Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Militarismus der Sozialdemokratin

Parteilichkeit in der Hitze des Gefechts allzu oft so weit, die Waffen des an¬
dern als unehrlich, unwahr, als Liige und Verleumdung zu verdächtige".
Manchmal möchte man glauben, daß die Zunge nicht weniger Unheil im öffent¬
lichen Lebe" anzurichten vermöge als im Privatleben. Die Menschen können
einander ebensogut durch Worte als durch Gewalt verwunden und vernichten,
das Wort ist nur äußerlich edler und feiner, thatsächlich aber und im Hin¬
blick auf den Erfolg gemeiner und nichtswürdiger. Es ist dem Geschädigte"
oft jede Möglichkeit genommen, sich gegen die ihn nur mit Worten verfol¬
genden zur Wehr zu setzen. Darum ist auch die gewöhnliche Annahme, daß
der Geisterkampf im Gegensatz zu dem gewaltthätigen Schwert, dem Vertreter
der Wut und des Hasses, eitel Liebe und Menschlichkeit bedeute, so sonderbar,
da sie den Thatsachen so wenig entspricht. Die Verehrer der geistigen Waffe",
deren Gesinnung ja die höchste Achtung verdient, geraten bei ihrer Abneigung
gegen Gewalt und Krieg leicht in ein Extrem der Überschätzung des Geistes.
Wenn mau sich der lieblosen Verse erinnert: "Wir haben lang genug geliebt
und wollen endlich hassen," so wird man die ebenfalls in Versen ausgesprochne
Meinung des Grafen Rudolf Hoyos nur als einen schönen Wahn ansehe"
können:

Aus eurem Schwerte Ströme Licht,
Und Liebe sei des Schildes Zeichen.
Vor dieser Waffen Schwergewicht
Wird der Versucher weichen.
Der finstere Dämon Vvlkerkrieg
Wird kreischend vor der Wahrheit fliehen,
Und iibers Schlachtfeld nach dem Sieg
Der Menschheit Genius ziehen.

Man vergißt oft, welche Beschwerden der geistige Kampf ums Dasein
den Menschen und Völkern auferlegt, welche große Zahl von Verwundete"
und Toten er zur Folge hat. Bis jetzt sind die politischen, kirchlichen und
nationalen Unterschiede keineswegs vor den sozialen verschwunden, und dadurch,
daß sich die Klassen der Gesellschaft erbittert befehde", habe" der einzelne
und die Gesamtheit nur noch eine Kriegslast mehr zu tragen bekommen. Die
geistigen Anstrengungen, die sich der einzelne auferlegen muß, um seine Existenz
zu wahren oder seine Überzeugungen zur Geltung zu bringen, stellen an die
seelische und körperliche Kraft die höchsten Anforderungen. Es ist doch die
Frage, ob die, die nnter dem Donner der Geschütze zu Invaliden geworden
sind, an ihren Gebrechen mehr zu tragen haben, als die, die verkrüppelt
>ab verstümmelt das Schlachtfeld des Geisterkampfes verlassen müssen. Keine
andre Zeit hat ihre Nerven so "gefühlt" wie die unsrige. Darum ist es
Thorheit, vorzugsweise von den: Frieden unter den Völkern zu predigen und
erst in zweiter Linie an den Frieden unter den Geistern zu denken. Dabei


Der Militarismus der Sozialdemokratin

Parteilichkeit in der Hitze des Gefechts allzu oft so weit, die Waffen des an¬
dern als unehrlich, unwahr, als Liige und Verleumdung zu verdächtige».
Manchmal möchte man glauben, daß die Zunge nicht weniger Unheil im öffent¬
lichen Lebe» anzurichten vermöge als im Privatleben. Die Menschen können
einander ebensogut durch Worte als durch Gewalt verwunden und vernichten,
das Wort ist nur äußerlich edler und feiner, thatsächlich aber und im Hin¬
blick auf den Erfolg gemeiner und nichtswürdiger. Es ist dem Geschädigte»
oft jede Möglichkeit genommen, sich gegen die ihn nur mit Worten verfol¬
genden zur Wehr zu setzen. Darum ist auch die gewöhnliche Annahme, daß
der Geisterkampf im Gegensatz zu dem gewaltthätigen Schwert, dem Vertreter
der Wut und des Hasses, eitel Liebe und Menschlichkeit bedeute, so sonderbar,
da sie den Thatsachen so wenig entspricht. Die Verehrer der geistigen Waffe»,
deren Gesinnung ja die höchste Achtung verdient, geraten bei ihrer Abneigung
gegen Gewalt und Krieg leicht in ein Extrem der Überschätzung des Geistes.
Wenn mau sich der lieblosen Verse erinnert: „Wir haben lang genug geliebt
und wollen endlich hassen," so wird man die ebenfalls in Versen ausgesprochne
Meinung des Grafen Rudolf Hoyos nur als einen schönen Wahn ansehe»
können:

