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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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oder sonstwie das Kriegsglück an ihre Fahnen fesseln, wenn sie nur den Sieg
davontragen; die Opfer, die er kostet, werden bald vergessen. Der einzelne
Soldat hat seinem Gegiier nichts zu leide gethan und muß ihn: trotzdem pflicht¬
gemäß nach dem Leben trachten; er kann jede körperliche Überlegenheit gegen
ihn ausnutzen und darf ihn auch durch Muter überwältigen. Die Wahlstatt
ist mit Toten und Verwundeten übersäet, denn das Kriegsrecht heißt Gewalt.
Wie ganz anders wird der Geisterkampf der Kultur geführt! Zu ihm sind
keine Gewehre und Geschütze nach immer neuen Modellen nötig, die ganze
Heeresausrüstuug kann fehlen, der Kampf ist unblutig. Es kann zweifelhaft
erscheinen, ob ein Geist überhaupt, wenn mans geuau nimmt, bekriegt und be¬
siegt werden kann, da er, der nicht greif- und faßbar ist, eigentlich nicht ge¬
zwungen werden kann, sich den Gedanken eines andern unterzuordnen. Die
Gewalt ist körperlich, aber im Reiche der Geister ist die Freiheit zu Hanse.
Die sanfte Waffe, deren sich der eine Geist bedient, um den andern aufzu¬
klären, ist das gesprochn? oder gedruckte Wort. Laute und Buchstaben, was
sind das für unhandgreifliche, unschneidige Dinge! Ein Redner, der in dem
harmlosen Anzug, der gerade modern ist, auf die Tribüne steigt, um den Zu¬
hörern seine, wie sie alle wissen, unmaßgebliche Meinung zu sagen, ist keine
schreckenerregende Gestalt, wie der bewaffnete, uuiformirte Gewaltmensch, der
Soldat genannt wird. Wie wenig ist gar ein Mann zu fürchten, der uns
nicht leibhaftig vor die Augen tritt, sondern dessen Gedanken wir nur auf
dem billigen Papier geschrieben zu Gesicht bekommen! Der Geisterkampf ist
also der gegenwärtigen Kultur allein angemessen und wird in der zukünftige"
ausschließlich das Feld behaupten.

Die beiden Arten des Kriegs, oder sozusagen die beiden Arten des Mili¬
tarismus, ein Ausdruck, der natürlich auf deu Geisterkampf mir figürlich paßt,
haben das gemeinsame, daß sie in der Form, die sie in unserm Jahrhundert
angenommen haben, durchaus neu sind. Das gilt von dem einen, dem rohen
Militarismus, obwohl er bald nicht mehr sein wird, wie von dem andern,
dem zahmen, obwohl er bald allein sein wird. Die ersten Stufen der kriege¬
rischen Entwicklung sehn wir beispielsweise in Homers Ilias, einem der soge¬
nannten Heldengedichte. Damals kämpften einzeln und Mann an Mann die
Helden unter einander mit Schwert und Speer, mit oder ohne Beistand eines
Gottes, und ehe sie handgemein wurden, pflegten sie längere Wechselreden zu
halten, die dann wohl allmählich immer heftiger wurden; besser wäre es ge¬
wesen und es hätte eine Abkürzung der langen geschichtlichen Entwicklung be¬
deutet, wenn sie sich mit den bloßen Reden begnügt hätten. Seitdem haben
sich nun die Waffen des wirklichen Kriegs unendlich, unheimlich vervoll¬
kommnet, zugleich aber auch die des geistigen. Die Soldaten und die Gegen¬
stände ihrer Ausrüstung lassen sich wenigstens zählen, aber die geistigen
.Mmpfer lind ihre Reden und Schriften sind unzählig. In der Druckerpresse


oder sonstwie das Kriegsglück an ihre Fahnen fesseln, wenn sie nur den Sieg
davontragen; die Opfer, die er kostet, werden bald vergessen. Der einzelne
Soldat hat seinem Gegiier nichts zu leide gethan und muß ihn: trotzdem pflicht¬
gemäß nach dem Leben trachten; er kann jede körperliche Überlegenheit gegen
ihn ausnutzen und darf ihn auch durch Muter überwältigen. Die Wahlstatt
ist mit Toten und Verwundeten übersäet, denn das Kriegsrecht heißt Gewalt.
Wie ganz anders wird der Geisterkampf der Kultur geführt! Zu ihm sind
keine Gewehre und Geschütze nach immer neuen Modellen nötig, die ganze
Heeresausrüstuug kann fehlen, der Kampf ist unblutig. Es kann zweifelhaft
erscheinen, ob ein Geist überhaupt, wenn mans geuau nimmt, bekriegt und be¬
siegt werden kann, da er, der nicht greif- und faßbar ist, eigentlich nicht ge¬
zwungen werden kann, sich den Gedanken eines andern unterzuordnen. Die
Gewalt ist körperlich, aber im Reiche der Geister ist die Freiheit zu Hanse.
Die sanfte Waffe, deren sich der eine Geist bedient, um den andern aufzu¬
klären, ist das gesprochn? oder gedruckte Wort. Laute und Buchstaben, was
sind das für unhandgreifliche, unschneidige Dinge! Ein Redner, der in dem
harmlosen Anzug, der gerade modern ist, auf die Tribüne steigt, um den Zu¬
hörern seine, wie sie alle wissen, unmaßgebliche Meinung zu sagen, ist keine
schreckenerregende Gestalt, wie der bewaffnete, uuiformirte Gewaltmensch, der
Soldat genannt wird. Wie wenig ist gar ein Mann zu fürchten, der uns
nicht leibhaftig vor die Augen tritt, sondern dessen Gedanken wir nur auf
dem billigen Papier geschrieben zu Gesicht bekommen! Der Geisterkampf ist
also der gegenwärtigen Kultur allein angemessen und wird in der zukünftige»
ausschließlich das Feld behaupten.

