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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varziil

Er gab dem Kutscher mit kurzem Worte die Richtung An, machte mich auf¬
merksam auf besonders schöne Bäume, auf eine früher wüste Heidefläche, die
er habe aufforsten lassen, auf eine ferne Anhöhe, die er kahl vorgefunden und
mit Wald bepflanzt habe, oder auf die Rehe, die in ganzen Rudeln aus dem
Walde ausgetreten waren und ruhig in den Saatfeldern after. Dabei er¬
wähnte er, daß seine hinterpommersche Herrschaft sechsunddreißigtausend Morgen
umfasse, während Schönhausen, das er seinem ältern Sohne abgetreten habe,
nur achttausend Morgen groß sei, freilich viel bessern Boden habe. Nach einer
mehr als einstündiger Fahrt durch das waldbedeckte Hügelland kehrten wir
erst bei völliger Dunkelheit zurück und hielten ein Viertel nach fünf Uhr vor
dem Herrenhause.

Während ich die kurze Zeit bis zur Stunde des Diners benutzte, um die
fast überwältigende Fülle der Erinnerungen und Eindrücke der letzten Stunden
einigermaßen zu ordnen, fuhr ein Wagen vor, der, wie ich hörte, drei Herren
aus Leipzig brachte, darunter den frühern nationalliberalen Reichstagsabgeord-
neten Hans Blum. Um sechs Uhr versammelte sich die Hausgenossenschaft im
Salon, die Damen meist in Seide, der Fürst und die übrigen Herren im
schwarzen Rock. ("Sie wollen doch nicht etwa den Frack anziehen? Den giebts
hier nicht!" hatte mir der Fürst am Nachmittage gesagt.) Das Haus Varzin
war voll; es mag für diese Nacht im ganzen zwölf bis vierzehn auswärtige
Gäste in seinen Mauern beherbergt haben, vielleicht noch mehr.

Im Speisezimmer rechts neben der Hausflur, deren Hauptschmuck ein Ge¬
mälde, den Angriff der Halberstädter Kürassiere bei Mars-la-Tour darstellend,
bildet, war die Tafel gedeckt. Auch hier sah man nichts von modischen Prunk,
alles war schlicht, dem Bedürfnis entsprechend, und an der einfachen Ge¬
diegenheit und Reichlichkeit des Mahles Hütte sich die thörichte Schwelgerei mo¬
dernen großstädtischen Protzeutums ein Beispiel nehmen können. Dafür waren
Stimmung und Unterhaltung äußerst belebt. Der Fürst sprach viel und leb¬
haft, erzählte Geschichten von seineu treuen Hunden, erörterte mit einer ge¬
wissen Gemütlichkeit die Frage, ob ein preußischer Unterthan gezwungen werden
könne, seinen Namen zu ändern, warf mir über den Tisch die Bemerkung zu,
ich sei der einzige der vier Herren, dem man die sächsische Mundart etwas
anhöre, und that dabei den trefflichen Speisen und Getränken alle Ehre an.
Und doch, obwohl die Tafel von Behagen glänzte, klang es wie ein weh¬
mütiger Ton hindurch, als der Fürst einmal äußerte: "Ja früher, da inter-
essirte ich mich für alles mögliche, Landwirtschaft, Jagd, Pferde u. s. w.; jetzt
ist das alles weg, ich interessire mich nur noch für Politik!" Die Fürstin,
meine Nachbarin, wollte das nicht gelten lassen, aber man fühlte, was in
diesem Augenblicke die Seele des großen Mannes drückte.

Doch das war nnr ein Augenblick. Um acht Uhr hob der Fürst die
Tafel auf, und die Gesellschaft begab sich in das Billardzimmer. Leider muß


Herbsttage in varziil

Er gab dem Kutscher mit kurzem Worte die Richtung An, machte mich auf¬
merksam auf besonders schöne Bäume, auf eine früher wüste Heidefläche, die
er habe aufforsten lassen, auf eine ferne Anhöhe, die er kahl vorgefunden und
mit Wald bepflanzt habe, oder auf die Rehe, die in ganzen Rudeln aus dem
Walde ausgetreten waren und ruhig in den Saatfeldern after. Dabei er¬
wähnte er, daß seine hinterpommersche Herrschaft sechsunddreißigtausend Morgen
umfasse, während Schönhausen, das er seinem ältern Sohne abgetreten habe,
nur achttausend Morgen groß sei, freilich viel bessern Boden habe. Nach einer
mehr als einstündiger Fahrt durch das waldbedeckte Hügelland kehrten wir
erst bei völliger Dunkelheit zurück und hielten ein Viertel nach fünf Uhr vor
dem Herrenhause.

Während ich die kurze Zeit bis zur Stunde des Diners benutzte, um die
fast überwältigende Fülle der Erinnerungen und Eindrücke der letzten Stunden
einigermaßen zu ordnen, fuhr ein Wagen vor, der, wie ich hörte, drei Herren
aus Leipzig brachte, darunter den frühern nationalliberalen Reichstagsabgeord-
neten Hans Blum. Um sechs Uhr versammelte sich die Hausgenossenschaft im
Salon, die Damen meist in Seide, der Fürst und die übrigen Herren im
schwarzen Rock. („Sie wollen doch nicht etwa den Frack anziehen? Den giebts
hier nicht!" hatte mir der Fürst am Nachmittage gesagt.) Das Haus Varzin
war voll; es mag für diese Nacht im ganzen zwölf bis vierzehn auswärtige
Gäste in seinen Mauern beherbergt haben, vielleicht noch mehr.

