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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Theaterreformen

kommen, sind mannichfaltig und verschiedenartig genug, diese Erscheinung be¬
greiflich zu machen. Man muß die thatsächlichen Verhältnisse arg verkennen,
wenn man sich einreden will, daß bei allen diesen Reformbestrebungen nnr das
eine Ideal ins Tressen kommen könnte, die Kunst, und man wird auch mit
Fug und Recht dem abgezognen Begriff einer Kunst an sich mit einigen Be¬
denken gegenüberstehen. Diese Kunst an sich ist nieist nichts weiter als ein in¬
haltsloses Schlagwort und wird mit Vorliebe von denen im Munde geführt, die
für ihre Kunst kein Publikum finden. Die Kunst aber, mag man sie nun als
ein in selbstherrlicher Sphäre schwebendes Idol betrachten oder als ein mit
den Erscheinungen des sozialen Lebens in engstem Zusammenhange stehendes
Erzeugnis, tritt leider in dem Kampfe um die Erneuerung und Belebung der
deutschen Bühne in den Hintergrund, wenigstens in den Kreisen, von denen
zunächst in diesem Falle eine thatsächliche Förderung ausgehen könnte. Der
Stand der Schauspieler, die gewiß auch den Beruf Hütten, Hüter des
Idealen zu sein, hat sich, von eigennützigen Rücksichten geleitet, in dieser Rich¬
tung wenig hervorgethan. Abgesehen davon, daß er meist ziemlich abhängig
von seinen Brotgebern ist, bringt er für den künstlerischen Wert des von ihm
zu belebenden dichterischen Stoffes oft nicht mehr Interesse und Verständnis
mit, als hinreicht, zu beurteilen, wie weit er seinen künstlerischen Neigungen
und Gaben entgegenkommt und dadurch Erfolg verspricht. Die Wertlosigkeit
der Stücke, die berühmte Gäste ohne künstlerische (und meist auch ohne natio¬
nale) Heimat auf ihren Thaler- und Lorbeerfahrten mitbringen, spricht in
dieser Beziehung deutlich genug, und die Ergebnisse der Leitungen größerer
Bühnen durch Schauspieler, wenigstens in unserm Jahrhundert, lehren das
übrige. Ein Blick in die Lebensgeschichten der Künstler und in die Spiel¬
pläne der Bühnen am Ende des vorigen Jahrhunderts zeigt, daß dem nicht
immer so war, obwohl auch damals schou Leibstücke großer Berühmtheiten
ohne andern Zweck aufgeführt wurden als den, ihnen Gelegenheit zu bieten,
in einer Paradcrvlle zu glänzen. Doch darf der Billigkeit wegen nicht un¬
erwähnt bleiben, daß der Schauspielerstand seinerseits durch die Bemühung,
die Leistungen seiner Kunst zu steigern, zur Reform der Bühne wesentlich bei¬
tragen kann und auch wohl hie und da beitrüge. Jedenfalls aber sollte er in
dem Bewußtsein, daß seine Kunst nnr eine dienende ist, immer der Aufgabe
eingedenk bleiben, auch auf den Wert dessen, was er zu verkörpern hat, zu
achten. Was die Künstler selbst zum Teil aus Rücksichten auf ihr Einkommen
und ihre gesellschaftliche Stellung für sich anstreben, kann an dieser Stelle nur
insoweit in Betracht kommen, als es mittelbar zur Hebung ihrer künstlerischen
Leistungen beizutragen geeignet ist. Im allgemeinen steht fest, daß sich die
Bemühungen der Schauspieler auf dein Felde der Theaterreform in den Grenzen
ihrer besondern Verufsinteressen bewegen und den eigentlichen Kern der Sache
kaum berühren.