Die beiden Arten des Kriegs, oder sozusagen die beiden Arten des Mili¬
tarismus, ein Ausdruck, der natürlich auf deu Geisterkampf mir figürlich paßt,
haben das gemeinsame, daß sie in der Form, die sie in unserm Jahrhundert
angenommen haben, durchaus neu sind. Das gilt von dem einen, dem rohen
Militarismus, obwohl er bald nicht mehr sein wird, wie von dem andern,
dem zahmen, obwohl er bald allein sein wird. Die ersten Stufen der kriege¬
rischen Entwicklung sehn wir beispielsweise in Homers Ilias, einem der soge¬
nannten Heldengedichte. Damals kämpften einzeln und Mann an Mann die
Helden unter einander mit Schwert und Speer, mit oder ohne Beistand eines
Gottes, und ehe sie handgemein wurden, pflegten sie längere Wechselreden zu
halten, die dann wohl allmählich immer heftiger wurden; besser wäre es ge¬
wesen und es hätte eine Abkürzung der langen geschichtlichen Entwicklung be¬
deutet, wenn sie sich mit den bloßen Reden begnügt hätten. Seitdem haben
sich nun die Waffen des wirklichen Kriegs unendlich, unheimlich vervoll¬
kommnet, zugleich aber auch die des geistigen. Die Soldaten und die Gegen¬
stände ihrer Ausrüstung lassen sich wenigstens zählen, aber die geistigen
.Mmpfer lind ihre Reden und Schriften sind unzählig. In der Druckerpresse


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[0405] oder sonstwie das Kriegsglück an ihre Fahnen fesseln, wenn sie nur den Sieg davontragen; die Opfer, die er kostet, werden bald vergessen. Der einzelne Soldat hat seinem Gegiier nichts zu leide gethan und muß ihn: trotzdem pflicht¬ gemäß nach dem Leben trachten; er kann jede körperliche Überlegenheit gegen ihn ausnutzen und darf ihn auch durch Muter überwältigen. Die Wahlstatt ist mit Toten und Verwundeten übersäet, denn das Kriegsrecht heißt Gewalt. Wie ganz anders wird der Geisterkampf der Kultur geführt! Zu ihm sind keine Gewehre und Geschütze nach immer neuen Modellen nötig, die ganze Heeresausrüstuug kann fehlen, der Kampf ist unblutig. Es kann zweifelhaft erscheinen, ob ein Geist überhaupt, wenn mans geuau nimmt, bekriegt und be¬ siegt werden kann, da er, der nicht greif- und faßbar ist, eigentlich nicht ge¬ zwungen werden kann, sich den Gedanken eines andern unterzuordnen. Die Gewalt ist körperlich, aber im Reiche der Geister ist die Freiheit zu Hanse. Die sanfte Waffe, deren sich der eine Geist bedient, um den andern aufzu¬ klären, ist das gesprochn? oder gedruckte Wort. Laute und Buchstaben, was sind das für unhandgreifliche, unschneidige Dinge! Ein Redner, der in dem harmlosen Anzug, der gerade modern ist, auf die Tribüne steigt, um den Zu¬ hörern seine, wie sie alle wissen, unmaßgebliche Meinung zu sagen, ist keine schreckenerregende Gestalt, wie der bewaffnete, uuiformirte Gewaltmensch, der Soldat genannt wird. Wie wenig ist gar ein Mann zu fürchten, der uns nicht leibhaftig vor die Augen tritt, sondern dessen Gedanken wir nur auf dem billigen Papier geschrieben zu Gesicht bekommen! Der Geisterkampf ist also der gegenwärtigen Kultur allein angemessen und wird in der zukünftige» ausschließlich das Feld behaupten. Die beiden Arten des Kriegs, oder sozusagen die beiden Arten des Mili¬ tarismus, ein Ausdruck, der natürlich auf deu Geisterkampf mir figürlich paßt, haben das gemeinsame, daß sie in der Form, die sie in unserm Jahrhundert angenommen haben, durchaus neu sind. Das gilt von dem einen, dem rohen Militarismus, obwohl er bald nicht mehr sein wird, wie von dem andern, dem zahmen, obwohl er bald allein sein wird. Die ersten Stufen der kriege¬ rischen Entwicklung sehn wir beispielsweise in Homers Ilias, einem der soge¬ nannten Heldengedichte. Damals kämpften einzeln und Mann an Mann die Helden unter einander mit Schwert und Speer, mit oder ohne Beistand eines Gottes, und ehe sie handgemein wurden, pflegten sie längere Wechselreden zu halten, die dann wohl allmählich immer heftiger wurden; besser wäre es ge¬ wesen und es hätte eine Abkürzung der langen geschichtlichen Entwicklung be¬ deutet, wenn sie sich mit den bloßen Reden begnügt hätten. Seitdem haben sich nun die Waffen des wirklichen Kriegs unendlich, unheimlich vervoll¬ kommnet, zugleich aber auch die des geistigen. Die Soldaten und die Gegen¬ stände ihrer Ausrüstung lassen sich wenigstens zählen, aber die geistigen .Mmpfer lind ihre Reden und Schriften sind unzählig. In der Druckerpresse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/405>, abgerufen am 23.07.2024.