Im Speisezimmer rechts neben der Hausflur, deren Hauptschmuck ein Ge¬
mälde, den Angriff der Halberstädter Kürassiere bei Mars-la-Tour darstellend,
bildet, war die Tafel gedeckt. Auch hier sah man nichts von modischen Prunk,
alles war schlicht, dem Bedürfnis entsprechend, und an der einfachen Ge¬
diegenheit und Reichlichkeit des Mahles Hütte sich die thörichte Schwelgerei mo¬
dernen großstädtischen Protzeutums ein Beispiel nehmen können. Dafür waren
Stimmung und Unterhaltung äußerst belebt. Der Fürst sprach viel und leb¬
haft, erzählte Geschichten von seineu treuen Hunden, erörterte mit einer ge¬
wissen Gemütlichkeit die Frage, ob ein preußischer Unterthan gezwungen werden
könne, seinen Namen zu ändern, warf mir über den Tisch die Bemerkung zu,
ich sei der einzige der vier Herren, dem man die sächsische Mundart etwas
anhöre, und that dabei den trefflichen Speisen und Getränken alle Ehre an.
Und doch, obwohl die Tafel von Behagen glänzte, klang es wie ein weh¬
mütiger Ton hindurch, als der Fürst einmal äußerte: „Ja früher, da inter-
essirte ich mich für alles mögliche, Landwirtschaft, Jagd, Pferde u. s. w.; jetzt
ist das alles weg, ich interessire mich nur noch für Politik!" Die Fürstin,
meine Nachbarin, wollte das nicht gelten lassen, aber man fühlte, was in
diesem Augenblicke die Seele des großen Mannes drückte.

Doch das war nnr ein Augenblick. Um acht Uhr hob der Fürst die
Tafel auf, und die Gesellschaft begab sich in das Billardzimmer. Leider muß


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[0390] Herbsttage in varziil Er gab dem Kutscher mit kurzem Worte die Richtung An, machte mich auf¬ merksam auf besonders schöne Bäume, auf eine früher wüste Heidefläche, die er habe aufforsten lassen, auf eine ferne Anhöhe, die er kahl vorgefunden und mit Wald bepflanzt habe, oder auf die Rehe, die in ganzen Rudeln aus dem Walde ausgetreten waren und ruhig in den Saatfeldern after. Dabei er¬ wähnte er, daß seine hinterpommersche Herrschaft sechsunddreißigtausend Morgen umfasse, während Schönhausen, das er seinem ältern Sohne abgetreten habe, nur achttausend Morgen groß sei, freilich viel bessern Boden habe. Nach einer mehr als einstündiger Fahrt durch das waldbedeckte Hügelland kehrten wir erst bei völliger Dunkelheit zurück und hielten ein Viertel nach fünf Uhr vor dem Herrenhause. Während ich die kurze Zeit bis zur Stunde des Diners benutzte, um die fast überwältigende Fülle der Erinnerungen und Eindrücke der letzten Stunden einigermaßen zu ordnen, fuhr ein Wagen vor, der, wie ich hörte, drei Herren aus Leipzig brachte, darunter den frühern nationalliberalen Reichstagsabgeord- neten Hans Blum. Um sechs Uhr versammelte sich die Hausgenossenschaft im Salon, die Damen meist in Seide, der Fürst und die übrigen Herren im schwarzen Rock. („Sie wollen doch nicht etwa den Frack anziehen? Den giebts hier nicht!" hatte mir der Fürst am Nachmittage gesagt.) Das Haus Varzin war voll; es mag für diese Nacht im ganzen zwölf bis vierzehn auswärtige Gäste in seinen Mauern beherbergt haben, vielleicht noch mehr. Im Speisezimmer rechts neben der Hausflur, deren Hauptschmuck ein Ge¬ mälde, den Angriff der Halberstädter Kürassiere bei Mars-la-Tour darstellend, bildet, war die Tafel gedeckt. Auch hier sah man nichts von modischen Prunk, alles war schlicht, dem Bedürfnis entsprechend, und an der einfachen Ge¬ diegenheit und Reichlichkeit des Mahles Hütte sich die thörichte Schwelgerei mo¬ dernen großstädtischen Protzeutums ein Beispiel nehmen können. Dafür waren Stimmung und Unterhaltung äußerst belebt. Der Fürst sprach viel und leb¬ haft, erzählte Geschichten von seineu treuen Hunden, erörterte mit einer ge¬ wissen Gemütlichkeit die Frage, ob ein preußischer Unterthan gezwungen werden könne, seinen Namen zu ändern, warf mir über den Tisch die Bemerkung zu, ich sei der einzige der vier Herren, dem man die sächsische Mundart etwas anhöre, und that dabei den trefflichen Speisen und Getränken alle Ehre an. Und doch, obwohl die Tafel von Behagen glänzte, klang es wie ein weh¬ mütiger Ton hindurch, als der Fürst einmal äußerte: „Ja früher, da inter- essirte ich mich für alles mögliche, Landwirtschaft, Jagd, Pferde u. s. w.; jetzt ist das alles weg, ich interessire mich nur noch für Politik!" Die Fürstin, meine Nachbarin, wollte das nicht gelten lassen, aber man fühlte, was in diesem Augenblicke die Seele des großen Mannes drückte. Doch das war nnr ein Augenblick. Um acht Uhr hob der Fürst die Tafel auf, und die Gesellschaft begab sich in das Billardzimmer. Leider muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/390>, abgerufen am 23.12.2024.