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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdemokratie

Schlacht und Sieg sind in ihrem Munde unendlich häufige Wörter. So kurz
auch die Geschichte der Partei ist, so hat sie doch schon einen Krieg geführt,
der an Dauer kaum hinter dem berühmten dreißigjährigen zurücksteht. "Und
glauben Sie mir -- sagte Liebknecht auf dem Kongreß zu Marseille --, wir,
die wir gegen Vismarck gekämpft, ihn niedergeworfen und nach fünfundzwanzig-
jährigen Kampfe geschlagen haben, wir werden von keiner Macht der Welt
unterjocht und von unserm Ziele abgelenkt werden. Wir sind bereit, unsern
letzten Blutstropfen für die Sache des Sozialismus zu vergießen, und wir
werden unsern Emanzipationskampf fortsetzen, bis wir den Sieg errungen
haben." Am 20. Februar 1890 fand die "Hauptschlacht" statt: "wir haben
-- hieß es im "Vorwärts" -- am 20. Februar in einer großen Hauptschlacht
die vereinigten Gegner überwunden." Unzählig sind die sonstigen "Schlachten,"
die "Gefechte" und "Vorpostengefechte" und die "Scharmützel." Bei jeder
Reichstagöwahl "kommt es zur Schlacht." Auch bei deu Kvmmunalwahlen
in den Großstädten werden schon "Schlachten geschlagen." Die zünftige Ge¬
schichtschreibung, die noch immer nicht begreifen will, daß die Gründung des
kleinsten Arbeitervereins, wie Johann Jakvby sagte, für den künftigen Ge¬
schichtschreiber mehr wert ist als die Schlacht von Sadowa, wird es vielleicht
nicht einmal bemerkt haben, daß am 27. September 18ö2 in Berlin eine
"offne Feldschlacht" stattfand, obwohl sie dnrch einen spaltenlangen Aufruf
an die KoinmumUwähler der Bezirke im voraus angekündigt worden war.
Dieser Aufruf, der mit den stolzen Worten schloß: "Ein glänzender Sieg ist
euch gewiß," konnte mit Napoleons schneidiger Anrede an seine Soldaten
bei den Pyramiden jeden Vergleich aushalten. Übrigens entsprach der Erfolg
den großen Erwartungen, und nach der Schlacht lautete das Bulletin: "Der
Sieg ist auf der ganzen Linie unsern Parteigenossen treu geblieben." Wenn
man sich nach dem Militarismus ihrer Worte richtet, hat die Sozialdemokratie
Siege über Siege erfochten, kleine, große und größte, sie ist, kann man sagen,
sieggewohnt und "an Ehren und an Siegen reich." Das Jahr 18!)0 war für
sie "ein Kampf- und Siegesjahr"; "der 20. Februar ist ein weltgeschichtliches
Datum -- er bedeutet den endgiltigen Sieg der sozinloemvkratischen Idee und
Weltanschauung über die mechanische Gewalt." Aber jedes neue Jahr wird
in deu Nenjahrsartikeln der Presse schon vorher als Kampf- und Siegesjahr
ausposaunt. Nach dem Sieg folgt immer "Triumph," es wird "triumphirt,"
"Viktoria geschossen." Jedoch scheinen auch die Gegner der Sozialdemokratie
militärische Gewohnheiten angenommen zu haben, sonst würde nicht so viel
von "Bekämpfung" der Svzialdemokmtie und von gelungner oder mißluugnen
"Feldzügen" gegen sie die Rede sein, und eine in mehreren Auflagen er¬
schienene Schrift würde nicht mit dem bezeichnenden Titel versehen fein: "Wird
die Sozialdemokratie siegen?"

Das "Heer" der deutschen Sozialdemokratie ist millionenstark, wie sein


Grenzboten IV 189S - 51
Der Militarismus der Sozialdemokratie

Schlacht und Sieg sind in ihrem Munde unendlich häufige Wörter. So kurz
auch die Geschichte der Partei ist, so hat sie doch schon einen Krieg geführt,
der an Dauer kaum hinter dem berühmten dreißigjährigen zurücksteht. „Und
glauben Sie mir — sagte Liebknecht auf dem Kongreß zu Marseille —, wir,
die wir gegen Vismarck gekämpft, ihn niedergeworfen und nach fünfundzwanzig-
jährigen Kampfe geschlagen haben, wir werden von keiner Macht der Welt
unterjocht und von unserm Ziele abgelenkt werden. Wir sind bereit, unsern
letzten Blutstropfen für die Sache des Sozialismus zu vergießen, und wir
werden unsern Emanzipationskampf fortsetzen, bis wir den Sieg errungen
haben." Am 20. Februar 1890 fand die „Hauptschlacht" statt: „wir haben
— hieß es im »Vorwärts« — am 20. Februar in einer großen Hauptschlacht
die vereinigten Gegner überwunden." Unzählig sind die sonstigen „Schlachten,"
die „Gefechte" und „Vorpostengefechte" und die „Scharmützel." Bei jeder
Reichstagöwahl „kommt es zur Schlacht." Auch bei deu Kvmmunalwahlen
in den Großstädten werden schon „Schlachten geschlagen." Die zünftige Ge¬
schichtschreibung, die noch immer nicht begreifen will, daß die Gründung des
kleinsten Arbeitervereins, wie Johann Jakvby sagte, für den künftigen Ge¬
schichtschreiber mehr wert ist als die Schlacht von Sadowa, wird es vielleicht
nicht einmal bemerkt haben, daß am 27. September 18ö2 in Berlin eine
„offne Feldschlacht" stattfand, obwohl sie dnrch einen spaltenlangen Aufruf
an die KoinmumUwähler der Bezirke im voraus angekündigt worden war.
Dieser Aufruf, der mit den stolzen Worten schloß: „Ein glänzender Sieg ist
euch gewiß," konnte mit Napoleons schneidiger Anrede an seine Soldaten
bei den Pyramiden jeden Vergleich aushalten. Übrigens entsprach der Erfolg
den großen Erwartungen, und nach der Schlacht lautete das Bulletin: „Der
Sieg ist auf der ganzen Linie unsern Parteigenossen treu geblieben." Wenn
man sich nach dem Militarismus ihrer Worte richtet, hat die Sozialdemokratie
Siege über Siege erfochten, kleine, große und größte, sie ist, kann man sagen,
sieggewohnt und „an Ehren und an Siegen reich." Das Jahr 18!)0 war für
sie „ein Kampf- und Siegesjahr"; „der 20. Februar ist ein weltgeschichtliches
Datum — er bedeutet den endgiltigen Sieg der sozinloemvkratischen Idee und
Weltanschauung über die mechanische Gewalt." Aber jedes neue Jahr wird
in deu Nenjahrsartikeln der Presse schon vorher als Kampf- und Siegesjahr
ausposaunt. Nach dem Sieg folgt immer „Triumph," es wird „triumphirt,"
„Viktoria geschossen." Jedoch scheinen auch die Gegner der Sozialdemokratie
militärische Gewohnheiten angenommen zu haben, sonst würde nicht so viel
von „Bekämpfung" der Svzialdemokmtie und von gelungner oder mißluugnen
„Feldzügen" gegen sie die Rede sein, und eine in mehreren Auflagen er¬
schienene Schrift würde nicht mit dem bezeichnenden Titel versehen fein: „Wird
die Sozialdemokratie siegen?"

