Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Meder Kommunismus "och Aapitcilismus

auf dieselbe" beiden Sätze oder wenigstens auf den zweiten gründen. Denn
während sie allerdings die Leiden der untersten Klasse meist zu verhüllen
suchen, klagen sie unausgesetzt über die Zerreibung des Mittelstandes, über die
Aufsaugung des Handwerkerstandes durch die Großindustrie, sowie des Klein¬
handels durch Versandgeschäfte und Konsumvereine und über die erdrückenden
Fesseln der Schuldknechtschaft, in die das städtische Kapital den ländlichen
Grundbesitz geschlagen habe. Von der Voraussetzung dieses Zustands sind
alle Gesetzvvrschläge der Konservativen ausgegangen, deren Tendenz im Anti¬
semitismus, dieser "Svzialdemvkrntie der dummen Kerls" sdie ethische Seite
der Judenseindschnft lassen wir aus dein Spiele), ihre schärfste Spitze hervor-
getrieben hat. Gelingt der Nachweis, das; die vielbeklagte Aufsaugung der
mittlern Vermögen durch das Großkapital eine leere Einbildung sei , dann ist
nicht allein die Sozialdemokratie, sondern anch die Politik der konservativen
Parteien in Deutschland und Osterreich entweder eine große Narrheit oder ein
frecher Hninbug und abscheulicher Vvltsbetrug. Dn jedoch die Möglichkeit,
daß so große Massen gebildeter Männer sich entweder durch leere Einbildungen
äffen oder Betrügerbaudeu bilden sollten, vollkommen ausgeschlossen, andrer¬
seits aber auch Professor Wolf über den Verdacht der Narrheit und des Be¬
trugs erhaben ist, so steht es, wie bei allen solchen großen Gegensätzen, von
vornherein sest, daß beide Parteien Recht haben müssen, und es kommt nnr
darauf an, den Punkt anzugeben, bis zu dem eine jede Recht hat. Dieser
Punkt läßt sich im vorliegenden Falle mit wunderbarer Genauigkeit augeben,
er ist sür England wenigstens das Jahr

Marx hat die Wahrnehmung gemacht, daß mit der Auflösung der Feudal¬
wirtschaft in England die Lage der untern Klassen immer schlechter wurde,
während sich in den obern kolossale Reichtümer ausrüsten. In den vierziger
Jahren, wo er mit seinem Freunde Engels die Verhältnisse des JnselreichS
zu studiren begann, war der Gegensatz zwischen Proletarierelend und Nabo-
bismus für jeden Menschenfreund wie für jeden englischen Patrioten schlechthin
unerträglich geworden, und die Konzentration des englischen Nationalvermögens
in einigen hundert Familien schien unmittelbar bevorzustehen. Als strenger
Hegelianer, der Marx war, sagte er sich nun: England ist das fortgeschrittenste
Land der Welt, demnach der ThpuS für alle andern Länder. Sie alle werden
denselben Prozeß durchmachen, lind dieser Prozeß wird sich bis zu jener
äußersten Möglichkeit durchsetzen, wo er nicht mehr weiter kann und ni sein
Gegenteil umschlagen muß.

Aber es kam anders. Lange bevor sein auf diese Wahrnehmungen ge¬
gründetes Hauptwerk wvllendet war, und wenige Jahre, nachdem Engels
sein kleines Buch über die Lage der arbeitenden Klassen in England veröffent¬
licht hatte, trat eine Besserung ein, die auch von Engels in der soeben er¬
schienenen neuen Auflage des genannten Buches anerkannt wird. Der zu-


Meder Kommunismus »och Aapitcilismus

auf dieselbe» beiden Sätze oder wenigstens auf den zweiten gründen. Denn
während sie allerdings die Leiden der untersten Klasse meist zu verhüllen
suchen, klagen sie unausgesetzt über die Zerreibung des Mittelstandes, über die
Aufsaugung des Handwerkerstandes durch die Großindustrie, sowie des Klein¬
handels durch Versandgeschäfte und Konsumvereine und über die erdrückenden
Fesseln der Schuldknechtschaft, in die das städtische Kapital den ländlichen
Grundbesitz geschlagen habe. Von der Voraussetzung dieses Zustands sind
alle Gesetzvvrschläge der Konservativen ausgegangen, deren Tendenz im Anti¬
semitismus, dieser „Svzialdemvkrntie der dummen Kerls" sdie ethische Seite
der Judenseindschnft lassen wir aus dein Spiele), ihre schärfste Spitze hervor-
getrieben hat. Gelingt der Nachweis, das; die vielbeklagte Aufsaugung der
mittlern Vermögen durch das Großkapital eine leere Einbildung sei , dann ist
nicht allein die Sozialdemokratie, sondern anch die Politik der konservativen
Parteien in Deutschland und Osterreich entweder eine große Narrheit oder ein
frecher Hninbug und abscheulicher Vvltsbetrug. Dn jedoch die Möglichkeit,
daß so große Massen gebildeter Männer sich entweder durch leere Einbildungen
äffen oder Betrügerbaudeu bilden sollten, vollkommen ausgeschlossen, andrer¬
seits aber auch Professor Wolf über den Verdacht der Narrheit und des Be¬
trugs erhaben ist, so steht es, wie bei allen solchen großen Gegensätzen, von
vornherein sest, daß beide Parteien Recht haben müssen, und es kommt nnr
darauf an, den Punkt anzugeben, bis zu dem eine jede Recht hat. Dieser
Punkt läßt sich im vorliegenden Falle mit wunderbarer Genauigkeit augeben,
er ist sür England wenigstens das Jahr

