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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Kategorien denkn, wobei ihnen sogar hie und da eine "chauvinistische Phrase"
mit unterläuft, ihr Verstand bewegt sich, um mit Henry Drummond zu reden,
in einem besondern Gedankenkreise, in "einer Kanuner gleichsam, die ihre be¬
sondre Einrichtung hat, ihr eigenartiges Gerät, ihre eigentümlichen Bilder und
Gesichtspunkte," und dies "bewirkt eine bestimmte Richtung und Färbung
ihrer Denk- und Ausdrucksweise." Der Kapitalismus und der Militarismus,
von deuen der Sozialismus ein naher Verwandter ist, sind sozialdemokratische
Gedankenkreise. Ju England ist nur die Kategorie des Kapitalismus der
Gedankenkreis der Sozialdemokraten, in Deutschland kommt die des Mili¬
tarismus hinzu. Selbst Liebknecht verfiel auf dem Kongreß zu Marseille in den
Fehler, wenn es einer ist, "die Sprache der alten Gesellschaft zu sprechen."

Die Sozialdemokratie ist auch keineswegs gegen jeden äußern Krieg,
wenigstens ist ihr ein solcher gegen Rußland uicht unsympathisch. Engels und
Liebknecht haben die Möglichkeit erwogen, daß die deutschen Sozialdemokraten
unter die Fahiieu gegen den Feind gerufen würden, und sie haben sich nicht
für deu natürlich unter Deutschen aussichtslose" Versuch des Streitens gegen
den "Bruderkrieg" ausgesprochen. Welche Nebengedanken sie haben mögen,
ob sie uur den Fall des russischen Despotismus vor Augen haben, ob sie
auf eine demokratische Hochflut nach Beendigung des Massenkrieges rechnen,
das thut hier nichts zur Sache, genug, die Sozialdemokratin ist uicht einmal
gegen deu Nationalkrieg. Ihre vielgerühmte Juteruationalität ist auch keine
rechte und echte, sie ist nur eine Jnternntivnalität zwischen den Sozialdemo¬
kraten einiger, aber nicht aller Erdenuatioueu. Die Sozialdemokratie enthält
in ihrem Programm immer noch die Forderung einer "Bewciffnnng" des
Volks; wozu ist die aber nötig, wenn sie nicht auf eine" Krieg berechnet ist?
Für die Kräftigung des Körpers und die Übung der Mncckeln würden doch
Turnstunden, Tnrnfahrten und Wettspiele ausreichen; wozu das Volk über¬
haupt "in den Waffen üben"? Frau von Suttuer, was sagen Sie dazu?
Sie meinen in Ihrem Roman: "Sollte sich die allgemeine Wehrpflicht ver
breiten, so würde in demselben Maße die Kriegsabneigung zunehmen." Sehen
Sie denn nicht, daß die Thatsachen uicht im geringsten damit übereinstim¬
men? Der "letzte" Krieg wird niemals geführt werden, weder der letzte natio¬
nale noch der letzte wirtschaftliche noch der letzte geistige, Krieg erzeugt immer
wieder Krieg. Die deutsche Sozialdemokratie wird sich hüten, aus dem dritten
Abschnitt ihres Programms die Forderungen der "Erziehung zur allgemeinen
Wehrhaftigkeit" und der "Volkswehr an Stelle der stehenden Heere" zu streichen,
wahrscheinlich wird sie nicht einmal die "Entscheidung über Krieg und Frieden
durch die Volksvertretung" den Friedensfreunden zum Opfer bringen. Auf
dem Berliner Parteitage vertrat in kurzer Rede Singer den sozialdemokratischen
Ultra-Militarismus, und ohne langes Besinnen und Besprechen forderte auf
seineu Vorschlag der Parteitag einstimmig ,,die Einführung eines auf Erziehung


Grenzboten IV 1892 52

Kategorien denkn, wobei ihnen sogar hie und da eine „chauvinistische Phrase"
mit unterläuft, ihr Verstand bewegt sich, um mit Henry Drummond zu reden,
in einem besondern Gedankenkreise, in „einer Kanuner gleichsam, die ihre be¬
sondre Einrichtung hat, ihr eigenartiges Gerät, ihre eigentümlichen Bilder und
Gesichtspunkte," und dies „bewirkt eine bestimmte Richtung und Färbung
ihrer Denk- und Ausdrucksweise." Der Kapitalismus und der Militarismus,
von deuen der Sozialismus ein naher Verwandter ist, sind sozialdemokratische
Gedankenkreise. Ju England ist nur die Kategorie des Kapitalismus der
Gedankenkreis der Sozialdemokraten, in Deutschland kommt die des Mili¬
tarismus hinzu. Selbst Liebknecht verfiel auf dem Kongreß zu Marseille in den
Fehler, wenn es einer ist, „die Sprache der alten Gesellschaft zu sprechen."

Die Sozialdemokratie ist auch keineswegs gegen jeden äußern Krieg,
wenigstens ist ihr ein solcher gegen Rußland uicht unsympathisch. Engels und
Liebknecht haben die Möglichkeit erwogen, daß die deutschen Sozialdemokraten
unter die Fahiieu gegen den Feind gerufen würden, und sie haben sich nicht
für deu natürlich unter Deutschen aussichtslose» Versuch des Streitens gegen
den „Bruderkrieg" ausgesprochen. Welche Nebengedanken sie haben mögen,
ob sie uur den Fall des russischen Despotismus vor Augen haben, ob sie
auf eine demokratische Hochflut nach Beendigung des Massenkrieges rechnen,
das thut hier nichts zur Sache, genug, die Sozialdemokratin ist uicht einmal
gegen deu Nationalkrieg. Ihre vielgerühmte Juteruationalität ist auch keine
rechte und echte, sie ist nur eine Jnternntivnalität zwischen den Sozialdemo¬
kraten einiger, aber nicht aller Erdenuatioueu. Die Sozialdemokratie enthält
in ihrem Programm immer noch die Forderung einer „Bewciffnnng" des
Volks; wozu ist die aber nötig, wenn sie nicht auf eine» Krieg berechnet ist?
Für die Kräftigung des Körpers und die Übung der Mncckeln würden doch
Turnstunden, Tnrnfahrten und Wettspiele ausreichen; wozu das Volk über¬
haupt „in den Waffen üben"? Frau von Suttuer, was sagen Sie dazu?
Sie meinen in Ihrem Roman: „Sollte sich die allgemeine Wehrpflicht ver
breiten, so würde in demselben Maße die Kriegsabneigung zunehmen." Sehen
Sie denn nicht, daß die Thatsachen uicht im geringsten damit übereinstim¬
men? Der „letzte" Krieg wird niemals geführt werden, weder der letzte natio¬
nale noch der letzte wirtschaftliche noch der letzte geistige, Krieg erzeugt immer
wieder Krieg. Die deutsche Sozialdemokratie wird sich hüten, aus dem dritten
Abschnitt ihres Programms die Forderungen der „Erziehung zur allgemeinen
Wehrhaftigkeit" und der „Volkswehr an Stelle der stehenden Heere" zu streichen,
wahrscheinlich wird sie nicht einmal die „Entscheidung über Krieg und Frieden
durch die Volksvertretung" den Friedensfreunden zum Opfer bringen. Auf
dem Berliner Parteitage vertrat in kurzer Rede Singer den sozialdemokratischen
Ultra-Militarismus, und ohne langes Besinnen und Besprechen forderte auf
seineu Vorschlag der Parteitag einstimmig ,,die Einführung eines auf Erziehung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/417>, abgerufen am 22.12.2024.