Aus eurem Schwerte Ströme Licht,
Und Liebe sei des Schildes Zeichen.
Vor dieser Waffen Schwergewicht
Wird der Versucher weichen.
Der finstere Dämon Vvlkerkrieg
Wird kreischend vor der Wahrheit fliehen,
Und iibers Schlachtfeld nach dem Sieg
Der Menschheit Genius ziehen.

Man vergißt oft, welche Beschwerden der geistige Kampf ums Dasein
den Menschen und Völkern auferlegt, welche große Zahl von Verwundete»
und Toten er zur Folge hat. Bis jetzt sind die politischen, kirchlichen und
nationalen Unterschiede keineswegs vor den sozialen verschwunden, und dadurch,
daß sich die Klassen der Gesellschaft erbittert befehde», habe» der einzelne
und die Gesamtheit nur noch eine Kriegslast mehr zu tragen bekommen. Die
geistigen Anstrengungen, die sich der einzelne auferlegen muß, um seine Existenz
zu wahren oder seine Überzeugungen zur Geltung zu bringen, stellen an die
seelische und körperliche Kraft die höchsten Anforderungen. Es ist doch die
Frage, ob die, die nnter dem Donner der Geschütze zu Invaliden geworden
sind, an ihren Gebrechen mehr zu tragen haben, als die, die verkrüppelt
>ab verstümmelt das Schlachtfeld des Geisterkampfes verlassen müssen. Keine
andre Zeit hat ihre Nerven so „gefühlt" wie die unsrige. Darum ist es
Thorheit, vorzugsweise von den: Frieden unter den Völkern zu predigen und
erst in zweiter Linie an den Frieden unter den Geistern zu denken. Dabei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213521"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Militarismus der Sozialdemokratin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1243" prev="#ID_1242"> Parteilichkeit in der Hitze des Gefechts allzu oft so weit, die Waffen des an¬<lb/>
dern als unehrlich, unwahr, als Liige und Verleumdung zu verdächtige».<lb/>
Manchmal möchte man glauben, daß die Zunge nicht weniger Unheil im öffent¬<lb/>
lichen Lebe» anzurichten vermöge als im Privatleben. Die Menschen können<lb/>
einander ebensogut durch Worte als durch Gewalt verwunden und vernichten,<lb/>
das Wort ist nur äußerlich edler und feiner, thatsächlich aber und im Hin¬<lb/>
blick auf den Erfolg gemeiner und nichtswürdiger. Es ist dem Geschädigte»<lb/>
oft jede Möglichkeit genommen, sich gegen die ihn nur mit Worten verfol¬<lb/>
genden zur Wehr zu setzen. Darum ist auch die gewöhnliche Annahme, daß<lb/>
der Geisterkampf im Gegensatz zu dem gewaltthätigen Schwert, dem Vertreter<lb/>
der Wut und des Hasses, eitel Liebe und Menschlichkeit bedeute, so sonderbar,<lb/>
da sie den Thatsachen so wenig entspricht. Die Verehrer der geistigen Waffe»,<lb/>
deren Gesinnung ja die höchste Achtung verdient, geraten bei ihrer Abneigung<lb/>
gegen Gewalt und Krieg leicht in ein Extrem der Überschätzung des Geistes.<lb/>
Wenn mau sich der lieblosen Verse erinnert: &#x201E;Wir haben lang genug geliebt<lb/>
und wollen endlich hassen," so wird man die ebenfalls in Versen ausgesprochne<lb/>
Meinung des Grafen Rudolf Hoyos nur als einen schönen Wahn ansehe»<lb/>
können:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_25" type="poem">
            <l> Aus eurem Schwerte Ströme Licht,<lb/>
Und Liebe sei des Schildes Zeichen.<lb/>
Vor dieser Waffen Schwergewicht<lb/>
Wird der Versucher weichen.</l>
            <l> Der finstere Dämon Vvlkerkrieg<lb/>
Wird kreischend vor der Wahrheit fliehen,<lb/>
Und iibers Schlachtfeld nach dem Sieg<lb/>
Der Menschheit Genius ziehen.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Man vergißt oft, welche Beschwerden der geistige Kampf ums Dasein<lb/>
den Menschen und Völkern auferlegt, welche große Zahl von Verwundete»<lb/>
und Toten er zur Folge hat. Bis jetzt sind die politischen, kirchlichen und<lb/>
nationalen Unterschiede keineswegs vor den sozialen verschwunden, und dadurch,<lb/>
