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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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zur allgemeinen Nahrhaftigkeit beruhenden und die allgemeine Volksbewaffnung
verwirklichenden Wehrshstems." Eine Partei hört wie eine Nation auf, zu
bestehen, wenn sie friedfertig um jeden Preis ist.

Wenn es schon zweifelhaft ist, ob eine Vvllswehr, wie sie die Sozialdemo¬
kratie wünscht, nicht schon im Frieden für die Gesamtheit ebenso teuer wie
ein stehendes Heer ist, wenn nicht teurer, so ist es noch viel zweifelhafter, ob
ein Volkskrieg nicht verderblicher ist, als ein von einem Bruchteil der Nation
geführter Krieg. Jedenfalls würde auch die Volkswehr einen recht runden
Posten in dem Etat eines Volksstaats ausmachen. Ebenso würden die ein¬
zelnen dnrch die militärische Last in einem solchen Staat uicht weniger ge¬
drückt werden als heute, sie müßten "dienen" so gut wie jetzt, aber die Dienst¬
zeit würde vielleicht noch länger dauern, da die militärische Erziehung ja schon
von Jugend an begönne, der einzelne könnte lange warten, bis er die Aus¬
sicht hätte, "militärfrei" zu sein. Wie der sozialdemokratische Staat die auf
den Gipfel getriebne Legalität des Gesellschaftslebens bedeuten würde, in dem
alles ordnungs- und gleichmäßig am Schnürchen gehen müßte, so würde der
Militarismus der Sozialdemokratie der allgemeine Militärzwang sein. Wie
der Sozialismus nichts andres als Kapitalismus in der äußersten Planmäßigkeit
ist, so wäre jener Militarismus derselbe wie der heutige, aber auf den höchsten
Grad erhoben.

Man sollte nicht vergessen, daß jedes "Prinzip," und wäre es das beste,
in dem Distanzritt der Prinzipien zu Tode geritten werden kann. Würde die
allgemeine Wehrpflicht, die Scharnhorst aus der "großen" französischen Re¬
volution auf Preußen übertragen hat, in sozialistischer Weise übertrieben aus
gedehnt, so würde die Zahl, die Masse der Soldaten zunehmen, aber die
Zahl behält hier so wenig Recht, wie die Mehrheit bei einer Abstimmung.
Mit der größern Zahl drängt sich immermehr die Frage der Verkürzung der
Dienstzeit in den Vordergrund, mit der Bedeutung, die man der Menge bei¬
legt, nimmt unwillkürlich die ab, die der Befähigung gebührt. "Jmmermchr"
ist ein bedenkliches Wort: immermehr Soldaten und immermehr Sozial¬
demokraten; noch bedenklicher ist "lauter": lauter Soldaten und lauter Sozial-
demokraten; hoffentlich wird aber die Zukunft dem Nebeneinanderlauf der
Parallelen Halt gebieten. Deutschland ist der militärische Lehrmeister der
neuesten Zeit geworden; die Frage ist, wie kann es Meister bleiben? Aber
auch das "sozialistische Deutschland" ist das größte der Welt; "Deutschlands
Proletariat -- sagte auf dem Hallischen Parteitag der Franzose Guesde -- ist
das am großartigsten organisirte, es steht um der Spitze des Wcltproletariats
mit seinem Programm, seiner Organisation und seinen Erfolgen." Mit seiner
Sozialrcform hat Deutschland allen Staaten voran den Sprung ins Ungewisse
gewagt; wird es ihm gelingen, auch der soziale Lehrmeister der kommenden
Zeit zu werden? l^ni viviii, vsrra.


zur allgemeinen Nahrhaftigkeit beruhenden und die allgemeine Volksbewaffnung
verwirklichenden Wehrshstems." Eine Partei hört wie eine Nation auf, zu
bestehen, wenn sie friedfertig um jeden Preis ist.

Wenn es schon zweifelhaft ist, ob eine Vvllswehr, wie sie die Sozialdemo¬
kratie wünscht, nicht schon im Frieden für die Gesamtheit ebenso teuer wie
ein stehendes Heer ist, wenn nicht teurer, so ist es noch viel zweifelhafter, ob
ein Volkskrieg nicht verderblicher ist, als ein von einem Bruchteil der Nation
geführter Krieg. Jedenfalls würde auch die Volkswehr einen recht runden
Posten in dem Etat eines Volksstaats ausmachen. Ebenso würden die ein¬
zelnen dnrch die militärische Last in einem solchen Staat uicht weniger ge¬
drückt werden als heute, sie müßten „dienen" so gut wie jetzt, aber die Dienst¬
zeit würde vielleicht noch länger dauern, da die militärische Erziehung ja schon
von Jugend an begönne, der einzelne könnte lange warten, bis er die Aus¬
sicht hätte, „militärfrei" zu sein. Wie der sozialdemokratische Staat die auf
den Gipfel getriebne Legalität des Gesellschaftslebens bedeuten würde, in dem
alles ordnungs- und gleichmäßig am Schnürchen gehen müßte, so würde der
Militarismus der Sozialdemokratie der allgemeine Militärzwang sein. Wie
der Sozialismus nichts andres als Kapitalismus in der äußersten Planmäßigkeit
ist, so wäre jener Militarismus derselbe wie der heutige, aber auf den höchsten
Grad erhoben.

Man sollte nicht vergessen, daß jedes „Prinzip," und wäre es das beste,
in dem Distanzritt der Prinzipien zu Tode geritten werden kann. Würde die
allgemeine Wehrpflicht, die Scharnhorst aus der „großen" französischen Re¬
volution auf Preußen übertragen hat, in sozialistischer Weise übertrieben aus
gedehnt, so würde die Zahl, die Masse der Soldaten zunehmen, aber die
Zahl behält hier so wenig Recht, wie die Mehrheit bei einer Abstimmung.
Mit der größern Zahl drängt sich immermehr die Frage der Verkürzung der
Dienstzeit in den Vordergrund, mit der Bedeutung, die man der Menge bei¬
legt, nimmt unwillkürlich die ab, die der Befähigung gebührt. „Jmmermchr"
ist ein bedenkliches Wort: immermehr Soldaten und immermehr Sozial¬
demokraten; noch bedenklicher ist „lauter": lauter Soldaten und lauter Sozial-
demokraten; hoffentlich wird aber die Zukunft dem Nebeneinanderlauf der
Parallelen Halt gebieten. Deutschland ist der militärische Lehrmeister der
neuesten Zeit geworden; die Frage ist, wie kann es Meister bleiben? Aber
auch das „sozialistische Deutschland" ist das größte der Welt; „Deutschlands
Proletariat — sagte auf dem Hallischen Parteitag der Franzose Guesde — ist
das am großartigsten organisirte, es steht um der Spitze des Wcltproletariats
mit seinem Programm, seiner Organisation und seinen Erfolgen." Mit seiner
Sozialrcform hat Deutschland allen Staaten voran den Sprung ins Ungewisse
gewagt; wird es ihm gelingen, auch der soziale Lehrmeister der kommenden
Zeit zu werden? l^ni viviii, vsrra.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/418>, abgerufen am 23.07.2024.