Marx hat die Wahrnehmung gemacht, daß mit der Auflösung der Feudal¬
wirtschaft in England die Lage der untern Klassen immer schlechter wurde,
während sich in den obern kolossale Reichtümer ausrüsten. In den vierziger
Jahren, wo er mit seinem Freunde Engels die Verhältnisse des JnselreichS
zu studiren begann, war der Gegensatz zwischen Proletarierelend und Nabo-
bismus für jeden Menschenfreund wie für jeden englischen Patrioten schlechthin
unerträglich geworden, und die Konzentration des englischen Nationalvermögens
in einigen hundert Familien schien unmittelbar bevorzustehen. Als strenger
Hegelianer, der Marx war, sagte er sich nun: England ist das fortgeschrittenste
Land der Welt, demnach der ThpuS für alle andern Länder. Sie alle werden
denselben Prozeß durchmachen, lind dieser Prozeß wird sich bis zu jener
äußersten Möglichkeit durchsetzen, wo er nicht mehr weiter kann und ni sein
Gegenteil umschlagen muß.

Aber es kam anders. Lange bevor sein auf diese Wahrnehmungen ge¬
gründetes Hauptwerk wvllendet war, und wenige Jahre, nachdem Engels
sein kleines Buch über die Lage der arbeitenden Klassen in England veröffent¬
licht hatte, trat eine Besserung ein, die auch von Engels in der soeben er¬
schienenen neuen Auflage des genannten Buches anerkannt wird. Der zu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213534"/>
          <fw type="header" place="top"> Meder Kommunismus »och Aapitcilismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1270" prev="#ID_1269"> auf dieselbe» beiden Sätze oder wenigstens auf den zweiten gründen. Denn<lb/>
während sie allerdings die Leiden der untersten Klasse meist zu verhüllen<lb/>
suchen, klagen sie unausgesetzt über die Zerreibung des Mittelstandes, über die<lb/>
Aufsaugung des Handwerkerstandes durch die Großindustrie, sowie des Klein¬<lb/>
handels durch Versandgeschäfte und Konsumvereine und über die erdrückenden<lb/>
Fesseln der Schuldknechtschaft, in die das städtische Kapital den ländlichen<lb/>
Grundbesitz geschlagen habe. Von der Voraussetzung dieses Zustands sind<lb/>
alle Gesetzvvrschläge der Konservativen ausgegangen, deren Tendenz im Anti¬<lb/>
semitismus, dieser &#x201E;Svzialdemvkrntie der dummen Kerls" sdie ethische Seite<lb/>
der Judenseindschnft lassen wir aus dein Spiele), ihre schärfste Spitze hervor-<lb/>
getrieben hat. Gelingt der Nachweis, das; die vielbeklagte Aufsaugung der<lb/>
mittlern Vermögen durch das Großkapital eine leere Einbildung sei , dann ist<lb/>
nicht allein die Sozialdemokratie, sondern anch die Politik der konservativen<lb/>
Parteien in Deutschland und Osterreich entweder eine große Narrheit oder ein<lb/>
frecher Hninbug und abscheulicher Vvltsbetrug. Dn jedoch die Möglichkeit,<lb/>
daß so große Massen gebildeter Männer sich entweder durch leere Einbildungen<lb/>
äffen oder Betrügerbaudeu bilden sollten, vollkommen ausgeschlossen, andrer¬<lb/>
seits aber auch Professor Wolf über den Verdacht der Narrheit und des Be¬<lb/>
trugs erhaben ist, so steht es, wie bei allen solchen großen Gegensätzen, von<lb/>
vornherein sest, daß beide Parteien Recht haben müssen, und es kommt nnr<lb/>
darauf an, den Punkt anzugeben, bis zu dem eine jede Recht hat. Dieser<lb/>
Punkt läßt sich im vorliegenden Falle mit wunderbarer Genauigkeit augeben,<lb/>
er ist sür England wenigstens das Jahr</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1271"> Marx hat die Wahrnehmung gemacht, daß mit der Auflösung der Feudal¬<lb/>
wirtschaft in England die Lage der untern Klassen immer schlechter wurde,<lb/>
während sich in den obern kolossale Reichtümer ausrüsten. In den vierziger<lb/>
Jahren, wo er mit seinem Freunde Engels die Verhältnisse des JnselreichS<lb/>
zu studiren begann, war der Gegensatz zwischen Proletarierelend und Nabo-<lb/>
bismus für jeden Menschenfreund wie für jeden englischen Patrioten schlechthin<lb/>
unerträglich geworden, und die Konzentration des englischen Nationalvermögens<lb/>
