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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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"andern wird vorgeworfen, daß er Gewalt an Stelle des Rechtes setzen will."
Alle Welt will den Frieden oder behauptet ihn zu wollen, aber alle Welt
thut nicht das, was dazu gehört. Sogar die Friedenskongreßler spotten ihrer
selbst, indem sie in kriegerischen Metaphern zu sprechen lieben, sie bringen es
sertig, um den Frieden zu stiften, flugs einen Kampfartikel in der besten Form
zu schreiben; um el" Gewicht in die Wagschale der Geschichte zu werfen,
müssen sie sich zu einer "Friedensarmee" zusammenscharen, in der sie gleich
andern Soldaten der ihnen von ihrer eignen Überzeugung auferlegten "Wehr¬
pflicht geuttgen."

Woran liegt es, daß die deutsche Sozialdemokratie eine so durchaus
krieg- und kampflustige Partei ist? Sie kann eben nicht anders sein, weil
sie deutsch, deutschen Wesens ist; das ist etwas, was der Holländer Nieuwen-
huis ganz richtig durchschaut hat, der ihr ihren Militarismus zum Vorwurf
machte. Auch der Engländer situes Whitman hat das erkannt, wenn er in
seiner Schrift: ,,Der deutsche und der englische Arbeiter" die soziale Entwick¬
lung Englands und Deutschlands, besonders Preußens, mit einander vergleicht:
englische Eigentümlichkeit ist die Selbsthilfe der Arbeiter, die eine Vesferuug
ihrer Lage und Lebenshaltung bezweckt, deutsch ist die Disziplin und die Ein¬
wirkung von oben herab. Nicht ganz richtig ist es jedoch, wenn er die Auf¬
gaben der Zukunft in Deutschland dahin zusammenfaßt: die Disziplin, die
bisher vou oben herab gewirkt hat, muß fortan auch von unten herauf die
ganze Masse des Volkes durchdringen. Das ist insofern nicht völlig richtig,
als die militärische Disziplin auch immer mit von unten herauf gehandhabt
worden ist, indem sie in dem deutscheu Charakter selbst begründet ist, sie ist
nicht als etwas Fremdes und Äußerliches in die Masse eingepflanzt
worden. Die Sozialdemokratie Hütte keine "disziplinirte Arbeiterschaft" zu
ihrer Verfügung, wenn ihr nicht der gehaßte Militarismus, dein sie dafür
vielmehr zu Dank verpflichtet wäre, vorgearbeitet hätte. Indem die Sozinl-
demokratie die Masse weiter an die Disziplin gewöhnt, setzt sie nur die sol¬
datische Schulung fort, allerdings bis jetzt zu dem Zweck, den Staat umzu¬
werfen und sich selbst an seine Stelle zu setzen. Es ist aber doch die Frage,
ob sie sich nicht bloß für den König von Preußen abarbeitet. Sie will sich
der Waffen der Zivilisation bedienen, um gegen sie selbst zu kämpfen, aber
dadurch befördert sie gerade die Entwicklungsrichtung der modernen Geschichte.
Sie befürchtet selbst, daß ihr die Früchte ihrer Thätigkeit entzogen werden
könnten, darum kaun sie ihren Argwohn gegen den Staatssozialismus nicht
unterdrücken, sie fürchtet, daß am Ende der Staat selbst den Lohn ihrer Ar¬
beit ernten könnte, daß sie nur für ihn "erzieht, organisirt und agitirt."

Die Sozialdemokmteu handeln und sprechen militärisch, preußisch, weil
auch sie nicht von heute auf morgen sich selbst und das Volk anders machen
können, als sie sind. Sie müssen, wenn auch wider Willen, in den gewohnten


„andern wird vorgeworfen, daß er Gewalt an Stelle des Rechtes setzen will."
Alle Welt will den Frieden oder behauptet ihn zu wollen, aber alle Welt
thut nicht das, was dazu gehört. Sogar die Friedenskongreßler spotten ihrer
selbst, indem sie in kriegerischen Metaphern zu sprechen lieben, sie bringen es
sertig, um den Frieden zu stiften, flugs einen Kampfartikel in der besten Form
zu schreiben; um el« Gewicht in die Wagschale der Geschichte zu werfen,
müssen sie sich zu einer „Friedensarmee" zusammenscharen, in der sie gleich
andern Soldaten der ihnen von ihrer eignen Überzeugung auferlegten „Wehr¬
pflicht geuttgen."

