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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Theaterreformoil

Wenigsten gelingt, bis zu ihnen vorzudringen; ist doch selbst vielen ihrer wohl¬
verdienten Vorläufer der früher mühevoll errungne Boden wieder unter den
Füßen weggezogen werden. Wenn Dramatikern von so hervorragendem Talent
wie Otto Ludwig, Grillparzer, Hebbel, Lindner nur noch selten das Licht der
Lampen leuchtet, was sollen dünn neuere Dichter, die die gleiche hohe Auf¬
fassung von dem Beruf der Bühne haben, wie diese, für ihre Werke oder gar
für tastende Versuche hoffen? Und doch wird sich kein bedeutendes Talent
für das Dramatische frei und ganz entfalte" können ohne die engste Berührung
mit der Bühne und mit dem Volle. Denn wie die Pflanze Regen und
Sonnenschein, so braucht der dramatische Dichter den lebendigen Antrieb des
Erfolgs, die Gegenwirkung der Menge überhaupt, sei sie freundlich oder
feindlich, wenn alle Keime seiner Fähigkeit aufgehen sollen. Wir sind weit
davon entfernt, damit für alle von der Bühne fern gehaltnen Dichter Partei
zu ergreifen und für alle modernen Trauer- und Schauspiele oder gar für
die ölduftenden Catilinae und Arminii verkannter Poeten eine Lanze zu brechen,
aber daß die Schwierigkeiten für eine wertvolle dramatische Dichtung auch
nur das Interesse der Theaterleiter zu wecken in den letzten Jahrzehnten
außerordentlich gewachsen sind, ist leine Frage.

In nächster Linie werden diese Zustünde von den ernst denkenden Kri¬
tikern beklagt, zu deren größten, aber leider so seltenen Freuden es gehört,
eine aufstrebende dichterische Kraft aufzumuntern und zu fördern, und auf
deren Schultern es wie ein Fluch lastet, immer und immer wieder Anfftth-
rnngcn mit ansehen und besprechen zu müssen, die kaum in ihr Vereich fallen.
Doppelt traurig aber wird für sie die Aufgabe, wenn aller Ernst und Eiser,
womit sie die Hochflut der Unterhaltungsstücke zu bekämpfen suchen, nicht im¬
stande ist, der Geschmacksverwildcrung der Masse und der Theaterleitnngen
Einhalt zu thun. Es erfordert einen hohen Grad von Idealismus und Pflicht¬
treue, den Weg immer wieder gegen den Strom zu nehmen und trotz der her-
cindrängenden Wogen der Trivialität, Oberflächlichkeit und Gemeinheit die
Fahne der Kunst hochzuhalten und dafür bei der verständnislosen Masse uoch
den Titel eines ewig besser wissenden und berufsmäßigen Nörglers zu ernten.
Die Sehnsucht nach einer Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse ist daher
in diesen Kreisen aus sachlichen wie persönlichen Gründen echt und wahr.

Die UnHaltbarkeit der bestehenden Theaterverhältnisse, deren mannich-
faltige Ursachen im Vorhergehenden durchaus nicht erschöpfend behandelt sind
-- wir wollen nur im Vorübergehen ans den verderblichen Einfluß des
Opernunwcsens ans das Schauspiel, auf die Folgen des Meiningertums und
ihre Ausschreitungen aufmerksam machen --, ist denn auch nachgerade ein
öffentliches Geheimnis geworden, obwohl der strahlende Nimbus, der sich
einer alten Überlieferung nach schon um den bloßen Namen eines Theaters
breitet, für manchen noch seine weihevoll stimmende Kraft hat. Ein Grund


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Wenigsten gelingt, bis zu ihnen vorzudringen; ist doch selbst vielen ihrer wohl¬
verdienten Vorläufer der früher mühevoll errungne Boden wieder unter den
Füßen weggezogen werden. Wenn Dramatikern von so hervorragendem Talent
wie Otto Ludwig, Grillparzer, Hebbel, Lindner nur noch selten das Licht der
Lampen leuchtet, was sollen dünn neuere Dichter, die die gleiche hohe Auf¬
fassung von dem Beruf der Bühne haben, wie diese, für ihre Werke oder gar
für tastende Versuche hoffen? Und doch wird sich kein bedeutendes Talent
für das Dramatische frei und ganz entfalte» können ohne die engste Berührung
mit der Bühne und mit dem Volle. Denn wie die Pflanze Regen und
Sonnenschein, so braucht der dramatische Dichter den lebendigen Antrieb des
Erfolgs, die Gegenwirkung der Menge überhaupt, sei sie freundlich oder
feindlich, wenn alle Keime seiner Fähigkeit aufgehen sollen. Wir sind weit
davon entfernt, damit für alle von der Bühne fern gehaltnen Dichter Partei
zu ergreifen und für alle modernen Trauer- und Schauspiele oder gar für
die ölduftenden Catilinae und Arminii verkannter Poeten eine Lanze zu brechen,
aber daß die Schwierigkeiten für eine wertvolle dramatische Dichtung auch
nur das Interesse der Theaterleiter zu wecken in den letzten Jahrzehnten
außerordentlich gewachsen sind, ist leine Frage.

