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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Unterdrückung der einen durch die andre mit immer neuen Farben auszumalen.
Trotzdem beweist sie selbst schon durch das Schwanken ihrer Benennungen,
daß die Trennung der Gesellschaft in zwei feindliche Heerlager nicht bis auf
den wünschenswerten höchsten Grad gediehen ist. Die Sozialdemokraten sprechen
bald von einer besitzenden, gebildeten, herrschenden Klasse, bald von mehreren,
und nur darin sind sie konsequent, nur eine Arbeiterklasse, die identisch mit
dem sozialdemokratischen Proletariat sein soll, zu unterscheiden. Aber es liegt
Methode in diesem Geisterkampf, der die bestehenden Schroffheiten immer mög¬
lichst schwarz zu malen sucht, denn es ist gewiß, daß es schon genügt, wenn
jemand sich für einen Proletarier hält, damit er unzufrieden wird, ohne daß
er ein solcher wirklich zu sein braucht. Es ist leider wahr, was Kuno Franken¬
stein in Heft 4 dieses Jahrgangs der Grenzboten schrieb: "Die Sozialdemo¬
kratie erstrebt nicht den sozialen Frieden; sie hat den Klassenkampf auf ihre
Fahne geschrieben, sie feiert, wie es in einem Beschlusse des Brüsseler Kon¬
gresses ausdrücklich heißt, "zur Bekundung des Klassenkampfes" alljährlich den
ersten Mai."

Wenn man den Krieg zwischen den Nationen eine Barbarei nennt, wenn
man die Gegensätze: Hie deutsch! Hie französisch! barbarisch findet, so
sollte man auch die Gegensätze: Hie Sozialist! Hie Ausbeuter! barbarisch
finden. Auf dem Marseiller Kongreß hat Liebknecht wieder einmal seine alte
Lehre von den beiden Nationen vorgetragen: "Wir kennen nur zwei Nationen
oder Klassen, in welche sich das Volk teilt, eine Arbeiterklasse und eine Aus¬
beuterklasse. Und beide Klassen finden wir in der ganzen zivilisirten Welt,"
und zum so und sovielten male sah er sich gezwungen, den Unwissenden dar¬
zulegen, daß die Sozialdemokratie an diesem Gedanken ganz unschuldig sei,
weil sein Vater ein "konservativer" Romanschriftsteller war: "Wenn die Herren
diese Betonung der Fnternationalität als Hochverrat hinstellen, wenn sie meinen,
dadurch mich und die Sozialdemokratie zu treffen, fo möchte ich ihnen doch
sagen, daß dieser Gedanke nicht von der Sozialdemokratie herrührt, sondern
von einem konservativen Staatsmann zuerst ausgeführt wurde. Dieser hat in
seinem Roman Sybil betont, daß es nur zwei Nationen gebe, die Armen und
die Reichen, und unsre heutigen Staatsmänner bieten alles auf, die Klassen¬
gegensätze zu erweitern und so den Kampf zwischen diesen beiden Nationen
leidenschaftlicher zu machen." Es ist richtig, daß Benjamin Disraeli in seinem
1845, nach der Chartistenbewegung, erschienenen Roman den weiten Abstand
zwischen reichen Kapitalisten und armen Proletariern in aller Schürfe gezeichnet
hat, aber er hat doch nur gemeint, daß sie sich wie zwei feindliche Nationen
gegenüberstünden, er hat aber nicht sagen wollen, daß es nur zwei Nationen
gebe, er hat aus dem Vorhandensein der zwei Nationen auf englischem Boden,
über die zusammen die Königin regiere, nicht die Berechtigung des vaterlands¬
losen Kosmopolitismus herleiten wollen. Nach Disrcielis Meinung war es ein


Unterdrückung der einen durch die andre mit immer neuen Farben auszumalen.
Trotzdem beweist sie selbst schon durch das Schwanken ihrer Benennungen,
daß die Trennung der Gesellschaft in zwei feindliche Heerlager nicht bis auf
den wünschenswerten höchsten Grad gediehen ist. Die Sozialdemokraten sprechen
bald von einer besitzenden, gebildeten, herrschenden Klasse, bald von mehreren,
und nur darin sind sie konsequent, nur eine Arbeiterklasse, die identisch mit
dem sozialdemokratischen Proletariat sein soll, zu unterscheiden. Aber es liegt
Methode in diesem Geisterkampf, der die bestehenden Schroffheiten immer mög¬
lichst schwarz zu malen sucht, denn es ist gewiß, daß es schon genügt, wenn
jemand sich für einen Proletarier hält, damit er unzufrieden wird, ohne daß
er ein solcher wirklich zu sein braucht. Es ist leider wahr, was Kuno Franken¬
stein in Heft 4 dieses Jahrgangs der Grenzboten schrieb: „Die Sozialdemo¬
kratie erstrebt nicht den sozialen Frieden; sie hat den Klassenkampf auf ihre
Fahne geschrieben, sie feiert, wie es in einem Beschlusse des Brüsseler Kon¬
gresses ausdrücklich heißt, »zur Bekundung des Klassenkampfes« alljährlich den
ersten Mai."

Wenn man den Krieg zwischen den Nationen eine Barbarei nennt, wenn
man die Gegensätze: Hie deutsch! Hie französisch! barbarisch findet, so
sollte man auch die Gegensätze: Hie Sozialist! Hie Ausbeuter! barbarisch
finden. Auf dem Marseiller Kongreß hat Liebknecht wieder einmal seine alte
Lehre von den beiden Nationen vorgetragen: „Wir kennen nur zwei Nationen
oder Klassen, in welche sich das Volk teilt, eine Arbeiterklasse und eine Aus¬
beuterklasse. Und beide Klassen finden wir in der ganzen zivilisirten Welt,"
und zum so und sovielten male sah er sich gezwungen, den Unwissenden dar¬
zulegen, daß die Sozialdemokratie an diesem Gedanken ganz unschuldig sei,
weil sein Vater ein „konservativer" Romanschriftsteller war: „Wenn die Herren
diese Betonung der Fnternationalität als Hochverrat hinstellen, wenn sie meinen,
dadurch mich und die Sozialdemokratie zu treffen, fo möchte ich ihnen doch
sagen, daß dieser Gedanke nicht von der Sozialdemokratie herrührt, sondern
von einem konservativen Staatsmann zuerst ausgeführt wurde. Dieser hat in
seinem Roman Sybil betont, daß es nur zwei Nationen gebe, die Armen und
die Reichen, und unsre heutigen Staatsmänner bieten alles auf, die Klassen¬
gegensätze zu erweitern und so den Kampf zwischen diesen beiden Nationen
leidenschaftlicher zu machen." Es ist richtig, daß Benjamin Disraeli in seinem
1845, nach der Chartistenbewegung, erschienenen Roman den weiten Abstand
zwischen reichen Kapitalisten und armen Proletariern in aller Schürfe gezeichnet
hat, aber er hat doch nur gemeint, daß sie sich wie zwei feindliche Nationen
gegenüberstünden, er hat aber nicht sagen wollen, daß es nur zwei Nationen
gebe, er hat aus dem Vorhandensein der zwei Nationen auf englischem Boden,
über die zusammen die Königin regiere, nicht die Berechtigung des vaterlands¬
losen Kosmopolitismus herleiten wollen. Nach Disrcielis Meinung war es ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/414>, abgerufen am 21.12.2024.