvermögens nicht etwa der Wert der Landgüter und daneben auch noch der Wert der darauf ruhenden Hypotheken, als Kapitalvermögen der Rentner, angesetzt werden dürfe, weil das ja einen und denselben Gegenstand doppelt zählen hieße. Wenn auf einem Gute, das 100000 Thaler wert ist, 50000 Thaler Hypotheken ruhen, so sind nicht 150000 Thaler Vermögen vorhanden, sondern nur 100000, da der Wert der Hypothek einzig und allein in ihrem Pfandobjekt besteht. Entweder also müssen bei der Berechnung des Volksvermögens vom Grundstückwert alle Schulden oder vom Vermögen der Rentner alle Hypotheken abgezogen werden. Bei der großen Unwissenheit selbst hochgestellter Männer in volks¬ wirtschaftlichen Dingen, bei der Neigung der Staatsmänner, die Lage des Volkes möglichst glänzend darzustellen, einer Neigung, der die Hilfsarbeiter zu schmeicheln verstehen, und bei der Unmöglichkeit, die Bestandteile der ein¬ geschätzten Rentnervermögen zu ermitteln, ist es sehr unwahrscheinlich, daß bei Giffens Berechnungen solche Doppelzählungen gänzlich vermieden worden sein sollten. Hypothekarische Verschuldung kennt zwar das englische Recht nicht; allein wenn die Einkünfte eines Landlords wegen persönlicher Schulden se- auestrirt sind, so findet ganz dieselbe Vesitzteilung statt wie beim deutschen mit Hypotheken belasteten Grundbesitz. Sodann möchten wir darauf wetten, daß die größtenteils im Lande untergebrachte englische Staatsschuld als Ver¬ mögen gerechnet worden ist. Die Schuldscheine befinden sich doch im Besitz ") In der dem neuen Steuergesetzentwurf beigcgebnen Berechnung des preußischen Volksvermögens ist das beobachtet worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/423>, abgerufen am 23.07.2024.