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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdomotratie

sache der nsrvns rerum, eine wohlgefüllte Kriegskasse; aber bei langer Dauer
des Kriegs droht auch in der vollsten Kasse gähnende Leere einzutreten, und
dann wird die Ausdauer der Kämpfenden auf eine harte Probe gestellt, sie
Müssen sich endlich darauf beschränke,?, zu verhüten, daß die "Niederlage" allzu
empfindliche Friedensbedingungen nach sich zieht. Ihre Lage wird unhaltbar,
wenn die Streitenden durch das Dazwischentreten von zahlreichen Gliedern der
"industriellen Reservearmee" in der Flanke bedroht werden und in Gefahr kommen,
zwischen zwei Feuer zu geraten. Dann müssen auch die, die am längsten
"voll Heldenmut gekämpft" haben, sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Die
gewerkschaftliche Bewegung ist auf Verbesserung der Arbeits- und Lebens-
bedingungen der Arbeiterklasse innerhalb der bestehenden Gesellschaft gerichtet,
sie führt "im Nahmen der heutigen Gesellschaft" Krieg, aber das Ziel der
Sozialdemokratie liegt weit darüber hinaus. Die Sozialdemokratie, die immer
alles "voll und ganz" will, will den Gegner vernichten, sodaß er sich in
nichts auflöst. Sie betrachtet die Erringung der politischen Macht als ihre
Aufgabe, und die gewerkschaftliche Bewegung ist in ihren Augen nur Mittel
zum Zweck, sie begrüßt beifällig die sozialen Reformen und bezeichnet sie nur
deshalb als "sogenannte" Reformen, weil sie ihr nicht weit genug gehen und
nicht genug bieten, aber alle Reformen werden von ihr nur benutzt, um die
Arbeiter "kampffähiger" zu machen in dem Ringen um die Erreichung der
(sogenannten) sozialistischen Endziele.

Die Aufhebung des Klassenstaates ist das Ziel der Sozialdemokratie.
Das Ziel selbst, aber auch nur dieses, ist durchaus friedlich, so selbstverständ¬
lich friedlich wie der ewige Friede; leider ist Krieg nötig, um das unerreich¬
bare Ziel zu erreichen, das die Menschen äfft wie eine Fata Morgana, der
sie nachlaufe", der sie sich zu nähern glauben, und die ihren Blicken plötzlich
wieder in unabsehbare Fernen entschwindet. Der Zukunftsstaat kennt keine
Herren und keine Knechte, keine Ungerechtigkeit und keine Ungleichheit; der Zu¬
kunftsstaat laßt aber deshalb so lange auf sich warten, weil heute alles ganz
anders ist, als es in ihm sein wird. Heute ist keine Ordnung vorhanden,
heute stehen sich Ausbeuter und Ausgebeutete, Kapitalisten und Proletarier,
Herrschende und Beherrschte gegenüber. Diese Zweiteilung ist allerdings nicht
ordentlich durchgeführt, die sämtlichen "bürgerlichem" Parteien, ob sie nun
liberal oder konservativ sind, bilden keineswegs, wie die Sozialdemokratie es
möchte, eine einzige reaktionäre und kapitalistische Klasse, eine Minderzahl von
Besitzenden ist noch nicht steinreich, und alle übrigen sind noch nicht blutarm.
Die Gegensätze von arm und reich sind überhaupt niemals völlig auszumerzen,
nur das Verhältnis zwischen beiden wechselt und ist veränderlich. Aber die
Sozialdemokratie thut, als ob es nur noch zwei Gattungen von Existenzen
geben könnte, als ob die einen schwelgten und die andern darbten, sie ist un¬
ermüdlich, die beiden Klassen mit neuerfundncn Ausdrücken zu bezeichnen, die


Der Militarismus der Sozialdomotratie

sache der nsrvns rerum, eine wohlgefüllte Kriegskasse; aber bei langer Dauer
des Kriegs droht auch in der vollsten Kasse gähnende Leere einzutreten, und
dann wird die Ausdauer der Kämpfenden auf eine harte Probe gestellt, sie
Müssen sich endlich darauf beschränke,?, zu verhüten, daß die „Niederlage" allzu
empfindliche Friedensbedingungen nach sich zieht. Ihre Lage wird unhaltbar,
wenn die Streitenden durch das Dazwischentreten von zahlreichen Gliedern der
„industriellen Reservearmee" in der Flanke bedroht werden und in Gefahr kommen,
zwischen zwei Feuer zu geraten. Dann müssen auch die, die am längsten
„voll Heldenmut gekämpft" haben, sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Die
gewerkschaftliche Bewegung ist auf Verbesserung der Arbeits- und Lebens-
bedingungen der Arbeiterklasse innerhalb der bestehenden Gesellschaft gerichtet,
sie führt „im Nahmen der heutigen Gesellschaft" Krieg, aber das Ziel der
Sozialdemokratie liegt weit darüber hinaus. Die Sozialdemokratie, die immer
alles „voll und ganz" will, will den Gegner vernichten, sodaß er sich in
nichts auflöst. Sie betrachtet die Erringung der politischen Macht als ihre
Aufgabe, und die gewerkschaftliche Bewegung ist in ihren Augen nur Mittel
zum Zweck, sie begrüßt beifällig die sozialen Reformen und bezeichnet sie nur
deshalb als „sogenannte" Reformen, weil sie ihr nicht weit genug gehen und
nicht genug bieten, aber alle Reformen werden von ihr nur benutzt, um die
Arbeiter „kampffähiger" zu machen in dem Ringen um die Erreichung der
(sogenannten) sozialistischen Endziele.

Die Aufhebung des Klassenstaates ist das Ziel der Sozialdemokratie.
Das Ziel selbst, aber auch nur dieses, ist durchaus friedlich, so selbstverständ¬
lich friedlich wie der ewige Friede; leider ist Krieg nötig, um das unerreich¬
bare Ziel zu erreichen, das die Menschen äfft wie eine Fata Morgana, der
sie nachlaufe», der sie sich zu nähern glauben, und die ihren Blicken plötzlich
wieder in unabsehbare Fernen entschwindet. Der Zukunftsstaat kennt keine
Herren und keine Knechte, keine Ungerechtigkeit und keine Ungleichheit; der Zu¬
kunftsstaat laßt aber deshalb so lange auf sich warten, weil heute alles ganz
anders ist, als es in ihm sein wird. Heute ist keine Ordnung vorhanden,
heute stehen sich Ausbeuter und Ausgebeutete, Kapitalisten und Proletarier,
Herrschende und Beherrschte gegenüber. Diese Zweiteilung ist allerdings nicht
ordentlich durchgeführt, die sämtlichen „bürgerlichem" Parteien, ob sie nun
liberal oder konservativ sind, bilden keineswegs, wie die Sozialdemokratie es
möchte, eine einzige reaktionäre und kapitalistische Klasse, eine Minderzahl von
Besitzenden ist noch nicht steinreich, und alle übrigen sind noch nicht blutarm.
Die Gegensätze von arm und reich sind überhaupt niemals völlig auszumerzen,
nur das Verhältnis zwischen beiden wechselt und ist veränderlich. Aber die
Sozialdemokratie thut, als ob es nur noch zwei Gattungen von Existenzen
geben könnte, als ob die einen schwelgten und die andern darbten, sie ist un¬
ermüdlich, die beiden Klassen mit neuerfundncn Ausdrücken zu bezeichnen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/413>, abgerufen am 23.07.2024.