Das „Heer" der deutschen Sozialdemokratie ist millionenstark, wie sein


Grenzboten IV 189S - 51
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[0409] Der Militarismus der Sozialdemokratie Schlacht und Sieg sind in ihrem Munde unendlich häufige Wörter. So kurz auch die Geschichte der Partei ist, so hat sie doch schon einen Krieg geführt, der an Dauer kaum hinter dem berühmten dreißigjährigen zurücksteht. „Und glauben Sie mir — sagte Liebknecht auf dem Kongreß zu Marseille —, wir, die wir gegen Vismarck gekämpft, ihn niedergeworfen und nach fünfundzwanzig- jährigen Kampfe geschlagen haben, wir werden von keiner Macht der Welt unterjocht und von unserm Ziele abgelenkt werden. Wir sind bereit, unsern letzten Blutstropfen für die Sache des Sozialismus zu vergießen, und wir werden unsern Emanzipationskampf fortsetzen, bis wir den Sieg errungen haben." Am 20. Februar 1890 fand die „Hauptschlacht" statt: „wir haben — hieß es im »Vorwärts« — am 20. Februar in einer großen Hauptschlacht die vereinigten Gegner überwunden." Unzählig sind die sonstigen „Schlachten," die „Gefechte" und „Vorpostengefechte" und die „Scharmützel." Bei jeder Reichstagöwahl „kommt es zur Schlacht." Auch bei deu Kvmmunalwahlen in den Großstädten werden schon „Schlachten geschlagen." Die zünftige Ge¬ schichtschreibung, die noch immer nicht begreifen will, daß die Gründung des kleinsten Arbeitervereins, wie Johann Jakvby sagte, für den künftigen Ge¬ schichtschreiber mehr wert ist als die Schlacht von Sadowa, wird es vielleicht nicht einmal bemerkt haben, daß am 27. September 18ö2 in Berlin eine „offne Feldschlacht" stattfand, obwohl sie dnrch einen spaltenlangen Aufruf an die KoinmumUwähler der Bezirke im voraus angekündigt worden war. Dieser Aufruf, der mit den stolzen Worten schloß: „Ein glänzender Sieg ist euch gewiß," konnte mit Napoleons schneidiger Anrede an seine Soldaten bei den Pyramiden jeden Vergleich aushalten. Übrigens entsprach der Erfolg den großen Erwartungen, und nach der Schlacht lautete das Bulletin: „Der Sieg ist auf der ganzen Linie unsern Parteigenossen treu geblieben." Wenn man sich nach dem Militarismus ihrer Worte richtet, hat die Sozialdemokratie Siege über Siege erfochten, kleine, große und größte, sie ist, kann man sagen, sieggewohnt und „an Ehren und an Siegen reich." Das Jahr 18!)0 war für sie „ein Kampf- und Siegesjahr"; „der 20. Februar ist ein weltgeschichtliches Datum — er bedeutet den endgiltigen Sieg der sozinloemvkratischen Idee und Weltanschauung über die mechanische Gewalt." Aber jedes neue Jahr wird in deu Nenjahrsartikeln der Presse schon vorher als Kampf- und Siegesjahr ausposaunt. Nach dem Sieg folgt immer „Triumph," es wird „triumphirt," „Viktoria geschossen." Jedoch scheinen auch die Gegner der Sozialdemokratie militärische Gewohnheiten angenommen zu haben, sonst würde nicht so viel von „Bekämpfung" der Svzialdemokmtie und von gelungner oder mißluugnen „Feldzügen" gegen sie die Rede sein, und eine in mehreren Auflagen er¬ schienene Schrift würde nicht mit dem bezeichnenden Titel versehen fein: „Wird die Sozialdemokratie siegen?" Das „Heer" der deutschen Sozialdemokratie ist millionenstark, wie sein Grenzboten IV 189S - 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/409>, abgerufen am 23.12.2024.