daß sich die Klassen der Gesellschaft erbittert befehde», habe» der einzelne<lb/>
und die Gesamtheit nur noch eine Kriegslast mehr zu tragen bekommen. Die<lb/>
geistigen Anstrengungen, die sich der einzelne auferlegen muß, um seine Existenz<lb/>
zu wahren oder seine Überzeugungen zur Geltung zu bringen, stellen an die<lb/>
seelische und körperliche Kraft die höchsten Anforderungen. Es ist doch die<lb/>
Frage, ob die, die nnter dem Donner der Geschütze zu Invaliden geworden<lb/>
sind, an ihren Gebrechen mehr zu tragen haben, als die, die verkrüppelt<lb/>
&gt;ab verstümmelt das Schlachtfeld des Geisterkampfes verlassen müssen. Keine<lb/>
andre Zeit hat ihre Nerven so &#x201E;gefühlt" wie die unsrige. Darum ist es<lb/>
Thorheit, vorzugsweise von den: Frieden unter den Völkern zu predigen und<lb/>
erst in zweiter Linie an den Frieden unter den Geistern zu denken. Dabei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Der Militarismus der Sozialdemokratin Parteilichkeit in der Hitze des Gefechts allzu oft so weit, die Waffen des an¬ dern als unehrlich, unwahr, als Liige und Verleumdung zu verdächtige». Manchmal möchte man glauben, daß die Zunge nicht weniger Unheil im öffent¬ lichen Lebe» anzurichten vermöge als im Privatleben. Die Menschen können einander ebensogut durch Worte als durch Gewalt verwunden und vernichten, das Wort ist nur äußerlich edler und feiner, thatsächlich aber und im Hin¬ blick auf den Erfolg gemeiner und nichtswürdiger. Es ist dem Geschädigte» oft jede Möglichkeit genommen, sich gegen die ihn nur mit Worten verfol¬ genden zur Wehr zu setzen. Darum ist auch die gewöhnliche Annahme, daß der Geisterkampf im Gegensatz zu dem gewaltthätigen Schwert, dem Vertreter der Wut und des Hasses, eitel Liebe und Menschlichkeit bedeute, so sonderbar, da sie den Thatsachen so wenig entspricht. Die Verehrer der geistigen Waffe», deren Gesinnung ja die höchste Achtung verdient, geraten bei ihrer Abneigung gegen Gewalt und Krieg leicht in ein Extrem der Überschätzung des Geistes. Wenn mau sich der lieblosen Verse erinnert: „Wir haben lang genug geliebt und wollen endlich hassen," so wird man die ebenfalls in Versen ausgesprochne Meinung des Grafen Rudolf Hoyos nur als einen schönen Wahn ansehe» können: Aus eurem Schwerte Ströme Licht, Und Liebe sei des Schildes Zeichen. Vor dieser Waffen Schwergewicht Wird der Versucher weichen. Der finstere Dämon Vvlkerkrieg Wird kreischend vor der Wahrheit fliehen, Und iibers Schlachtfeld nach dem Sieg Der Menschheit Genius ziehen. Man vergißt oft, welche Beschwerden der geistige Kampf ums Dasein den Menschen und Völkern auferlegt, welche große Zahl von Verwundete» und Toten er zur Folge hat. Bis jetzt sind die politischen, kirchlichen und nationalen Unterschiede keineswegs vor den sozialen verschwunden, und dadurch, daß sich die Klassen der Gesellschaft erbittert befehde», habe» der einzelne und die Gesamtheit nur noch eine Kriegslast mehr zu tragen bekommen. Die geistigen Anstrengungen, die sich der einzelne auferlegen muß, um seine Existenz zu wahren oder seine Überzeugungen zur Geltung zu bringen, stellen an die seelische und körperliche Kraft die höchsten Anforderungen. Es ist doch die Frage, ob die, die nnter dem Donner der Geschütze zu Invaliden geworden sind, an ihren Gebrechen mehr zu tragen haben, als die, die verkrüppelt >ab verstümmelt das Schlachtfeld des Geisterkampfes verlassen müssen. Keine andre Zeit hat ihre Nerven so „gefühlt" wie die unsrige. Darum ist es Thorheit, vorzugsweise von den: Frieden unter den Völkern zu predigen und erst in zweiter Linie an den Frieden unter den Geistern zu denken. Dabei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/407>, abgerufen am 23.07.2024.