Theaterreformen

kommen, sind mannichfaltig und verschiedenartig genug, diese Erscheinung be¬
greiflich zu machen. Man muß die thatsächlichen Verhältnisse arg verkennen,
wenn man sich einreden will, daß bei allen diesen Reformbestrebungen nnr das
eine Ideal ins Tressen kommen könnte, die Kunst, und man wird auch mit
Fug und Recht dem abgezognen Begriff einer Kunst an sich mit einigen Be¬
denken gegenüberstehen. Diese Kunst an sich ist nieist nichts weiter als ein in¬
haltsloses Schlagwort und wird mit Vorliebe von denen im Munde geführt, die
für ihre Kunst kein Publikum finden. Die Kunst aber, mag man sie nun als
ein in selbstherrlicher Sphäre schwebendes Idol betrachten oder als ein mit
den Erscheinungen des sozialen Lebens in engstem Zusammenhange stehendes
Erzeugnis, tritt leider in dem Kampfe um die Erneuerung und Belebung der
deutschen Bühne in den Hintergrund, wenigstens in den Kreisen, von denen
zunächst in diesem Falle eine thatsächliche Förderung ausgehen könnte. Der
Stand der Schauspieler, die gewiß auch den Beruf Hütten, Hüter des
Idealen zu sein, hat sich, von eigennützigen Rücksichten geleitet, in dieser Rich¬
tung wenig hervorgethan. Abgesehen davon, daß er meist ziemlich abhängig
von seinen Brotgebern ist, bringt er für den künstlerischen Wert des von ihm
zu belebenden dichterischen Stoffes oft nicht mehr Interesse und Verständnis
mit, als hinreicht, zu beurteilen, wie weit er seinen künstlerischen Neigungen
und Gaben entgegenkommt und dadurch Erfolg verspricht. Die Wertlosigkeit
der Stücke, die berühmte Gäste ohne künstlerische (und meist auch ohne natio¬
nale) Heimat auf ihren Thaler- und Lorbeerfahrten mitbringen, spricht in
dieser Beziehung deutlich genug, und die Ergebnisse der Leitungen größerer
Bühnen durch Schauspieler, wenigstens in unserm Jahrhundert, lehren das
übrige. Ein Blick in die Lebensgeschichten der Künstler und in die Spiel¬
pläne der Bühnen am Ende des vorigen Jahrhunderts zeigt, daß dem nicht
immer so war, obwohl auch damals schou Leibstücke großer Berühmtheiten
ohne andern Zweck aufgeführt wurden als den, ihnen Gelegenheit zu bieten,
in einer Paradcrvlle zu glänzen. Doch darf der Billigkeit wegen nicht un¬
erwähnt bleiben, daß der Schauspielerstand seinerseits durch die Bemühung,
die Leistungen seiner Kunst zu steigern, zur Reform der Bühne wesentlich bei¬
tragen kann und auch wohl hie und da beitrüge. Jedenfalls aber sollte er in
dem Bewußtsein, daß seine Kunst nnr eine dienende ist, immer der Aufgabe
eingedenk bleiben, auch auf den Wert dessen, was er zu verkörpern hat, zu
achten. Was die Künstler selbst zum Teil aus Rücksichten auf ihr Einkommen
und ihre gesellschaftliche Stellung für sich anstreben, kann an dieser Stelle nur
insoweit in Betracht kommen, als es mittelbar zur Hebung ihrer künstlerischen
Leistungen beizutragen geeignet ist. Im allgemeinen steht fest, daß sich die
Bemühungen der Schauspieler auf dein Felde der Theaterreform in den Grenzen
ihrer besondern Verufsinteressen bewegen und den eigentlichen Kern der Sache
kaum berühren.


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[0374] Theaterreformen kommen, sind mannichfaltig und verschiedenartig genug, diese Erscheinung be¬ greiflich zu machen. Man muß die thatsächlichen Verhältnisse arg verkennen, wenn man sich einreden will, daß bei allen diesen Reformbestrebungen nnr das eine Ideal ins Tressen kommen könnte, die Kunst, und man wird auch mit Fug und Recht dem abgezognen Begriff einer Kunst an sich mit einigen Be¬ denken gegenüberstehen. Diese Kunst an sich ist nieist nichts weiter als ein in¬ haltsloses Schlagwort und wird mit Vorliebe von denen im Munde geführt, die für ihre Kunst kein Publikum finden. Die Kunst aber, mag man sie nun als ein in selbstherrlicher Sphäre schwebendes Idol betrachten oder als ein mit den Erscheinungen des sozialen Lebens in engstem Zusammenhange stehendes Erzeugnis, tritt leider in dem Kampfe um die Erneuerung und Belebung der deutschen Bühne in den Hintergrund, wenigstens in den Kreisen, von denen zunächst in diesem Falle eine thatsächliche Förderung ausgehen könnte. Der Stand der Schauspieler, die gewiß auch den Beruf Hütten, Hüter des Idealen zu sein, hat sich, von eigennützigen Rücksichten geleitet, in dieser Rich¬ tung wenig hervorgethan. Abgesehen davon, daß er meist ziemlich abhängig von seinen Brotgebern ist, bringt er für den künstlerischen Wert des von ihm zu belebenden dichterischen Stoffes oft nicht mehr Interesse und Verständnis mit, als hinreicht, zu beurteilen, wie weit er seinen künstlerischen Neigungen und Gaben entgegenkommt und dadurch Erfolg verspricht. Die Wertlosigkeit der Stücke, die berühmte Gäste ohne künstlerische (und meist auch ohne natio¬ nale) Heimat auf ihren Thaler- und Lorbeerfahrten mitbringen, spricht in dieser Beziehung deutlich genug, und die Ergebnisse der Leitungen größerer Bühnen durch Schauspieler, wenigstens in unserm Jahrhundert, lehren das übrige. Ein Blick in die Lebensgeschichten der Künstler und in die Spiel¬ pläne der Bühnen am Ende des vorigen Jahrhunderts zeigt, daß dem nicht immer so war, obwohl auch damals schou Leibstücke großer Berühmtheiten ohne andern Zweck aufgeführt wurden als den, ihnen Gelegenheit zu bieten, in einer Paradcrvlle zu glänzen. Doch darf der Billigkeit wegen nicht un¬ erwähnt bleiben, daß der Schauspielerstand seinerseits durch die Bemühung, die Leistungen seiner Kunst zu steigern, zur Reform der Bühne wesentlich bei¬ tragen kann und auch wohl hie und da beitrüge. Jedenfalls aber sollte er in dem Bewußtsein, daß seine Kunst nnr eine dienende ist, immer der Aufgabe eingedenk bleiben, auch auf den Wert dessen, was er zu verkörpern hat, zu achten. Was die Künstler selbst zum Teil aus Rücksichten auf ihr Einkommen und ihre gesellschaftliche Stellung für sich anstreben, kann an dieser Stelle nur insoweit in Betracht kommen, als es mittelbar zur Hebung ihrer künstlerischen Leistungen beizutragen geeignet ist. Im allgemeinen steht fest, daß sich die Bemühungen der Schauspieler auf dein Felde der Theaterreform in den Grenzen ihrer besondern Verufsinteressen bewegen und den eigentlichen Kern der Sache kaum berühren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/374>, abgerufen am 25.08.2024.