in einigen hundert Familien schien unmittelbar bevorzustehen. Als strenger<lb/>
Hegelianer, der Marx war, sagte er sich nun: England ist das fortgeschrittenste<lb/>
Land der Welt, demnach der ThpuS für alle andern Länder. Sie alle werden<lb/>
denselben Prozeß durchmachen, lind dieser Prozeß wird sich bis zu jener<lb/>
äußersten Möglichkeit durchsetzen, wo er nicht mehr weiter kann und ni sein<lb/>
Gegenteil umschlagen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Aber es kam anders. Lange bevor sein auf diese Wahrnehmungen ge¬<lb/>
gründetes Hauptwerk wvllendet war, und wenige Jahre, nachdem Engels<lb/>
sein kleines Buch über die Lage der arbeitenden Klassen in England veröffent¬<lb/>
licht hatte, trat eine Besserung ein, die auch von Engels in der soeben er¬<lb/>
schienenen neuen Auflage des genannten Buches anerkannt wird.  Der zu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] Meder Kommunismus »och Aapitcilismus auf dieselbe» beiden Sätze oder wenigstens auf den zweiten gründen. Denn während sie allerdings die Leiden der untersten Klasse meist zu verhüllen suchen, klagen sie unausgesetzt über die Zerreibung des Mittelstandes, über die Aufsaugung des Handwerkerstandes durch die Großindustrie, sowie des Klein¬ handels durch Versandgeschäfte und Konsumvereine und über die erdrückenden Fesseln der Schuldknechtschaft, in die das städtische Kapital den ländlichen Grundbesitz geschlagen habe. Von der Voraussetzung dieses Zustands sind alle Gesetzvvrschläge der Konservativen ausgegangen, deren Tendenz im Anti¬ semitismus, dieser „Svzialdemvkrntie der dummen Kerls" sdie ethische Seite der Judenseindschnft lassen wir aus dein Spiele), ihre schärfste Spitze hervor- getrieben hat. Gelingt der Nachweis, das; die vielbeklagte Aufsaugung der mittlern Vermögen durch das Großkapital eine leere Einbildung sei , dann ist nicht allein die Sozialdemokratie, sondern anch die Politik der konservativen Parteien in Deutschland und Osterreich entweder eine große Narrheit oder ein frecher Hninbug und abscheulicher Vvltsbetrug. Dn jedoch die Möglichkeit, daß so große Massen gebildeter Männer sich entweder durch leere Einbildungen äffen oder Betrügerbaudeu bilden sollten, vollkommen ausgeschlossen, andrer¬ seits aber auch Professor Wolf über den Verdacht der Narrheit und des Be¬ trugs erhaben ist, so steht es, wie bei allen solchen großen Gegensätzen, von vornherein sest, daß beide Parteien Recht haben müssen, und es kommt nnr darauf an, den Punkt anzugeben, bis zu dem eine jede Recht hat. Dieser Punkt läßt sich im vorliegenden Falle mit wunderbarer Genauigkeit augeben, er ist sür England wenigstens das Jahr Marx hat die Wahrnehmung gemacht, daß mit der Auflösung der Feudal¬ wirtschaft in England die Lage der untern Klassen immer schlechter wurde, während sich in den obern kolossale Reichtümer ausrüsten. In den vierziger Jahren, wo er mit seinem Freunde Engels die Verhältnisse des JnselreichS zu studiren begann, war der Gegensatz zwischen Proletarierelend und Nabo- bismus für jeden Menschenfreund wie für jeden englischen Patrioten schlechthin unerträglich geworden, und die Konzentration des englischen Nationalvermögens in einigen hundert Familien schien unmittelbar bevorzustehen. Als strenger Hegelianer, der Marx war, sagte er sich nun: England ist das fortgeschrittenste Land der Welt, demnach der ThpuS für alle andern Länder. Sie alle werden denselben Prozeß durchmachen, lind dieser Prozeß wird sich bis zu jener äußersten Möglichkeit durchsetzen, wo er nicht mehr weiter kann und ni sein Gegenteil umschlagen muß. Aber es kam anders. Lange bevor sein auf diese Wahrnehmungen ge¬ gründetes Hauptwerk wvllendet war, und wenige Jahre, nachdem Engels sein kleines Buch über die Lage der arbeitenden Klassen in England veröffent¬ licht hatte, trat eine Besserung ein, die auch von Engels in der soeben er¬ schienenen neuen Auflage des genannten Buches anerkannt wird. Der zu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/420>, abgerufen am 22.12.2024.