In nächster Linie werden diese Zustünde von den ernst denkenden Kri¬
tikern beklagt, zu deren größten, aber leider so seltenen Freuden es gehört,
eine aufstrebende dichterische Kraft aufzumuntern und zu fördern, und auf
deren Schultern es wie ein Fluch lastet, immer und immer wieder Anfftth-
rnngcn mit ansehen und besprechen zu müssen, die kaum in ihr Vereich fallen.
Doppelt traurig aber wird für sie die Aufgabe, wenn aller Ernst und Eiser,
womit sie die Hochflut der Unterhaltungsstücke zu bekämpfen suchen, nicht im¬
stande ist, der Geschmacksverwildcrung der Masse und der Theaterleitnngen
Einhalt zu thun. Es erfordert einen hohen Grad von Idealismus und Pflicht¬
treue, den Weg immer wieder gegen den Strom zu nehmen und trotz der her-
cindrängenden Wogen der Trivialität, Oberflächlichkeit und Gemeinheit die
Fahne der Kunst hochzuhalten und dafür bei der verständnislosen Masse uoch
den Titel eines ewig besser wissenden und berufsmäßigen Nörglers zu ernten.
Die Sehnsucht nach einer Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse ist daher
in diesen Kreisen aus sachlichen wie persönlichen Gründen echt und wahr.

Die UnHaltbarkeit der bestehenden Theaterverhältnisse, deren mannich-
faltige Ursachen im Vorhergehenden durchaus nicht erschöpfend behandelt sind
— wir wollen nur im Vorübergehen ans den verderblichen Einfluß des
Opernunwcsens ans das Schauspiel, auf die Folgen des Meiningertums und
ihre Ausschreitungen aufmerksam machen —, ist denn auch nachgerade ein
öffentliches Geheimnis geworden, obwohl der strahlende Nimbus, der sich
einer alten Überlieferung nach schon um den bloßen Namen eines Theaters
breitet, für manchen noch seine weihevoll stimmende Kraft hat. Ein Grund


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[0379] Theaterreformoil Wenigsten gelingt, bis zu ihnen vorzudringen; ist doch selbst vielen ihrer wohl¬ verdienten Vorläufer der früher mühevoll errungne Boden wieder unter den Füßen weggezogen werden. Wenn Dramatikern von so hervorragendem Talent wie Otto Ludwig, Grillparzer, Hebbel, Lindner nur noch selten das Licht der Lampen leuchtet, was sollen dünn neuere Dichter, die die gleiche hohe Auf¬ fassung von dem Beruf der Bühne haben, wie diese, für ihre Werke oder gar für tastende Versuche hoffen? Und doch wird sich kein bedeutendes Talent für das Dramatische frei und ganz entfalte» können ohne die engste Berührung mit der Bühne und mit dem Volle. Denn wie die Pflanze Regen und Sonnenschein, so braucht der dramatische Dichter den lebendigen Antrieb des Erfolgs, die Gegenwirkung der Menge überhaupt, sei sie freundlich oder feindlich, wenn alle Keime seiner Fähigkeit aufgehen sollen. Wir sind weit davon entfernt, damit für alle von der Bühne fern gehaltnen Dichter Partei zu ergreifen und für alle modernen Trauer- und Schauspiele oder gar für die ölduftenden Catilinae und Arminii verkannter Poeten eine Lanze zu brechen, aber daß die Schwierigkeiten für eine wertvolle dramatische Dichtung auch nur das Interesse der Theaterleiter zu wecken in den letzten Jahrzehnten außerordentlich gewachsen sind, ist leine Frage. In nächster Linie werden diese Zustünde von den ernst denkenden Kri¬ tikern beklagt, zu deren größten, aber leider so seltenen Freuden es gehört, eine aufstrebende dichterische Kraft aufzumuntern und zu fördern, und auf deren Schultern es wie ein Fluch lastet, immer und immer wieder Anfftth- rnngcn mit ansehen und besprechen zu müssen, die kaum in ihr Vereich fallen. Doppelt traurig aber wird für sie die Aufgabe, wenn aller Ernst und Eiser, womit sie die Hochflut der Unterhaltungsstücke zu bekämpfen suchen, nicht im¬ stande ist, der Geschmacksverwildcrung der Masse und der Theaterleitnngen Einhalt zu thun. Es erfordert einen hohen Grad von Idealismus und Pflicht¬ treue, den Weg immer wieder gegen den Strom zu nehmen und trotz der her- cindrängenden Wogen der Trivialität, Oberflächlichkeit und Gemeinheit die Fahne der Kunst hochzuhalten und dafür bei der verständnislosen Masse uoch den Titel eines ewig besser wissenden und berufsmäßigen Nörglers zu ernten. Die Sehnsucht nach einer Besserung der gegenwärtigen Verhältnisse ist daher in diesen Kreisen aus sachlichen wie persönlichen Gründen echt und wahr. Die UnHaltbarkeit der bestehenden Theaterverhältnisse, deren mannich- faltige Ursachen im Vorhergehenden durchaus nicht erschöpfend behandelt sind — wir wollen nur im Vorübergehen ans den verderblichen Einfluß des Opernunwcsens ans das Schauspiel, auf die Folgen des Meiningertums und ihre Ausschreitungen aufmerksam machen —, ist denn auch nachgerade ein öffentliches Geheimnis geworden, obwohl der strahlende Nimbus, der sich einer alten Überlieferung nach schon um den bloßen Namen eines Theaters breitet, für manchen noch seine weihevoll stimmende Kraft hat. Ein Grund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/379>, abgerufen am 23.07.2024.