Woran liegt es, daß die deutsche Sozialdemokratie eine so durchaus
krieg- und kampflustige Partei ist? Sie kann eben nicht anders sein, weil
sie deutsch, deutschen Wesens ist; das ist etwas, was der Holländer Nieuwen-
huis ganz richtig durchschaut hat, der ihr ihren Militarismus zum Vorwurf
machte. Auch der Engländer situes Whitman hat das erkannt, wenn er in
seiner Schrift: ,,Der deutsche und der englische Arbeiter" die soziale Entwick¬
lung Englands und Deutschlands, besonders Preußens, mit einander vergleicht:
englische Eigentümlichkeit ist die Selbsthilfe der Arbeiter, die eine Vesferuug
ihrer Lage und Lebenshaltung bezweckt, deutsch ist die Disziplin und die Ein¬
wirkung von oben herab. Nicht ganz richtig ist es jedoch, wenn er die Auf¬
gaben der Zukunft in Deutschland dahin zusammenfaßt: die Disziplin, die
bisher vou oben herab gewirkt hat, muß fortan auch von unten herauf die
ganze Masse des Volkes durchdringen. Das ist insofern nicht völlig richtig,
als die militärische Disziplin auch immer mit von unten herauf gehandhabt
worden ist, indem sie in dem deutscheu Charakter selbst begründet ist, sie ist
nicht als etwas Fremdes und Äußerliches in die Masse eingepflanzt
worden. Die Sozialdemokratie Hütte keine „disziplinirte Arbeiterschaft" zu
ihrer Verfügung, wenn ihr nicht der gehaßte Militarismus, dein sie dafür
vielmehr zu Dank verpflichtet wäre, vorgearbeitet hätte. Indem die Sozinl-
demokratie die Masse weiter an die Disziplin gewöhnt, setzt sie nur die sol¬
datische Schulung fort, allerdings bis jetzt zu dem Zweck, den Staat umzu¬
werfen und sich selbst an seine Stelle zu setzen. Es ist aber doch die Frage,
ob sie sich nicht bloß für den König von Preußen abarbeitet. Sie will sich
der Waffen der Zivilisation bedienen, um gegen sie selbst zu kämpfen, aber
dadurch befördert sie gerade die Entwicklungsrichtung der modernen Geschichte.
Sie befürchtet selbst, daß ihr die Früchte ihrer Thätigkeit entzogen werden
könnten, darum kaun sie ihren Argwohn gegen den Staatssozialismus nicht
unterdrücken, sie fürchtet, daß am Ende der Staat selbst den Lohn ihrer Ar¬
beit ernten könnte, daß sie nur für ihn „erzieht, organisirt und agitirt."

Die Sozialdemokmteu handeln und sprechen militärisch, preußisch, weil
auch sie nicht von heute auf morgen sich selbst und das Volk anders machen
können, als sie sind. Sie müssen, wenn auch wider Willen, in den gewohnten


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[0416] „andern wird vorgeworfen, daß er Gewalt an Stelle des Rechtes setzen will." Alle Welt will den Frieden oder behauptet ihn zu wollen, aber alle Welt thut nicht das, was dazu gehört. Sogar die Friedenskongreßler spotten ihrer selbst, indem sie in kriegerischen Metaphern zu sprechen lieben, sie bringen es sertig, um den Frieden zu stiften, flugs einen Kampfartikel in der besten Form zu schreiben; um el« Gewicht in die Wagschale der Geschichte zu werfen, müssen sie sich zu einer „Friedensarmee" zusammenscharen, in der sie gleich andern Soldaten der ihnen von ihrer eignen Überzeugung auferlegten „Wehr¬ pflicht geuttgen." Woran liegt es, daß die deutsche Sozialdemokratie eine so durchaus krieg- und kampflustige Partei ist? Sie kann eben nicht anders sein, weil sie deutsch, deutschen Wesens ist; das ist etwas, was der Holländer Nieuwen- huis ganz richtig durchschaut hat, der ihr ihren Militarismus zum Vorwurf machte. Auch der Engländer situes Whitman hat das erkannt, wenn er in seiner Schrift: ,,Der deutsche und der englische Arbeiter" die soziale Entwick¬ lung Englands und Deutschlands, besonders Preußens, mit einander vergleicht: englische Eigentümlichkeit ist die Selbsthilfe der Arbeiter, die eine Vesferuug ihrer Lage und Lebenshaltung bezweckt, deutsch ist die Disziplin und die Ein¬ wirkung von oben herab. Nicht ganz richtig ist es jedoch, wenn er die Auf¬ gaben der Zukunft in Deutschland dahin zusammenfaßt: die Disziplin, die bisher vou oben herab gewirkt hat, muß fortan auch von unten herauf die ganze Masse des Volkes durchdringen. Das ist insofern nicht völlig richtig, als die militärische Disziplin auch immer mit von unten herauf gehandhabt worden ist, indem sie in dem deutscheu Charakter selbst begründet ist, sie ist nicht als etwas Fremdes und Äußerliches in die Masse eingepflanzt worden. Die Sozialdemokratie Hütte keine „disziplinirte Arbeiterschaft" zu ihrer Verfügung, wenn ihr nicht der gehaßte Militarismus, dein sie dafür vielmehr zu Dank verpflichtet wäre, vorgearbeitet hätte. Indem die Sozinl- demokratie die Masse weiter an die Disziplin gewöhnt, setzt sie nur die sol¬ datische Schulung fort, allerdings bis jetzt zu dem Zweck, den Staat umzu¬ werfen und sich selbst an seine Stelle zu setzen. Es ist aber doch die Frage, ob sie sich nicht bloß für den König von Preußen abarbeitet. Sie will sich der Waffen der Zivilisation bedienen, um gegen sie selbst zu kämpfen, aber dadurch befördert sie gerade die Entwicklungsrichtung der modernen Geschichte. Sie befürchtet selbst, daß ihr die Früchte ihrer Thätigkeit entzogen werden könnten, darum kaun sie ihren Argwohn gegen den Staatssozialismus nicht unterdrücken, sie fürchtet, daß am Ende der Staat selbst den Lohn ihrer Ar¬ beit ernten könnte, daß sie nur für ihn „erzieht, organisirt und agitirt." Die Sozialdemokmteu handeln und sprechen militärisch, preußisch, weil auch sie nicht von heute auf morgen sich selbst und das Volk anders machen können, als sie sind. Sie müssen, wenn auch wider Willen, in den gewohnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/416>, abgerufen am 23.07.2024.